© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Lieber Patriot als Unternehmer
100. Geburtstag Axel Cäsar Springers: Seine Nachfolger verleugnen das Erbe des konservativen Medienmannes
Ronald Berthold

Es ist eine vertrackte Situation. Wie soll die Axel Springer AG des Mannes gedenken, dessen Namen sie trägt? Wie soll der hundertste Geburtstag des Zeitungszaren gewürdigt werden, ohne sich zu seinen heute im Haus teilweise verpönten Ansichten zu bekennen? Es ist ein schmaler Grat, auf dem das Unternehmen wandelt, hat man sich doch inzwischen auch dem Kampf gegen einige der Positionen verschrieben, die ihr Gründer mit Leidenschaft vertrat.

Axel Springer hatte eine Partei rechts der CDU aus der Taufe gehoben, er hatte die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie bekämpft, er hatte sich gegen die Kollektivschuld gewandt, den Zeitgeist als sozialistisch erkannt, den Linksextremismus aufgrund seiner kollektivistischen Strukturen für gefährlicher eingeordnet als den Neonazismus. Mit all diesen Meinungen ist man nicht wohlgelitten. Das war zu Lebzeiten des Verlegers nicht anders als heute. Der Unterschied besteht allerdings darin, daß Springer heute wohl auch den Springer-Verlag zum Gegner hätte.

Wie also soll das Zeitungshaus den Widerspruch zwischen antifaschistischer Grundhaltung und Bekenntnis zu seinem Gründer auflösen? Zum Jubiläum versucht es dies mit dem Springer-Zitat: „Ich bin ein Radikaler der Mitte“. Auch wenn Springer diesen Satz sagte, so ist doch die Absicht der Verlagsspitze dahinter nicht schwer zu erkennen. Der Verleger soll weichgespült werden, kompatibel gemacht für die moderne Ausrichtung des Hauses, das sich sehr gern in der Mitte verortet, dessen Journalisten in Wirklichkeit mehrheitlich links stehen und dessen Chefredakteure jederzeit bereit sind, Rufmord-Kampagnen gegen Konservative zu führen.

Alte Springer-Mitarbeiter fragen sich inzwischen, ob es ihrem Verleger heute eigentlich viel anders gehen würde als dem damaligen CDU-Politiker Martin Hohmann, der früheren „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman und dem Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin. Würde man auch seine Zitate aus dem Zusammenhang reißen und entstellend verkürzen, damit man ihn in die Nähe von „Neonazis“ rücken kann?

Wie erklärt man also heute, 27 Jahre nach dem Tod des Verlegers, möglichst unverfänglich das Weltbild Springers? Der Verlag versucht es so: „Die sich mit dem Bau der Mauer 1961 unmittelbar hinter seinem Berliner Verlagsgelände zementierende deutsche Teilung trug ebenso zur Entwicklung Axel Springers hin zu einem mehr politischen Verleger bei, wie die damals nur mühsam vorankommende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere des Holocausts.“

Beim zweiten Teil des Satzes muß jeder Kenner der Verleger-Biographie fassungslos den Kopf schütteln. Daß Springers politischem Engagement eine fehlende öffentliche Beschäftigung mit dem Dritten Reich zugrunde lag, grenzt an peinliche Legendenbildung. Es ist Wunschdenken einer gesellschaftlichen Schicht, deren Kosmos offenbar allein um den Holocaust und dessen Instrumentalisierung kreist.

Der politische Antrieb Springers lag nicht in angeblich fehlender Aufarbeitung des NS-Systems, das er vom Innersten her ablehnte, sondern im Entstehen eines neuen Unrechtsstaates. Weniger die fehlende Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit bedauerte er, sondern daß die politische Klasse die Augen verschloß vor der mörderischen Gegenwart in der DDR. Er beklagte, daß kein „Aufschrei durch den freien Teil unseres Vaterlandes geht“ (siehe Seite 18).

Springer forderte mehr als schöne Worte für die Wiedervereinigung. Wie kein anderer beschwor er mit Bezug auf die deutschen Befreiungskriege den aktiven Einsatz für die Einheit: „Die Bereitschaft zu Opfer und Kampf, zu Dienst und Widerstand war von ein paar Reformern und Gläubigen aus den führenden Schichten in Gang gesetzt worden. So war es immer! Und wenn das nicht geschieht, dann geschieht eben nichts! Auch bei uns. Dann bleibt es dabei, daß die Nation sich nur noch auf dem Fußballplatz artikuliert.“

Mit der „nur mühsam vorankommenden Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen“, wie es der Verlag sich heute zurechtschreibt, hatte all dies freilich nichts zu tun. Springers großer Einsatz für die Juden und Israel entsprang seiner tiefen Religiosität und seiner Scham wegen des Holocausts – keineswegs aber dessen angeblich nicht stattfindender Aufarbeitung.

