© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

„Am Ende ist man immer schlauer“
Rechtsextremismus: Der Bundestagsuntersuchungsausschuß zur „Zwickauer Terrorzelle“ hat mit der Zeugenvernehmung begonnen
Marcus Schmidt

Ich kenne Fälle, die sind fachlich überhaupt nicht gut gelaufen und wurden trotzdem aufgeklärt. Und es gibt Fälle, die fachlich gut gelaufen sind und die nicht aufgeklärt wurden.“ Mit der letzten Aussage meinte Wolfgang Geier vermutlich die Ermittlungen der sogenannten Dönermord-Serie, deren Ermittlungen er zwischen 2005 und 2008 leitete, und von der damals noch niemand wußte, daß sie vermutlich auf das Konto der Mitglieder der sogenannten rechtsextremistischen „Zwickauer Terrorzelle“ gingen. Die Behörden rechnen der Organisation um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die sich selbst als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bezeichnete, zehn Morde an türkischen und griechischen Kleinunternehmern und einer Polizistin im Zeitraum zwischen 2000 und 2007 zu.

Am Donnerstag vergangener Woche saß Wolfgang Geier im Europasaal des Berliner Paul-Löbe-Hauses, vor dessen breiter Fensterfront die Spree sich durch das Regierungsviertel schlängelt. Doch zwischen dem Fluß und dem Leitenden Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Unterfranken saßen in einem weiten Halbkreis die Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode, besser bekannt unter dem Namen NSU-Ausschuß. Das Gremium soll Licht in das Dunkel der verworrenen Geschichte der Zwickauer Terrorzelle bringen und untersuchen, ob die Sicherheitsbehörden bei ihren Ermittlungen Fehler gemacht haben. Damit sind die Bundestagsabgeordneten nicht allein: Auch die Landtage von Thüringen und Sachsen haben mittlerweile Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Zudem hat sich eine übergreifende Bund-Länder-Kommission des Falles angenommen (JF 12/12). Die Zusammenarbeit zwischen dem Berliner und dem Dresdner Ausschuß wird allerdings dadurch belastet, daß diesem ein NPD-Mitglied angehört. Es wird im Bundestag befürchtet, daß bei einer Kooperation vertrauliche Informationen über die rechtsextreme Szene in die falschen Hände geraten könnten.

Zur Vorbereitung der ersten Zeugenvernehmung des Bundestagsausschusses in der vergangenen Woche haben sich die Mitglieder durch zahlreiche Akten gearbeitet, die der eigens engagierte Sonderermittler unter anderem bei der Bundesanwaltschaft gesichtet hat. Als erster Zeuge war Geier geladen, dem als ehemaligem Leiter der zeitweilig 60 Beamten starken Nürnberger Sonderkommission „Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus“ eine Schlüsselstellung bei der Aufarbeitung zukommt. Geier antwortet überlegt und bedächtig, holt gelegentlich etwas umständlich aus. Der Ton der Ausschußmitglieder, die ihn befragten, war bemüht freundlich, doch es schwang immer wieder Unverständnis darüber mit, daß die Ermittler Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht auf die Spur gekommen sind. Dabei scheint doch im nachhinein vieles so klar und eindeutig.

Zumindest einmal wird während der stundenlangen Befragung die sachliche Ebene verlassen. Als der Aussschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) danach fragt, warum die BAO ausgerechnet den Namen „Bosporus“ trug, wird es parteipolitisch. „Wer gibt diese Namen?“ fragt Edathy vorwurfsvoll, und es klingt so, als vermute er hier einen latenten Rassismus am Werk. Der erfahrene Kriminalbeamte ist von der Frage sichtlich überrascht und erklärt die Namensgebung mit der gängigen Praxis bei der Polizei, Sonderkommissionen bei mehreren Opfern nach einem gemeinsamen Merkmal zu benennen. Hier sei dies eben die geographische Herkunft gewesen. Als Edathy nachhakt, ob niemand auf die Idee gekommen sei, beispielsweise die Bezeichnung „BAO Migrantenmorde“ zu verwenden, muß Geier passen.

