© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Wahlkampf im Schatten des Kosovo-Konflikts
Serbien: Vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen verstärkt die Schutztruppe Kfor ihre Militärpräsenz / Beitritt zur EU nur ein Randthema
Rainer Liesing

Die wenigen Tage, die die Wählerschaft vom Wahltermin trennen, werden kaum noch gravierende Änderungen zwischen demoskopischen Befunden und Ergebnissen bewirken können: Die oppositionelle prononciert serbisch-nationale Fortschrittspartei (SNS) liegt in Serbien bei einer erfühlten Zustimmung von gut 33 Prozent der Befragten klar in Führung vor der derzeit regierenden, konservativ-liberalen Demokratischen Partei (DS), für die sich laut Belgrader Meinungsforschungsagentur „Faktor Plus“ etwa 28 Prozent der Befragten aussprachen.

Wenn es allerdings um die Frage nach dem künftigen Präsidenten Serbiens geht – am 6. Mai finden nicht nur Parlaments- und Kommunalwahlen statt, sondern es wird auch das Staatsoberhaupt gewählt –, so ist der Unterschied zwischen den beiden Favoriten unter den insgesamt zwölf Bewerbern kaum mehr auszumachen.

SNS-Chef Tomislav Nikolić und der bisherige Amtsinhaber Boris Tadić liegen mit jeweils 36 Prozent Zustimmung der Befragten gleichauf. Hinter ihnen rangiert mit ungefähr elf Prozent Zustimmung der derzeitige Innenminister Ivica Dačić, Chef der Sozialisten (SPS). Somit dürften, wenn das Wahlergebnis den Umfragen entspricht, Tadić und Nikolić die Stichwahl am 20. Mai bestreiten. Zweimal schon traten die „ewigen Rivalen“ in Präsidentenwahlen gegeneinander an. Beide Male konnte Nikolić die erste Runde für sich entscheiden, Tadić jedoch die zweite. Wenn es indes um die Regierungsbildung geht, kommt der SPS von Dačić – er ist auch stellvertretender Regierungschef – die Rolle des Königsmachers zu.

Sowohl DS als auch SNS sind in ihrer Wahlwerbung bemüht, auf ihre EU-Ausrichtung hinzuweisen. Einer vom Belgrader Sender B-92 in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge, beläuft sich die Unterstützung für einen EU-Beitritt des Landes auf 49 Prozent, dagegen sprachen sich 34 Prozent aus. Weit mehr als die Frage einer möglichen EU-Mitgliedschaft beherrscht indes die Kosovo-Problematik den Wahlausgang.

Der Konflikt um das Amselfeld (Kosovo polje) kommt nicht zur Ruhe. Immer wieder überlagern Zwischenfälle gewisse politische Entspannungsbemühungen. So hat die serbische Justiz Ermittlungen gegen den kosovarischen Regierungschef Hashim Thaçi und gegen Verteidigungsminister Agim Çeku wegen Kriegsverbrechen eingestellt. Beide gehörten einst zur Führung der „Befreiungsarmee des Kosovo“ (UÇK) an, die in den späten 1990er Jahren gegen die serbischen Sicherheitskräfte kämpfte.

Zudem wurden zwei unweit von Prishtina festgenommene ranghohe Serben, darunter der von Belgrad bestellte Kosovo-Kreisverwalter Goran Arsic – er gilt als Führer des Nordkosovo, wo die Serben in der Mehrheit sind –, die der Untergrabung der kosovarischen Verfassungsordnung beschuldigt worden waren, wieder auf freien Fuß gesetzt. Das strafrechtliche Verfahren gegen sie soll jedoch fortgesetzt werden. Denn der kosovarische Innenminister Bajram Rexhepi gab bekannt, die Festnahme sei aufgrund einer Strafanzeige mehrerer Personen wegen Erpressung vorgenommen worden, denen Arsic mit der Festnahme in Serbien gedroht habe, sollten sie an den Präsidenten- und Parlamentswahlen nicht teilnehmen. Dagegen ließ der serbische Kosovo-Minister Goran Bogdanović verlauten, mit der Festnahme habe Prishtina vor den Wahlen provozieren und die Situation weiter zuspitzen wollen.

Schlägereien zwischen Serben und Kosovo-Albanern sind nahezu an der Tagesordnung. Die Serben im Nordkosovo wollen am 6. Mai auf eigene Faust Kommunalwahlen organisieren, was die Regierung in Prishtina auf keinen Fall zulassen will, weshalb die Spannungen zunehmen und die EU-Rechtsstaatsmission Eulex die Präsenz ihrer Polizeikräfte im Nordkosovo verstärkt, nachdem Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen geäußert hatte: „Um es ganz offen zu sagen, ich bin sehr besorgt ob der Tatsache, daß Eulex nicht ausreichend Ressourcen hat“, was auf die Nato-geführte, multinationale Kfor Auswirkungen habe.

Daher wurde zum 1. Mai auch eine Reserveeinheit der internationalen Kosovo-Schutztruppe Kfor ebenfalls in den Norden des Amselfeldes entsandt, die aus 550 Bundeswehr- und 150 österreichischen Bundesheersoldaten besteht.

Serbiens Innenminister Dačić beschuldigte derweil die internationale Staatengemeinschaft, im Zusammenhang mit der Organisation der serbischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Kosovo – nicht nur im Nordteil – Druck auf Belgrad auszuüben: „Daß jemand den Urnengang in unserem Namen organisieren und Prishtina seine Zustimmung erteilen müsse, ist für uns aber absolut unannehmbar.“

Kosovo-Regierungschef Thaçi hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gebeten, die Organisation der Wahl im Kosovo zu übernehmen. Thaçi hält es für seine „Verfassungspflicht, meinen Landsleuten, die auch die serbische Staatsbürgerschaft haben, die Teilnahme an den serbischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen“. Er setze sich dafür ein, sicherzustellen, daß Kosovo-Serben ihre Stimme in mobilen Wahllokalen abgeben können. Die Wahlurnen sollten von OSZE-Beauftragten nach Serbien gebracht werden.

Schätzungen zufolge sind etwa 70.000 Kosovo-Serben wahlberechtigt. Belgrad hat indes offiziell auf die Organisation der Wahlen im Nordkosovo verzichtet, während die dortigen Serben sie selbst organisieren wollen. Das wiederum veranlaßte das serbische Kosovo-Ministerium zur Bekundung, für Belgrad seien „die Ergebnisse eventueller serbischer Lokalwahlen im Nordkosovo nicht bindend“.

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