Die Neuinterpretation des Verlegers durch seine Nachfolger drängt die Vermutung auf, daß es der historische Springer in der Berichterstattung seiner Blätter heute nicht leicht hätte. Der Wahl-Berliner war ein kämpferischer Patriot, der noch 1982 meinte, man hätte die Mauer auch „wegräumen“ können, der „nicht auf Schlesien verzichten (wollte), nicht auf Pommern und nicht auf Ostpreußen.“

Und er war jemand, der sich politisch nicht mehr von der CDU vertreten sah, dies aber nicht einfach erdulden wollte. Mitte der siebziger Jahre schritt er zur Tat. Gemeinsam mit dem ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal unterstützte er – manche sagen: gründete er – den „Bund Freies Deutschland“ (BFD), der 1976 zur Abgeordnetenhauswahl in West-Berlin antrat. Eine Partei, die eindeutig rechts von der Union verortet war. Die Gruppierung erreichte in einem damals sehr festgefahrenen Parteiensystem aus dem Stand 3,4 Prozent – beachtlich viel, aber zuwenig für den erfolgsverwöhnten Springer: Die Partei – von Journalisten als rechtsextrem verunglimpft – löste sich auf.

Aufgrund seiner Medienmacht konnte sich Springer dagegen wehren, von der Linken mundtot gemacht zu werden. Er zögerte nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen: „Zwischen dem Linksradikalismus und dem Rechtsradikalismus gibt es keine Qualitätsunterschiede. Faschismus und Kommunismus, Nazismus und Maoismus unterscheiden sich in ihren Farben, nicht in ihren Formen und kaum in ihren Inhalten.“

Würde ein solcher Satz heute nicht als unerhörte Verharmlosung der Gefahr von rechts gedeutet? Noch unerträglicher wäre wohl die Analyse, daß die „radikale Linke“ gefährlicher sei als deren Pendant, weil sie als „kollektivistische Gewalt“ daherkomme: „Die Radikalen von rechts dagegen treten heute, wenn man von der NPD und der ihr nahestehenden ‘Aktion Widerstand’ absieht, als Einzeltäter auf.“ Und sie befänden sich „nicht auf den Schleichwegen zur Macht“. Bis heute hat sich an dieser Bestandsaufnahme nicht viel geändert. Dennoch wird allerorten – auch in der Springer-Presse – eine Gefahr von rechts herbeigeschrieben, während linke Gewalttaten kaum Empörung auslösen.

Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Springer selbst gab darauf die Antwort: „Noch immer wird Entschiedenheit gegen den Radikalismus radikal mißverstanden und aktiver Widerstand gegen die Aggression des linken Extrems als Gefahr von rechts denunziert und umgekehrt. Und dies, obwohl weiterhin Fensterscheiben zertrümmert, Sprengkörper gelegt sowie Pflastersteine und Farbbeutel gegen Andersdenkende geworfen werden.“

Springer verzweifelte an den Auflösungserscheinungen des antitotalitären Konsenses. Rhetorisch fragte er: „Warum wird der Verteidiger jener Freiheit, in der wir leben, wie in den Tagen von Weimar angeschwärzt als Propagandist der Restauration und der Reaktion?“

Nach dem Scheitern des BFD beließ es der Verleger bei der publizistischen Arbeit. Er wußte genau, daß die von ihm erfundene Bild-Zeitung nur deshalb so bekämpft wurde, weil sie die „falschen“ politischen Ansichten vertrat: „Wenn Bild eine flotte linke Zeitung wäre, eine richtig linke Zeitung, dann würde es überhaupt keine Opposition dazu geben (...) Da wir das nicht sind, kommt da sehr viel Feindschaft auf.“ Er scheute sich auch nicht vor pointierten Gegenangriffen auf die moralisierenden Medien: „Bild hat nichts von jenen bösartigen, ebenso intelligenten wie letztlich dummen Blättern, deren zersetzender Intellektualismus oft leider nichts als Verderb bringt.“

Gibt es jemanden in der Führungsspitze des Springer-Verlages, der diese Sätze heute noch einmal sagen würde? Oder sind nicht einige Zeitungen des Hauses inzwischen vielmehr genauso geworden, wie sie der Verleger partout nicht haben wollte, nämlich „intelligent wie letztlich dumm“ und intellektuell zersetzend?

Als Visionär hatte Axel Springer ein feines Gespür für das Aufkommen der politischen Korrektheit, auch wenn man den Begriff damals noch nicht kannte: „Diese irreführenden Umdeutungen von Worten und Begriffen, wofür das Schlagwort Entspannung das aktuellste Beispiel bietet, stellen eine geistige Unterwanderung dar, sind psychologische Kriegführung gegen die christlich-bürgerliche Welt zur Aushöhlung und Abwertung ihrer ideellen Fundamente.“ Und daher sagte er klar: „Hier ist Volk, nicht Gesellschaft — dieses überstrapazierte Wort.“

Während viele ihren Frieden mit der DDR gemacht hatten, blieb er bekennender Antikommunist („Das muß ja wohl noch erlaubt sein!“), nannte das Unrecht und seine Opfer beim Namen: „Die Erschossenen der Fluchttragödien sind Gefallene – gefallen im deutschen Freiheitskrieg; Gefallene, deren Namen auf ein Ehrenmal gehören.“