Diese Episode veranschaulicht, worum es bei dem parlamentarischen Nachspiel zur Mordserie auch geht: um den meist nur angedeuteten Vorwurf einer rassistischen Grundfärbung von Teilen der Polizei, durch die womöglich verhindert wurde, die Täter zu fassen. In diese Richtung zielt auch der nach Bekanntwerden der Zwickauer Terrorzelle in Teilen der Öffentlichkeit und von Angehörigen der Opfer erhobene Vorwurf, die Polizei habe im Umfeld der Opfer ermittelt, weil es sich um Ausländer handelte. Geier verteidigte vor dem Ausschuß das Vorgehen. Schon die Soko „Halbmond“, die Vorgängerkommission der BAO Bosporus, habe auf der Suche nach einem Motiv für die Mordserie nach Zusammenhängen zwischen den Opfern gesucht, weil es entsprechende „vertrauliche Mitteilungen aus türkischen Kreisen gegeben“ habe, berichtete Geier. Nach dem Mord in Rostock 2004 hätten sich zudem Verbindungen ins Rauschgiftmilieu in Hamburg ergeben.

Auch ansonsten ermittelten die Beamten nicht einfach ins Blaue hinein. Die BAO Bosporus ging bei ihren Ermittlungen zunächst der sogenannten „Organisationstheorie“ nach, die besagte, daß hinter den Morden eine kriminelle Organisation stand, die auf eigene Rechnung mordete oder Mörder engagiert hat. Eine operative Fallanalyse des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg kam Anfang 2007 zu dem Schluß, bei den Tätern könne es sich um Mitglieder einer Gruppe aus dem „ost- bzw. südosteuropäischen Raum“ handeln, die immer im Sommer nach Deutschland kämen, um die Morde zu begehen, da die Morde meist in der warmen Jahreszeit verübt wurden.

Da die Ermittlungen in diese Richtung zu keinen greifbaren Ergebnissen führten, gingen die Beamten bald auch der „Einzeltätertheorie“ nach, die später zur „missionsgeleiteten Serientätertheorie“ fortentwickelt wurde. Dieser Ansatz ging davon aus, daß die Morde von einem oder mehreren Tätern mit rechtsextremistischem Hintergrund verübt wurden. Grundlage hierfür war eine entsprechende Fallanalyse des Münchner Profilers Alexander Horn vom Mai 2006, der aufgrund der Herkunft der Opfer davon ausging, daß die Täter aus Haß auf Türken handelten.

Für Aufregung hatte schon vor der Ausschußsitzung ein weiteres Gutachten gesorgt, auf das die Mitglieder bei ihrem umfangreichen Aktenstudium gestoßen waren und das die Theorie von Horn stützte. Autoren dieser Fallanalyse waren zwei Mitarbeiter der amerikanischen Bundespolizei FBI, die sich zu einem routinemäßigen Erfahrungsaustausch in Nürnberg aufgehalten haben sollen. Alleine die Nennung der Abkürzung FBI reichte aus, um Abgeordnete und Journalisten gleichermaßen zu elektrisieren. Für Erstaunen sorgte zudem, daß Geier aussagte, er habe das Dokument nie in Händen gehalten, sondern sei über dessen Existenz lediglich von Horn informiert worden.

Die Ermittlungen zu einem möglichen rechtsextremistischen Hintergrund der Taten, die von der BAO Bosporus als Spur Nummer 195 bezeichnet wurde, stießen im Ausschuß erwartungsgemäß auf ein großes Interesse. Denn schließlich waren die Ermittler, wie sich nach dem Bekanntwerden der Zwickauer Terrorzelle herausstellen sollte, hier auf der richtigen Spur, zumindest teilweise. Denn die Fallanalyse des Profilers hatte einen entscheidenden Fehler. Aufgrund der Häufung der Morde in Nürnberg (drei) und München (zwei), ging Horn davon aus, daß der oder die Täter einen „Ankerpunkt“ in Nürnberg hatten, also vermutlich in der Stadt wohnten. Aufgrund dieser Überlegungen setzte die BAO Bosporus umfangreiche Nachforschungen in Gang, die eine gewaltige Datenmenge hervorbrachten. So wurden unter anderem 16 Million Daten aus Funkzellen in Nürnberg, Hamburg und München ausgewertet, dazu eine Millionen Daten von Autovermietungen, 27.000 Hotelbuchungen, 60.000 Verkehrsdaten sowie Daten von Einwohnermeldeämter und Kreditkartenunternehmen überprüft.

