© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Türkische Tendenzseite
„Migazin“: Was steckt hinter der deutsch-türkischen Netzseite, auf die Internetnutzer so oft stoßen?
Claus-M. Wolfschlag

Als „Fachmagazin für Migration und Integration in Deutschland“ bezeichnet sich die seit 2009 erscheinende Online-Zeitschrift Migazin. Moderat in Erscheinungsbild und Tonfall will sich das Blatt speziell an Leser der „Aufnahmegesellschaft“ richten.

Integration wird hier nicht als Eingliederung von Ausländern in die deutsche Kultur verstanden, sondern als gegenseitige Annäherung, die demnach auch die Deutschen zu vollziehen hätten. Sie könne also „nur beidseitig gelingen“. Daher übernehme das Migazin eine „Brückenfunktion“ und transportiere „Themen, die für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte interessant sind, an die deutschsprachigen Leserinnen und Leser“, wie es dort genderpolitisch korrekt heißt. Sonst ist auch von „LeserInnen“ die Rede. Ein neues „Wir-Gefühl“ zwischen Deutschen und Einwanderern werde durch „Dialog“, „mehr Akzeptanz und Toleranz“ sowie den Abbau von „Vorurteilen“ entstehen.

Das Migazin ist nach eigener Darstellung offen für jeden Mitautor. Bei den durch ein E-Mail-Verteilersystem verbundenen „Migmachern“, angeblich mehrere hundert, werde auf keine besondere Konfession, Ethnie oder Sprache abgezielt. Die weitgehend ethnische Ausrichtung des Magazins wird allerdings schöngeredet. Belgier, Chinesen oder Brasilianer bilden weder unter der Autorenschaft noch bei den Themen einen Schwerpunkt. Statt davon zu sprechen, daß es sich um eine Plattform von Türken oder Muslimen in Deutschland handelt, wird sich aber der gängigen „multikulturellen“ Sprachregelungen bedient, nach der das Blatt die Themen von „Menschen mit Migrationshintergrund“ aufgreife. Die Leserschaft ist gespalten: zur Hälfte deutsche, zur Hälfte ausländische Leser. Der Anteil der Türken unter den Lesern ausländischer Herkunft beträgt nach Eigenangaben der Seite jedoch 77 Prozent. Die Richtung des Informationsflusses ist eindeutig: „Unserer Überzeugung nach kann das gegenseitige Interesse und Verständnis nur gefördert werden, wenn auch der deutschsprachige Arbeitskollege, Nachbar oder Freund weiß, was die Interessen, Sorgen und Ängste seiner nichtdeutschstämmigen Mitbürger sind.“

Aus Deutschen werden „Deutschsprachige“ gemacht, „nichtdeutschstämmige Mitbürger“ offenbar nicht zu den „Deutschsprachigen“ gezählt. Wer aber nicht deutschsprachig ist, kann seine Sorgen und Ängste nun wirklich schwer gegenüber deutschen Kollegen und Freunden kommunizieren. So bedarf es wohl des Migazin als Vermittlungsinstanz. Da erscheint es vernachlässigbar, „nichtdeutschstämmige Mitbürger“ auch über die Interessen, Sorgen und Ängste von Deutschen anteilnahmsvoll aufzuklären.

Nicht nur meinungslastige Artikel bestimmen die Seite, sondern auch sachliche tagesaktuelle Meldungen. Doch ist die thematische Tendenz eindeutig. Es wird getitelt „Studie über Migrantenunternehmen widerlegt Vorurteile“, oder ein Gelingen des NPD-Verbots wird angemahnt. Ein Interviewpartner fordert mehr „Willkommenskultur“ und „gesellschaftliche Vielfalt“.

Gegründet wurde das Magazin von dem 35jährigen türkischstämmigen Kölner Ekrem Senol, der zuerst durch das Weblog jurblog.de auf sich aufmerksam gemacht hat. Dort wurde er angesichts der Sarrazin-Debatte sehr deutlich, wo für ihn die Grenzen des Dialogs und der Toleranz liegen. Die „Sarrazinsche Debattenkultur“ sei „weder wünschens- noch erstrebenswert“: „Es wäre ein Warnsignal an alle ähnlich denkenden Geister. Sollte Sarrazin mit einem blauen Auge davonkommen, kann sich in Zukunft kein Verantwortlicher mehr erbost, empört oder überrascht zeigen, wenn ähnliche Stimmen laut werden.“

In diese Kategorie passen auch Senols gute Ratschläge an hiesige Medien im Umgang mit Ausländern. Es reicht ihm nicht, ein eigenes Magazin herauszugeben. Er verlangt zudem von Konkurrenten: „Die Kopftuch tragende Frau mit Discounter-Einkaufstüte und Kinderwagen, die fast jeden zweiten Medienbericht ziert, muß aus den Redaktionen verbannt werden.“

In einem anderen Blogbeitrag wird die Vertretung der Rechte von seit Jahrhunderten im Ausland ansässigen Deutschen mit jenen von Einwanderergruppen gleichgesetzt, die nun „Minderheiten in Deutschland“ seien.

Zum Auftritt des türkischen Premiers Erdogan 2008 in der Köln Arena äußerte Senol in einem Interview mit der Süddeutschen: „Ich finde solche Veranstaltungen schon okay. Aber es ist schade, daß ein türkischer Premier bei Menschen, die seit 40 Jahren in einem anderen Land leben, so enthusiastisch gefeiert wird. Mir wäre es lieber, wenn unsere Integrationsbeauftragte Maria Böhmer solche Begeisterung auslösen könnte.“ Ein Deutschlandhasser ist Senol aber keinesfalls: „Man darf sich natürlich auch nicht respektlos oder abweisend gegenüber der Kultur hier verhalten.“ Sonst entstünde „schnell eine Blockadehaltung auf beiden Seiten“.

Ursprünglich sei Migazin ehrenamtlich geführt worden, nun aber finanziere man sich durch Werbeeinnahmen und Spenden. Größter Werbekunde ist zur Zeit die Deutsche Bahn, die Namen der Spender werden nicht genannt.

Migazin. Multikulti-Netzseite

www.migazin.de

Foto: „Migazin“: Mit 80.000 Lesern pro Monat eine der wichtigsten deutsch-türkischen Netzseiten

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