© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Im Netz der Stasi-Seilschaften?
Brandenburg: Der Fall Steinbach – warum ein einfaches CDU-Mitglied ohne Ämter seiner Partei Kopfschmerzen bereitet
Hinrich Rohbohm

Während der Verhandlungen zur Deutschen Einheit galt er als der Horst Teltschik der DDR. In der letzten Regierung des Arbeiter- und Bauernstaates sahen Regierungsmitglieder in ihm gar den faktischen Außenminister. Es gibt viele Bezeichnungen für Thilo Steinbach, der heute in Potsdams Medien immer wieder als „schillernder Unternehmer“ tituliert wird.

Gegen den 48 Jahre alten Christdemokraten läuft derzeit ein Parteiausschlußverfahren. Der Vorwurf: schweres parteischädigendes Verhalten. Steinbach soll als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit unter dem Decknamen „Bernd“ „Gegner eines totalitären Regimes verfolgt und denunziert“ haben.

Der heutige Geschäftsführer der Unternehmensberatung Mult-Consult widerspricht, sagt, er habe keine Spitzeltätigkeit für die Stasi ausgeübt. Auch die Bezeichnung „IM“ treffe nicht auf ihn zu. Unterstützung erfährt er von mehreren Seiten. Etwa vom linksliberalen Berliner Ex-CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedbert Pflüger, der sich dazu berufen fühlte, einen Brief an CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zu verfassen. Inhalt: Die CDU würde sich mit dem Ausschlußverfahren lächerlich machen, der Parteiausschluß scheitern. Auch Ex-DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU) und der einstige SPD-Fraktionsvorsitzende in der letzten DDR-Volkskammer, Richard Schröder, springen Steinbach bei. Er habe niemanden denunziert, so die Auffassung der beiden Ex-Politiker.

Fakt ist: Ende der 1980er Jahre hatte sich Steinbach mehrfach mit Stasi-Offizieren getroffen, insgesamt mindestens 17mal. Einem wissenschaftlichen Gutachten des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin über die zu Thilo Steinbach vorliegenden Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zufolge habe er am 22. Mai 1985 „sein Einverständnis zur Zusammenarbeit erklärt“. Zwei Wochen später unterschrieb er demnach eine Schweigeverpflichtung. Das Gutachten kommt zwar zu dem Ergebnis, daß Steinbach mit der Stasi kooperierte. Jedoch handele es sich um einen minderschweren Fall, da er nichts Persönliches über Freunde und Kollegen berichtet habe. Ob Steinbach aus der CDU ausgeschlossen werden kann, gilt daher als fraglich.

Dennoch müßten bei der Union eigentlich die Alarmsirenen klingeln. Denn Steinbachs räumliche und personelle Nähe zu Stasi-Seilschaften und Perestroika-Kommunismus ist bezeichnend. Laut Gutachten bezeichnete er sich gegenüber der Stasi als „kommunistischen Christen“. Der noch kommunistisch ausgerichteten DDR-CDU trat er 1985 bei. Obwohl erst 22 Jahre alt, verfügte er bereits über verblüffend gute Kontakte zum Hauptausschuß der Partei. Wie einst der Vater von Angela Merkel war er in den achtziger Jahren Aktivist in der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), einer aus Moskau gesteuerten kommunistischen Tarnorganisation.

Die Stasi beschreibt ihn nach dem Anwerbegespräch als „sehr selbstsicher, teilweise sogar herausfordernd“. Demnach habe Steinbach erklärt, er wolle keine Spitzeltätigkeit ausüben und keinen ans Messer liefern. Auf einer anderen Ebene sei er jedoch mit Gesprächen einverstanden und betonte, daß er „die Notwendigkeit der Existenz des MfS begreife und von seiner Überzeugung her keine Vorurteile gegen die Arbeit des MfS“ habe. Allerdings habe er nicht die Absicht, „irgendwelche kleinkarierte Arbeit“ zu machen, dafür habe er keine Zeit.