Im Zusammenhang mit dem Horn-Gutachten richteten die Ermittler im Juli 2006 auch eine Anfrage an das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Die Kriminalisten baten auf Grundlage der Theorie eines Ankerpunktes den Geheimdienst um eine Liste mit Rechtsextremisten aus dem Großraum Nürnberg. Was folgte, wirft ein trübes Licht auf die Zusammenarbeit der Behörden im Freistaat und führte bei den Ausschußmitgliedern zu Kopfschütteln und bohrenden Nachfragen. Denn der Verfassungsschutz lieferte erst im März 2007, also ein dreiviertel Jahr später, nach zahlreichen Ausflüchten der Behörde und unzähligen Nachfragen und Ermahnungen Geiers, eine Liste mit 682 Namen. Eine heiße Spur war nicht dabei.

Doch nicht nur zwischen Ermittlern und bayerischen Verfassungsschützern hakte es. Immer wieder tauchte schon bei der ersten Zeugenvernehmung die Frage auf, warum das Bundeskriminalamt (BKA) die Ermittlungen nicht übernommen hat, obwohl dies bereits 2004 bei einer Besprechung in Wiesbaden Thema war. Doch statt einer zentralen Ermittlungsführung wurde im Mai 2006 von den Innenministern der Länder nur eine sogenannte Steuerungsgruppe ins Leben gerufen, die die Ermittlungen der BAO Bosporus, des BKA und der Behörden der betroffenen Bundesländer koordinieren sollte – mit überschaubarem Erfolg, wie sich zeigen sollte.

Auch die Frage, warum der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nicht an sich gezogen hat, wird den Ausschuß noch beschäftigen. Gab es in diesem Zusammenhang Eifersüchteleien zwischen den Behörden, wie es ein Vermerk in den Akten der Staatsanwaltschaft Nürnberg nahezulegen scheint? Und warum wurde die Spur in die rechtsextremistische Szene nicht öffentlich gemacht? Geier verteidigte diese Entscheidung. Er habe es mit Blick auf die Reaktionen der Öffentlichkeit für problematisch gehalten, zu sagen, „da fahren Neonazis durch das Land und knallen Leute ab“, gab er zu bedenken.

In den kommenden Wochen wird der Ausschuß weitere teilweise hochrangige Zeugen aus den Sicherheitsbehörden und der Politik befragen. Mit Spannung wird dabei unter anderem die Behandlung des Mordes an der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn durch den Untersuchungsausschuß erwartet. Denn die Tat fällt in vielerlei Hinsicht aus dem Schema der üblichen Morde der Zwickauer Terrorzelle heraus. Anfang der Woche berichtete der Spiegel in diesem Zusammenhang, daß sich ein vom Stern veröffentlichtes Papier eines amerikanischen Geheimdienstes, in dem von einer Schießerei zwischen der Polizei und Rechtsextremisten am Tattag in Heilbronn berichtet wird, als Fälschung herausgestellt hat.

Geier scheint trotz des Scheiterns der BAO Bosporus mit sich im reinen. Der Frage, ob er bei den Ermittlungen Fehler gemacht habe, wich er aus, ließ aber erkennen, daß er glaubt, sich fachlich nichts vorwerfen lassen zu müssen. Dennoch scheint der Mißerfolg an ihm zu nagen. „Am Ende ist man immer schlauer“, sagte Geier.

 

Mordserie

9. September 2000

In Nürnberg wird der Blumenhändler Enver Şimşek erschossen.

13. Juni 2001

Ebenfalls in Nürnberg fällt der Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru der Mordserie zum Opfer.

27. Juni 2001

In Hamburg wird der Gemüsehändler Süleyman Taşköprü erschossen.

29. August 2001

Der Obst- und Gemüsehändler Habil Kılıç erliegt in München seinen Schußverletzungen.

25. Februar 2004

Nach einer längeren Pause schlagen die Täter in Rostock zu und erschießen den Dönerverkäufer Mehmet Turgut.

9. Juni 2005

Erneut in Nürnberg wird der Dönerverkäufer İsmail Yaşar ermordet.

15. Juni 2005

In München wird der griechischstämmige Schlüsseldienstmitarbeiter Theodoros Boulgarides Opfer der Mordserie.

4. April 2006

Der Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık wird in Dortmund erschossen.

6. April 2006

In Kassel wird Halit Yozgat, der ein Internetcafé betreibt, von den Tätern ermordet.

25. April 2007

Als mutmaßlich letztes Opfer der Mordserie stirbt in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter.

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