© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Überführter „Red Ken“
Bürgermeisterwahl London: Labour-Urgestein soll konservativen Amtsinhaber vom Thron stoßen
Robert Grözinger

Die große Frage lautet: Gelingt es dem konservativen Amtsinhaber Boris Johnson, sein Bürgermeisteramt in der eher linken Metropole zu verteidigen? Am 3. Mai findet in London die Bürgermeisterwahl statt. Aussichtsreichster Kandidat für das höchste Kommunalamt der britischen Hauptstadt ist neben dem 47jährigen Tory der Labour-Politiker Ken Livingstone.

Der Ausgang der Wahl wird Auswirkungen über die Grenzen der Metropole hinweg haben. Gewinnt Johnson, bleibt dem ehrgeizigen und lautstarken innerparteilichen Rivalen von Premier Cameron eine einflußreiche Plattform erhalten. Gleichzeitig wird die Labour-Führung geschwächt, wenn es der Opposition nicht gelingt, in einer Phase großer Unbeliebtheit der Spar-Regierung eine Kommunalwahl für sich zu entscheiden. Gewinnt dagegen Livingstone, der bereits von 2000 bis 2008 das Amt innehatte, wird der radikale, gewerkschafts- und muslimfreundliche Flügel seiner Partei gestärkt.

Die Unruhen von Tottenham und anderen Londoner Bezirken im vergangenen Sommer haben im Wahlkampf so gut wie keine Rolle gespielt. Der Bürgermeister ernennt zwar den Polizeipräsidenten und verfügt über das Budget der Bobbys. Er hat auch Einfluß auf organisatorische Entscheidungen, aber er darf nicht in laufende Polizeieinsätze eingreifen. Somit drehte sich der inhaltliche Wahlkampf lange weitgehend um lokale Themen wie Doppeldeckerbusse, ÖPNV-Tarife und Kommunalsteuern.

Schwung kam in den Wahlkampf erst, nachdem sich Livingstone und Johnson in einer Fernsehdebatte gegenseitig der Steuerhinterziehung bezichtigten. Man einigte sich schließlich darauf, daß alle Kandidaten ihre Steuererklärungen der letzten Jahre veröffentlichen würden. Johnson tat dies unverzüglich und keiner fand an seinen Angaben etwas auszusetzen. Als Livingstone dagegen nach einigem Zögern schließlich seine Zahlen herausgab, fehlten darin die Einnahmen seiner persönlichen Firma.

Er, der legale Steuervermeider gerne als „reiche Bastarde“ verunglimpft, denen das Wahlrecht entzogen werden sollte, gilt seither in weiten Kreisen als überführter Heuchler. Seine Beliebtheit sank spürbar. Nach jüngsten Umfragen, die auch die mögliche zweite Präferenz der Wähler in Betracht ziehen, steht Johnson in den Umfragen derzeit mit 51 Prozent vor Livingstone, der 49 Prozent erhält. Im Januar hatten entsprechende Umfragen noch eine zweiprozentige Führung für „Red Ken“ ergeben.

Abschreiben kann man den 66jährigen gebürtigen Londoner dennoch nicht. Dem oft clownesken Johnson half 2008 eher ein landesweites Popularitätstief Labours ins Amt. Außerdem begünstigt die Demographie Livingstone, erklärt Kommentator Andrew Gilligan im Daily Telegraph. Immer mehr Londoner sind keine Weißen, nach Schätzungen des Statistikamts aus dem Jahr 2009 inzwischen 30 Prozent. „Nicht weiß zu sein“, zitiert Gilligan einen Meinungsforscher in der Downing Street, „ist die Haupttriebfeder dafür, nicht konservativ zu wählen.“

Besonders starken Zuspruch erhofft sich Livingstone von Muslimen. Laut Volkszählung von 2001 stellen sie etwa neun Prozent der Stadtbevölkerung.

Entsprechend sprach der Labour-Politiker vor der versammelten Gemeinde der Finsbury-Park-Moschee. Er versprach seinen Zuhörern, die „Masse der Londoner“ über den Islam aufzuklären und die Funktion der Stadt als „Leuchtturm“ zu „zementieren“, der „die Bedeutung der Worte des Propheten aufzeigt“. Vor einer Versammlung von Bürgern jüdischer Herkunft dagegen bekannte der Sozialist, kaum Stimmen von ihnen zu erwarten. Seine Begründung: Die jüdische Gemeinde sei reich, und Reiche wählen Labour nicht. Seither rufen einflußreiche jüdische Unterstützer der Labour-Partei die Londoner auf, Livingstone nicht zu wählen.

Foto: Herausforderer Ken Livingstone (Labour) und Amtsinhaber Boris Johnson (v.l.): Am 3. Mai wird ein knappes Ergebnis erwartet

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