© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Eine Terrorabsicht ist nicht nachzuweisen
Vor 75 Jahren griffen deutsche Bomber der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg die baskische Stadt Guernica an
Horst Boog

Der deutsche Luftangriff auf Guernica am 26. April 1937 während des Spanischen Bürgerkrieges wird allgemein in der deutschen veröffentlichten, also meist „politisch korrekten“ Meinung als Synonym für den sogenannten „Terrorcharakter“ der damaligen deutschen Luftwaffe interpretiert, und zwar je länger die seitdem vergangene Zeitspanne mit ihrem Frieden und Wohlstand und zunehmendem Abstand zu den NS-Verbrechen ist, desto intensiver.

Man hat sich in gewisser Weise der damaligen Wirklichkeit entwöhnt und einen der Gewaltlosigkeit um jeden Preis (so schön dies wäre) huldigenden ideologischen Schutzwall gegen sie aufgebaut. Aber sollte man als Historiker die Vergangenheit nicht besser mit Sachkenntnis und kritischer Distanz statt nur unter dem moralischen Druck betrachten, den das NS-Regime heute noch ausübt? Daß manche Bomben im Kriege nicht ihre militärisch relevanten Ziele, sondern Unschuldige trafen, ist noch kein Beweis für eine Terrorabsicht. So kann zum Beispiel der deutsche Bombenangriff auf Coventry im November 1940, bei dem leider auch die Kathedrale der Stadt zerstört wurde, nicht mit den britischen Bombardements Dresdens im Februar 1945 gleichgesetzt werden.

Im ersten Fall galt es, 17 in Gemengelage mitten in der Stadt liegende Flugmotoren- und Rüstungswerke zu treffen, was auch weitgehend gelang und was umgehend von englischen Ministern wie dem Minster für Flugzeugproduktion Baron Beaverbrook und später von englischen und schweizerischen Historikern (Norman Longmate und Theo Weber) bestätigt und schließlich sogar von einem Kanonikus der zerstörten Kathedrale (Paul Oestreicher) als kriegsvölkerrechtlich legitim bezeichnet wurde. Die unbeabsichtigte Zerstörung der Kathedrale wurde seitdem natürlich propagandistisch zur Brandmarkung der Luftwaffe als „terroristisch“ ausgenutzt, wie Longmate betont.

Die Absicht bei der britischen Bombardierung Dresdens war hingegen, Chaos und Vernichtung unter der Zivilbevölkerung zu bewirken und durch Schrecken die Deutschen zur Kapitulation zu zwingen, nur daneben die Behinderung des Nachschubs an die Ostfront gegen die Russen. Es war Adelbert Weinstein, der diese abstruse Gleichsetzung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Februar 1998 vollzog.

Aber zurück zu Coventry und Guernica. Auch heute noch können militärisch relevante Ziele in Städten unter Beachtung aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen (sonst könnte man sie durch Verlegung in Städte ja immun machen) bombardiert werden und haften den Einsätzen von Bombern immer noch sozusagen systemimmanent Ungenauigkeiten an wie vor hundert Jahren, nur nicht mehr so große. Das mußte sogar unlängst der Fernsehgeschichtsprofessor Guido Knopp feststellen. In der amtlichen englischen Geschichte der (Luft-)Verteidigung Großbritanniens (Sir Basil Collier) heißt es sogar, daß sich die deutsche Luftwaffe 1940/41 um die Zerstörung kriegswichtiger Ziele in England bemühte und keine Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung intendierte, was allerdings nur im allgemeinen zutrifft, nicht auf bestimmte Einzelfälle.

Man denke auch daran, daß bei Übungsflügen des britischen Bomber Command über England kurz vor dem Kriege nur etwa die Hälfte der Flugzeuge ihre Ziele fanden. Hat aber trotz bekannter Ungenauigkeiten bei Bombardements eine Luftmacht generell auf den Gebrauch ihrer Bomber je verzichtet? Meist haben sie eigene Fehlbombenwürfe je nach Umständen mehr oder weniger billigend – aus welchen Gründen auch immer – in Kauf genommen, waren sie doch manchmal unvermeidbar. Läßt sich aber daraus gleich auf eine Terrorabsicht schließen?

Diese Frage ist im Falle Guernica von vielen untersucht worden, am bisher gründlichsten und mit der größten Sachkenntnis von Hermann Hagena, Jurist, Völkerrechtler, Historiker, Jetpilot, Taktiklehrer und ehemaliger Luftwaffen-general in seiner vernichtenden Kritik des Gutachtens des Militärgeschichtli-chen Forschungsamtes von 2004 über Oberst Werner Mölders mit den zahlreichen geschichtspolitischen Vermutungen ohne Quellenbasis. Wenn auch bis heute mangels Primärquellen die genauen Umstände der Vorgänge um diesen Bombenangriff nicht mehr voll rekonstuiert werden können (Bernecker: Deutsche Militärgeschichte VII, MGFA), so rechtfertigt eben dies auch nicht die Behauptung, der damalige Stabschef der Legion Condor, Oberstleutnant Wolfram von Richthofen, habe den Angriff als Test für die Wirkung von Flächen- bzw. Terrorbombardements auf Städte geplant. Hagena beleuchtet kritisch das politisch-strategische Umfeld des Angriffs und die dahinterstehende militärische Absicht.