Und so verwundert es auch nicht, daß Springer kurz vor seinem Tode sagte, er wolle lieber als Patriot in Erinnerung bleiben denn als Unternehmer. Ein Wunsch, den ihm sein Verlag nicht erfüllt. Der „Radikale der Mitte“, als den ihn seine Nachfolger hinstellen, sah gerade diesen politischen Standort sehr ambivalent: „Diese große und breite Mitte (...) honoriert es nicht, wenn Vaterlandsliebe in Nationalismus umgelogen wird. Es verlockt sie nicht, wenn die ‘heile Welt’ verhöhnt und Wunden aufgerissen werden. Aber die Mehrheit schweigt. Sie räkelt sich, statt sich zu regen. Und wenn einer aus der Mitte die Stimme erhebt, um zu warnen, dann bleibt sie auch noch stumm, wenn dieser eine bezichtigt wird, er sei ein reaktionärer Rechter, weil er die Freiheit gegen die radikale Linke verteidigt.“

Wenn Springer ein Mann der Mitte war, dann einer, der deren Mittelmäßigkeit und Feigheit zutiefst verachtete. Dieses Erbe haben seine Nachfolger nicht angetreten. Sie haben es konterkariert.

 

Axel Cäsar Springer

Springer (2. Mai 1912 bis 22. September 1985) trat 1933 nach dem Volontariat in die Redaktion der Altonaer Nachrichten seines Vaters ein. 1945 erhielt der Verlag von der britischen Militärregierung eine Drucklizenz, im Jahr darauf gründete Springer die Programmzeitschrift Hör zu, 1948 das Hamburger Abendblatt und 1952 die Boulevardzeitung Bild.

1953 erwarb er die überregionale Tageszeitung Die Welt. In den sechziger Jahren stieg Springer zu einem der mächtigsten Verleger in der Bundesrepublik auf. Um ein gesamtdeutsches Zeichen zu setzen, wurde der Hauptsitz des Unternehmens 1967 nach Berlin verlegt, in direkter Nähe zur Mauer. Auf scharfe Kritik stieß Springer bei der linken Studentenbewegung, die seine Enteignung forderte. 1972 verübte die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) einen Bombenanschlag auf das Hamburger Springer-Haus, bei dem 17 Mitarbeiter zum Teil schwer verletzt wurden.

Auch aus Abneigung gegen den Linkstrend in der evangelischen Kirche trat Springer 1969 zur altlutherischen Kirche über, einer Vorgängerkirche der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK).

 

Springers konservative Köpfe

Für das sogenannte „bürgerliche Lager“ war der Medienzar Springer mit seinem strikt antikommunistischen Kurs, seinem Festhalten an der deutschen Einheit und der Opposition gegen die „neue Ostpolitik“ eine wichtigere Führungsfigur als manch prominenter CDU-Politiker. Das lag auch an den konservativen Köpfen, die Springer in seinen Blättern plaziert hatte:

 

Hans Zehrer

Den früheren Chefredakteur der jungkonservativen Zeitschrift Die Tat Hans Zehrer (1899–1966), traf der junge Springer erstmals 1941. Zehrer wurde Chefredakteur der Welt (1953–1966) sowie Bild-Kolumnist. Auf ihn geht der 1958 in Moskau gescheiterte Versuch Springers zurück, die Sowjetführung um Nikita Chruschtschow für ein neutrales Gesamtdeutschland zu gewinnen. „Ohne ihn wäre mein Haus nicht das geworden, was es ist“, so Springer in seinem Nachruf auf Zehrer.

 

Paul Carell

eigentlich Paul Karl Schmidt (1911–1997), gelangte nach Stationen bei der Zeit sowie beim Spiegel in den sechziger Jahren zu Springer und diente ihm bis zu dessen Tod als persönlicher Berater und Sicherheitschef. Der Autor militärgeschichtlicher Bestseller (u.a. „Die Wüstenfüchse“, „Unternehmen Barbarossa“) war später Mitgründer des konservativen Studienzentrums Weikersheim.

 

Armin Mohler

Auch der konservative Publizist Armin Mohler (1920–2003), Verfasser des Standardwerks „Die Konservative Revolution in Deutschland“, arbeitete 1964 für die Welt. Im Auftrag Springers plante er außerdem ein konservatives Magazin. Das Scheitern dieses Projekts war ein Anlaß für die Gründung der verlagsunabhängigen Zeitschrift Criticón.

 

Matthias Walden

eigentlich: Eugen Wilhelm Freiherr von Saß (1927–1984), als Journalist aus der DDR geflüchtet, war Kommentator beim Rias und stellvertretender Chefredakteur des SFB und wurde 1980 Mitherausgeber der Welt. Axel Springer hatte den konservativen Publizisten („Kassandra Rufe“, „Wenn Deutschland rot wird“) als seinen Nachfolger an der Spitze des Unternehmens vorgesehen.

 

Enno von Loewenstern

(1928–1993) schrieb ab 1972 für die Welt, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur und Verantwortlicher für die Meinungsseite. Er galt als Sprachvirtuose und konservatives Aushängeschild der Redaktion.

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