Steinbach diskutierte mit dem MfS offenbar auch über den ihm beim Ausschlußverfahren zur Seite gesprungenen Rainer Eppelmann. „Den Eppelmännern müsse man offensiv den Rang ablaufen, sie dürften nicht zum Zuge kommen“, heißt es etwa. Auch die Stasi selbst wird von ihm kritisiert. Für einen Mittzwanziger auffällig selbstbewußt bemängelt er, daß „deine Firma“ gegen unabhängige Gruppierungen vorgegangen sei und ihnen damit Publizität verschafft habe. „Man müsse doch endlich einmal aus diesen Fehlern lernen und im Sinne unseres Staates offensiver werden. Über alle Probleme reden und die Kirche ‘vor den Karren spannen’, wäre das, was von Gorbatschow zu lernen sei. In bezug auf die „Friedenspolitik“ der DDR meinte er: „Wir sollten Qualität, nicht Protektion in den Westen schicken.“

Er würde weiterhin mit dem MfS Gespräche führen, aber nur mit einem kompetenten, verantwortlichen und sachkundigen leitenden Mitarbeiter. Er akzeptiere nur einen Partner, der auf allen Gebieten Kenntnis habe, mit dem „Konzeptionen der weiteren Entwicklung“ diskutierbar seien.

Selbstbewußt und offensiv vorgetragene Appelle, die an die Aktivitäten der Luch-Gruppe erinnern, einer inoffiziellen sowjetischen Geheimdienst-Abteilung, die nicht der KGB-Zentrale in Berlin, sondern direkt dem KGB-Hauptquartier in Moskau unterstand und während der Gorbatschow-Ära ab Mitte der achtziger Jahre den Auftrag hatte, den Perestroika-Prozeß in der DDR zu beschleunigen (siehe Infokasten). Steinbach spreche jedenfalls fließend Russisch, erzählt man sich in seinem näheren Umfeld.

Laut Einschätzung der Stasi sei er jemand, der von der Ordnung in der DDR überzeugt sei, aber „dem es schneller in der Entwicklung auch ideologischer Werte gehe“. Was die UdSSR jetzt innenpolitisch mache, sei „bei ihnen der einzige Weg zur Forcierung ihrer Entwicklung gewesen.“ Und: „Seine Ablehnung der oppositionellen Aktivitäten solcher Personen wie Eppelmann und Poppe führte zu durchaus wertvollen Informationen.“

Während der Wiedervereinigung steigt der gerade einmal 27 Jahre alte gelernte Baufacharbeiter zum außenpolitischen Berater des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière auf. Und gelangt dadurch in die Verhandlungsdelegation zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, wo er sich den Ruf eines „Horst Teltschik der DDR“ erwirbt. Knapp ein Jahr zuvor war es Steinbach gewesen, der sich für Lothar de Maizière als neuen und letzten Parteivorsitzenden der DDR-CDU stark gemacht hatte. Zuvor soll Steinbach auch in der Gruppe um den Unterzeichner des sogenannten „Weimarer Briefs“ um Martin Kirchner mitgewirkt haben. Deren Unterzeichner hatten 1989 die DDR-CDU aufgefordert, „die drängenden Probleme des Landes endlich realistisch und unbeschönigt“ wahrzunehmen. Kirchner, auf dem Sonderparteitag der Ost-CDU im Dezember 1989 noch zum CDU-Generalsekretär gewählt, sollte später als Stasi IM „Küster“ enttarnt werden.

Auch nach der Wende unterhält Steinbach beste Kontakte ins Milieu ehemaliger und mutmaßlicher Stasi-Agenten. Mit Lothar de Maizière verbinde ihn nach wie vor eine enge Freundschaft, raunt man sich in Potsdam zu. In der Berliner Chausseestraße teilt sich seine Unternehmensberatung einen Briefkasten mit der Rechtsanwältin Marianne Strodt. Die bereits vor der Wende in der DDR als Rechtsanwältin tätige Strodt gehörte von 1986 bis 1990 dem Vorstand des Ost-Berliner Rechtsanwaltskollegiums an. Seit 2007 ist sie in Kooperation mit der Anwaltskanzlei ihres Lebensgefährten Lothar de Maizière tätig. Dieser soll ebenfalls als IM „Czerny“ für die Stasi tätig gewesen sein. Er selbst bestreitet das.

Auch zu anderen ehemaligen oder mutmaßlichen Stasi-Agenten pflegt Steinbach, der hinter seinem Haus alte NVA-Militärfahrzeuge stehen hat, freundschaftliche wie geschäftliche Kontakte. Etwa zu Frank Marczinek, Ex-NVA-Offizier, der als IM „Frank Wulff“ unter anderem Kameraden der NVA-Militärakademie bespitzelt haben soll.