Der nationalspanische, an der baskischen Front kommandierende General Emilio Mola Vidal suchte mit der Eroberung der wichtigen Hafen- und Industriestadt Bilbao die Kontrolle über das baskische Nordspanien zu gewinnen. Hierzu bat er die Legion Condor um Verhinderung des Rückzuges der rotspanischen Truppen auf diese Stadt, deren Abwehrkraft dadurch gestärkt worden wäre, durch Zerstörung der Brücke über den Oka-Fluß am Ostrand Guernicas und der zur Brücke hinführenden Straßengabelung im Vorort Renteria, also des Rückzugsweges des Gegners.

Heute nennt man dies Gefechtsfeldabschnürung oder Interdiction, ein im Kampfbereich – Guernica lag nur 15 Kilometer hinter der Front – zulässiges Verfahren. Dabei stellt sich die längst schon von dem in England lehrenden Historiker Hans-Henning Abendroth zustimmend beantwortete Frage, ob beispielsweise bei dem Angriff auf die Brücke neben Spreng- auch Brandbomben, die auf Flächenzerstörung hinweisen, nötig gewesen seien. Auch Hagena bejaht dies, denn mit den kleinen Brandbomben von einem Kilo konnte man Fahrzeuge auf der Brücke besser treffen und gleichzeitig den Bewohnern der nahestehenden Häuser um die Straßengabelung Zeit geben, sich in Sicherheit zu bringen, während trotzdem die Passierbarkeit der Straßen durch herumliegende Trümmer usw. für größere Verbände eingeschränkt würde.

Diese Bombenmischung war als sogenannte Generalstabsmischung allgemein im Gebrauch, auch gegen Brücken, und entsprach der Bevorratung. Der amerikanische Historiker James Corum schreibt sogar, in der Stadt hätten sich gegnerische Truppen befunden, was im Frontgebiet sogar deren Bekämpfung in der Stadt erlaubt hätte. Sicher war die Genauigkeit der damaligen Bombenzielgeräte aus einer zur Sicherheit der etwa 25 zumeist Ju 52-Bomber gegen Erdbeschuß gewählten Höhe von drei- bis viertausend Metern gering. Aber hätte der Verband die Stadt zerstören sollen, dann hätte er in dichterer und größerer Gruppenformation eingesetzt werden müssen und nicht in kleinen Formationen von drei bis sechs Flugzeugen, die in kleinen Keilen oder in Reihe flogen und ihre Bomben im Reihenwurf abwarfen, um das Ziel zu treffen. Diese Absicht geht auch aus der Tatsache hervor, daß sich die beiden Anflugschneisen über der – nicht zerstörten – Brücke kreuzten und nicht über der Stadt. Bei diesem Verfahren konnte allerdings der kleinste Fehler etwa bei der Einschätzung der sich schnell ändernden Winddrift bewirken, daß die Bomben geschlossen neben dem Ziel niedergingen, wie Hagena auch in einem anderen Fall (Ginestar) nachweist.

Schon mit Rücksicht auf General Francos Bemühen, die eigenen Stadtbevölkerungen auch wegen dort befindlicher nationalspanisch denkender Menschen zu schonen, kann eine generelle unterschiedslose Zerstörungsabsicht und -praxis, die auch in der Luftwaffe außer als Repressalie im Sinne internationalen Rechts verboten war, nicht unterstellt werden. Richthofen, der sich über oft unvermeidliche zivile Verluste bei Bombardements keine großen Gedanken zu machen schien, hatte Anfang April noch Molas Aufforderung, fünfzig Prozent der Industrie in Bilbao zu zerstören, mit dem Bemerken abgelehnt, man zerstöre nicht, was man demnächst selbst nutzen will.

Übrigens, der britische Luftmarschall Arthur Harris, der deutsche Städte systematisch bombardierte, schrieb 1947 in seinen Memoiren, neuralgische Verkehrsknotenpunkte in Städten ließen sich aus der Luft nur durch Bombardierung der umliegenden Häuser sperren. Das hätten die Engländer in Frankreich 1944 immer so gehandhabt, um die deutschen Vormarsch- oder Rückzugsstraßen zu blockieren. In der Meinung teilnehmender deutscher Flugzeugführer (v. Knauer, v. Beust) galt der Luftangriff auf Guernica einem operativen militärisch relevanten Ziel, wie es nach dem damaligen Luftkriegsvölkerrecht (Spetzler, Hanke) im Kampfgebiet zulässig war. Es sei kein gegen die Zivilbevölkerung gerichteter Terrorangriff gewesen. Für die deutsche Luftwaffe war die Hauptlehre aus dem Spanischen Bürgerkrieg ohnedies, daß die Luftunterstützung der eigenen Bodentruppen die sinnvollste Anwendung von Luftmacht sei. Daß sich später die Hauptluftmächte mehr oder weniger auf dem untersten Nenner des unterschiedslosen Bombenkrieges trafen, der dann laut dem Nürnberger Hauptankläger General Telford Tayler die Norm war, steht auf einem anderen Blatt.

 

Dr. Horst Boog war leitender wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) in Freiburg. Er ist Herausgeber der Bände „Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich“ (1992) und Verfasser des Beitrags zum Luftkrieg im Schlußband 10 der MGFA-Reihe über den Zweiten Weltkrieg.

Foto: Das zerstörte Guernika; Nachbildung des Gemäldes „Guernica“ von Pablo Picasso (1937) als gekacheltes Wandbild in Gernika (heutige Schreibweise): Zur Brandmarkung der Luftwaffe als „terroristisch“ ausgenutzt

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