© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Ach so fromm, ach so traut, hat mein Auge sie erschaut
Musikgeschichte: Zur Erinnerung an den vor zweihundert Jahren geborenen Komponisten Friedrich von Flotow, Schöpfer der Oper „Martha“
Wiebke Dethlefs

Friedrich von Flotow nimmt eine Sonderstellung in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts ein. Zunächst: Er war ein komponierender Adeliger. Keineswegs hatte er es nötig, von seinem Schaffen zu leben, sondern konnte von den Erträgen seiner mecklenburgischen Güter leben. Geboren am 27. April 1812 auf Gut Teutendorf bei Rostock, schlug er anfangs die Diplomatenlaufbahn ein, und entschloß sich dann, Musiker zu werden. Zum Studium begab er sich 1828 nach Paris, um dort bei Anton Reicha (1770–1836), dem berühmten böhmischen Flötisten und Musikpädagogen, am Konservatorium das kompositorische Rüstzeug zu erwerben. Die Julirevolution ließ Flotow zunächst nach Mecklenburg zurückkehren, doch 1831 begab er sich erneut nach Paris, um dort 17 Jahre lang zu bleiben.

In jenen Jahren entstanden erste Opern – fast durchgehend von mäßigem Erfolg – doch trat er in Kontakt zu den großen Musikern der Zeit, zu Auber, Halévy, Adam, Rossini und zu dem jungen Jacques Offenbach, der gerade als Cellovirtuose seine Laufbahn begonnen hatte. Flotow trat Offenbach als Mentor zur Seite, beide konzertierten zusammen und führten in den Salons eigene Kompositionen auf. Offenbachs späterer typischer „spritziger“ Stil ist ohne Flotows Einfluß nicht denkbar.

Einige der heute vergessenen Opern ließ Flotow auch am Schweriner Hoftheater aufführen. Mit „Alessandro Stradella“ (1844), einer Oper, die das turbulente Leben des gleichnamigen frühbarocken italienischen Komponisten zum Gegenstand hat, erzielte er seinen ersten größeren Erfolg, der drei Jahre später noch gesteigert wurde durch „Martha“, sein einziges Werk, das weltweit gespielt wurde. Kein Tenor ließ sich als Vortragsstück daraus die Arie des Lyonel „Ach so fromm, ach so traut“ entgehen. Die Arie war eines der Paradestücke Carusos, der diese Rolle 1915 an der New Yorker Met sang.

Die 1848er Revolution ließ Flotow erneut nach Mecklenburg zurückkehren. 1855 übernahm er die Intendanz des Schweriner Hoftheaters. Für Schwerin komponierte er die Oper „Johann Albrecht“ und zu dem Schauspiel „Wilhelm von Oranien in Whitehall“ von Gustav Edler Gans zu Putlitz die Bühnenmusik. Differenzen mit der Hofbürokratie verleideten Flotow jedoch dieses Amt. 1863 gab er es auf und zog nach Niederösterreich. Von 1873 bis 1880 bewirtschaftete er wieder seine mecklenburgischen Güter, zog dann 1880 wegen des milderen Klimas nach Darmstadt. In den letzten Lebensjahren erblindete er und starb am 24. Januar 1883 in Darmstadt.

Flotows Tonsprache ist zwar nicht besonders originell, doch von ausnehmendem Charme und voll Liebenswürdigkeit. Er hat stilistisch viel von der französischen opéra comique übernommen, jedoch mit einer gehörigen Portion deutschen Sentiments gewürzt. Offenbachs charakteristische Tonsprache geht zweifellos auf Flotow zurück, zeigt jedoch nicht dieses Sentiment. Flotow komponierte einige wenige Orchesterstücke, doch fast fünfzig Bühnenwerke. Von diesen ist nur noch „Martha“ bekannt. Sie war die einzige deutsche Biedermeieroper, die über die Landesgrenzen hinausdringen konnte.

Man muß dabei Flotows Absicht berücksichtigen. Sein Ziel war es, dem Operntheater seiner Zeit eine das Publikum unterhaltende Gebrauchsmusik zu schaffen. Vielleicht ist genau das der Grund, warum inzwischen auch in Deutschland keine der großen Bühnen mehr „Martha“ aufführen möchte. Diese heitere Unterhaltungsoper scheint zeitgenössischen Regisseuren zuwenig Ansatz für psychologisierend-politische Entstellungen zu geben. Dabei wird übersehen, wie herausragend Flotow sein musikalisches Handwerk beherrschte. Seine Ensemblesätze sind ungemein einfallsreich, seine glänzende Orchestrierungskunst und seine phantasiereiche Behandlung der Form in den Ouvertüren ist ebenso auffällig.

Aber „Martha“ ist eben doch keine der großen überzeitlichen Schöpfungen der Operngeschichte. Wie die Institution des bürgerlichen Stadttheaters mit ihrem unterhaltenden Anspruch langsam verschwindet, wird „Martha“, ebenso wie die (künstlerisch auf niedrigerem Niveau angesiedelten) Werke Albert Lortzings, immer weniger aufgeführt. Immerhin versuchte sich der Humorist Loriot 1989 als Regisseur an der „Martha“ – wenngleich in diskussionswürdiger Weise. Gemessen allerdings an der Dutzendware barocker und frühromantischer italienischer Opernkomponisten, die überall fröhliche Urständ feiern, sollte die besondere Symbiose deutsch-gallischer Tonkunst in den Werken des Friedrich von Flotow auf der Bühne auch ihre Daseinsberechtigung haben.

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