Marczinek ist Geschäftsführer der Brandenburgischen Boden Gesellschaft für Grundstücksverwaltung und -verwertung (BBG). Jener Vermarktungsgesellschaft für Landesflächen, die vom ehemaligen brandenburgischen Innenminister und einstigen FDJ-Jugendklubleiter Rainer Speer (SPD) privatisiert wurde. Die BBG steht im Zusammenhang mit dem umstrittenen Verkauf eines alten Kasernengeländes in Potsdam-Krampnitz zu äußerst günstigen Konditionen an ein weitverzweigtes Firmengeflecht im Jahr 2007. Seit Herbst 2010 beschäftigt sich nun ein Untersuchungsausschuß des Brandenburger Landtags mit den Immobiliengeschäften der Regierung Platzeck (SPD). Beleuchtet werden hier vor allem Vorwürfe der Vetternwirtschaft und Untreue.

Speer und Marczinek kennen sich gut. Bis vor einem Jahr gehörten beide dem Vorstand des Fußball-Drittligisten SV Babelsberg 03 an, Speer als Präsident, Marczinek als Bauverantwortlicher. Beide kennen auch Thilo Steinbach gut, der als Marketingchef im Vorstand fungierte.

Schon der ehemalige BBG-Vorsitzende und Ex-DDR-Richter Harald Holland-Nell soll als IM „Fabian“ für die Stasi gearbeitet haben. Und auch Steinbach war bei dem Immobilien-Deal mit von der Partie, arbeitete am Entwicklungskonzept für das Kasernengelände Krampnitz. Glaubt man das, was sich Potsdamer längst offen zuraunen, so arbeitet Steinbach auch mit Axel Hilpert eng zusammen. Manche munkeln, Steinbach habe auch an dessen Schwielowsee-Resort-Projekt „irgendwie die Finger mit im Spiel“ gehabt.

Hilpert, einst Antiquitäten-Chef-einkäufer im Bereich Kommerzielle Koordinierung, hatte als IM „Monika“ für die Spionage-Abwehr des MfS gearbeitet. Er gilt als Schlüsselfigur in einer sogenannten DDR-Kuba-Connection, in der es unter anderem um Waffenlieferungen ging. Mit dem Medienmanager und Ex-Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje betreibt er das Luxushotel Schwielowsee-Resort, in dem sich unter anderem die G8-Finanzminister getroffen hatten. Als Bild-Chef hatte Tiedje zur Wendezeit den Hinweis erhalten, daß der ehemalige Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs (DA) Wolfgang Schnur – ein Freund des Vaters der Bundeskanzlerin – für die Stasi gearbeitet hatte. Die Veröffentlichung sei letztlich ausgeblieben, das warum wäre schon interessant zu erfahren, merkt Gerd Langguth in seiner Biographie über Angela Merkel im Jahre 2004 kritisch an. Tiedje wurde 1998 Wahlkampfberater von Helmut Kohl. Es war die Wahl, in der Rot-Grün an die Regierungsmacht gelangen sollte.

 

Im Auftrag des KGB – die Luch-Gruppe

Die Luch-Gruppe war vom sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienst KGB Mitte der 1980er Jahre in der DDR ins Leben gerufen worden. Sie hatte den Auftrag zur Bildung einer geheimen KGB-Struktur in Deutschland, die nicht der offiziellen KGB-Zentrale in Berlin-Karlshorst unterstand, sondern dem sowjetischen KGB-Chef direkt unterstellt war. Ihre Aufgabe bestand darin, den Perestroika-Prozeß in der DDR voranzubringen. Neben Mitgliedern aus sogenannten Oppositionsgruppen rekrutierte man vor allem kommunistische Kader der zweiten Reihe aus den Bereichen der FDJ und der Kirche. Diese hätten gute Aussichten auf eine weitere Verwendung im wiedervereinigten Deutschland. Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley sagte in einem Fernsehinterview aus dem Jahr 1994, sie habe schon immer vermutet, daß das Neue Forum praktisch der verlängerte Arm Moskaus gewesen sei. Es habe damals viele im Neuen Forum gegeben, die seltsame Berührungspunkte mit der Sowjetunion gehabt hätten.

Foto: Thilo Steinbach als Zeuge im Krampnitz-Untersuchungsausschuß im Potsdamer Landtag (Februar 2012): Selbstsicheres, teilweise sogar herausforderndes Auftreten

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