© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Raffinierte Maschen
Das Deutsche Strumpfmuseum in Gelenau zieht den Geschichtsfaden von den Strumpfwirkern bis zur Nylon-Strumpfhose
Joachim Feyerabend

Auf den Flaniermeilen der Modemetropolen ist die Strumpfhose zurückgekehrt. Strumpf ist wieder Trumpf. Gerade bei jungen Frauen. Nicht nur weil feminine Verführungskunst etwas mit Verhüllung zu tun hat, sondern weil Strumpfmode praktisch ist. Im Winter warm und wollig, im Sommer leicht und lichtig-luftig.

Die faszinierende Geschichte der feinmaschigen Beinkleider kann im „Ersten Deutschen Strumpfmuseum“ erkundet werden. Das 1992 eröffnete Museum liegt in der 4.500 Einwohner zählenden Gemeinde Gelenau im Erzgebirge. In der armen Gegend vor den Toren von Chemnitz standen schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogenannte Strumpfwirkstuben, die die wirtschaftliche Situation der Bergbewohner aufbesserten. Der Bau einer Spinnerei förderte im 19. Jahrhundert die Ansiedlung weiterer Textilbetriebe. „Vor dem Ersten Weltkrieg gab es im Dorf 16 Fabriken mit etwa 800 Arbeitern“, heißt es in der Gemeindechronik. In den Goldenen Zwanzigern boomte die Strumpfindustrie förmlich, bis 1929 die Weltwirtschaftskrise kam.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sicherten sich die Sowjets den Zugriff auf die mitteldeutsche Textilindustrie. Sie forderten Reparationen und demontierten Produktionsanlagen, Gelenaus Strumpffabriken wurden nach und nach verstaatlicht und in den Volkseigenen Betrieb (VEB) „Gelkida“ Gelenauer Kinder- und Strumpfwerke eingegliedert. Die Wiedervereinigung hat nur ein Strumpfwarenhersteller überlebt.

Seit 1992 erinnert das Deutsche Strumpfmuseum an die untergegangenen Zeugen der Industrialisierung, die in der Textilbranche begann. Es dokumentiert die Geschichte der Beinkleider und ihrer Herstellung von den Strumpfwirkern bis hin zur vollmechanisierten Fertigung und Nachbehandlung. Eine Musterkollektion zeigt, mit welcher Phantasie die Modedesigner am Werk waren, wie eine Laufmasche zum großen Problem wurde und die verrutschte Strumpfnaht so manche unserer Mütter und Großmütter in die Nähe eines Infarkts brachte, bis nach 1950 mit der Erfindung der Rundstrickmaschine der nahtlose Strumpf diese Sorgen endgültig beseitigte.

Strümpfe waren ursprünglich Männerbeinen vorbehalten, die Beinlinge trugen, um sich vor Kälte zu schützen. Die Römer betraten das kühle Germanien wahrscheinlich nicht in Römerlatschen, sondern auf Socken – das lateinische soccus bezeichnet eine Art Schlupfschuh. Erst im 16. Jahrhundert – mit Erfindung der Wirkmaschine – wurden Strümpfe elastisch und damit reizvoll für die Damenwelt. Eine der ersten Strumpfträgerinnen soll die englische Königin Elisabeth I. gewesen sein.

Da feine Damenstrümpfe früher aus Seide gefertigt wurden, waren sie nur in gehobenen Ständen erschwinglich. Das Zeitalter der Massenproduktion verlangte nach neuen Materialien. Im viktorianischen England versuchte man aus Kunstseide Strümpfe herzustellen, sie litten aber unter häßlichen Wasserflecken. Den Durchbruch erzielte der amerikanische Chemiker Wallace Hume Carothers in der Forschungsabteilung des DuPont-Konzerns.

Ihm gelang es 1934, aus Kohlenstoff, Wasser und Luft den Polyamidfaserstoff Nylon herzustellen. DuPont warf seine Damenstrümpfe mit einer Probeauflage von 4.000 Stück auf den US-Markt, sie war sofort ausverkauft. 1940 machte dieser Erfolg den offiziellen Start möglich, und innerhalb von vier Tagen gingen zwei Millionen Paar über den Ladentisch – ein beispielloser Siegeszug begann. In amerikanischen Kaufhäusern war die Hölle los, es kam zu Prügeleien, nur mühsam konnten Polizei-Kordons die außer Rand und Band geratenen Frauen in Schach halten. Der 15. Mai 1940 ging als „N-Day“ in die Strumpfgeschichte ein.

In Deutschland entwickelte der Carothers-Kollege Paul Schlack für die IG Farben 1938 eine Alternative zum amerikanischen Nylon – Perlon, ein kriegswichtiger Stoff zur Produktion von Fallschirmen, Flugzeugreifen und Waffenzubehör. Eine zivile Nutzung in der Strumpfindustrie lief erst in den Kriegsjahren ab 1943 an. Damenstrümpfe aus den USA („Nylons“) avancierten im Nachkriegsdeutschland neben Lucky-Strike-Zigaretten zur Schwarzmarktwährung („Bettkantenwährung“); die deutschen „Fräulein-Wunders“ rissen sich um die fein gewirkten Mitbringsel der GIs.

Die deutsche Strumpfgeschichte ist bis heute nicht zu Ende gestrickt, auch wenn der Niedergang der deutschen Strumpfindustrie anhält. Ein geplantes Strumpfmuseum in Reutlingen, das von einem Förderverein der Strumpfproduzenten getragen werden sollte, blieb daher in der konzeptionellen Phase stecken. In den virtuellen Gemäuern verbergen sich aber manch verschüttete Details über die Vielfalt der Strumpfmode, von historischen Männerstrumpfhosen bis hin zu oberdeutschen Wadlstrümpfen.

www.deutsches-strumpfmuseum.de

Foto: Die zweite Haut fürs Bein: Spätestens seit der Erfindung der Polyamide sind Damenstrümpfe aus der Modewelt nicht mehr wegzudenken

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