© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

„Ich hoffe, daß die Bürger aufwachen!“
Am 25. Mai verabschiedet der Bundestag den ESM-Vertrag. Kritik daran kommt meist von Politikern und Finanzexperten. Eine Ausnahme ist der Solist Markus Stockhausen, Sohn des bekannten Komponisten. Warum engagiert sich ein Musiker gegen die Euro-Rettungspolitik?
Moritz Schwarz

Herr Stockhausen, wieso engagiert sich ein Musiker gegen die Euro-Rettungspolitik?

Stockhausen: Warum nicht?

Zu 95 Prozent sind es Wirtschaftsprofessoren, Juristen und Politiker, die das tun.

Stockhausen: Dann ist es vielleicht gut, wenn auch ein Musiker darunter ist.

Als einziger namhafter Künstler finden Sie sich etwa auf der Erstunterzeichnerliste des ESM-kritischen „Bündnis Bürgerwille“.

Stockhausen: Es stimmt, die meisten Erstunterzeichner dort sind „vom Fach“, aber ich bin nicht der einzige bekannte Künstler. Auch Manfred Schoof, Christoph Poppen oder Thomas Baumgärtel haben dort unterschrieben.

Aber Sie haben einen berühmten Namen.

Stockhausen: Dank meines Vaters ...

... Karlheinz Stockhausen, einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Stockhausen: Ja, aber das hat hiermit nichts zu tun. Künstlerisch verdanke ich ihm natürlich unendlich viel, aber hier geht es um ein politisches Anliegen, das ich mit der Musik nicht vermischen will.

Warum nicht?

Stockhausen: Das entspricht mir nicht.

Aber Kunst, die politisch Stellung nimmt, gilt als besonders aufgeklärt!

Stockhausen: Nein, ich glaube da gehen Sie zu weit. Für mich ist ein Konzert ein Ritual, das ich nicht entfremden will. Die Menschen kommen ja, um Musik zu hören, und wenn ich mich während eines Konzerts mit dem Thema Euro-Rettungspolitik ans Publikum wenden würde, mißbrauchte ich ihr Vertrauen.

Nochmal, wie kommt ein Musiker eigentlich zu diesem Thema?

Stockhausen: Wie jeder normale Bürger auch: durch die Lektüre von Zeitungen, dann durch vertiefende Recherchen im Internet. Je mehr ich mich mit dem Thema Euro-Rettungspolitik und insbesondere dem ESM beschäftigt habe, desto mulmiger wurde mir.

Warum?

Stockhausen: Mir wird immer klarer, da rollt etwas wie eine Flutwelle auf uns zu und fast alle schlafen. Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um die Einbuße unserer demokratischen Grundrechte, um unsere staatliche Souveränität. Ich unterstütze deshalb nicht nur das Bündnis Bürgerwille, sondern auch andere Initiativen, wie „mehr-demokratie.de“ oder den Bund der Steuerzahler bei ihrer Initiative „stop-esm.org“.

In nur zwei Wochen wird der Bundestag den ESM-Vertrag verabschieden. Danach ist der Mechanismus unumkehrbar, egal wie hoch der finanzielle und politische Preis in Zukunft steigen wird.

Stockhausen: Eben! Und ich hoffe, daß es irgendwie noch gelingt, eine Gegenkraft zu mobilisieren gegen das Unheil, das dann auf den Plan treten wird. Ich hoffe, daß noch möglichst viele Bürger endlich aufwachen und schnell handeln, es bleibt kaum noch Zeit! Wenn bis zum 20. Mai noch Hunderttausende mit unterschreiben, dann würde das sicher wahrgenommen werden und die Situation verändern. Die Idee eines Rettungsschirmes mag ja grundsätzlich gut sein, aber die Fakten, die mit dem ESM-Vertrag geschaffen werden, machen Angst und sind unakzeptabel. Ich frage mich, wer hat solche Regelungen erdacht? Bei „buendnis-buergerwille.de“ etwa kann man diese Fakten nachlesen. Ich kann nur an alle, die es noch nicht getan haben, dringend appellieren, sich den ESM-Vertrag einmal genau durchzulesen.

Was befürchten Sie denn konkret?

Stockhausen: Deutschland wird im Rettungsschirm der Hauptbürge sein. Sollte der Rettungsfall eintreten, könnte unsere noch standhafte Wirtschaft sehr schnell in die Knie gehen. Wir geben Garantien für über 400 Milliarden Euro. Mit dem ESM geben wir unsere finanzielle Souveränität für immer ab. Der Gouverneursrat des ESM kann Deutschland zwingen, innerhalb kürzester Zeit weitere Beträge in den Fonds einzuzahlen, ohne daß unsere Regierung mitent-scheiden darf, und die Bürger werden schon gar nicht gefragt. Durch die Installierung des ESM werden in Europa Zug um Zug Strukturen etabliert, die die nationalen Rechte sehr stark beschränken und die Demokratie untergraben. Der Gouverneursrat untersteht keiner Gerichtsbarkeit, ist immun, kann aber andere Staaten verklagen usw., das ist unglaublich! Historisch betrachtet existiert die Freiheit in Europa noch gar nicht so lang. Und diese Freiheit wird im Rahmen der Euro-Rettung wieder deutlich eingeschränkt: Wir erleben eine in Riesenschritten voranschreitende Entmachtung des Bürgers. Die Macht liegt mehr und mehr bei den Finanzjongleuren.

Eigentlich ein Paradethema für die Kunst!

Stockhausen: Wenn man sich als politischer Künstler versteht ...

Ende 2011 gab es dazu ein zaghaftes Aufflackern in den Feuilletons: Kritisiert wurde das – als Totalausfall empfundene – Schweigen der Intellektuellen und Künstler zum Thema Euro- und Finanzkrise.

Stockhausen: Ja, ich spüre eine große Indifferenz: Die Leute sind zwar grob informiert, aber das Thema wird kaum diskutiert, das überläßt man den Politikern.

Ist das nicht untypisch für Intellektuelle und engagierte Künstler?

Stockhausen: Ich habe zu Beginn meines ESM-kritischen Engagements eine große Rundmail-Aktion in meinem Freundeskreis gemacht. Von etwa hundert Angeschriebenen haben darauf nur drei geantwortet. Die Bereitschaft, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist also selbst unter Künstlern in der Tat kaum vorhanden: Man lehnt Zweifel an der Euro-Rettung ab, interessiert sich nicht dafür oder hat innerlich damit abgeschlossen.

Aber warum?

Stockhausen: Ich verstehe es auch nicht. Manche finden die „Panikmache“ unangebracht, andere sehen den finanziellen Niedergang als unausweichlich: „Von der Spitze des Berges gehen alle Wege abwärts“. Zudem wirkt das Mantra der „Alternativlosigkeit“ hypnotisch, und wenn es keine Alternative mehr gibt, dann gibt es nur noch das Eine, das Totale. Dahin wollen wir bitteschön nicht wieder.

Bekommen Sie den Vorwurf, als Musiker dafür doch gar nicht „zuständig“ zu sein?

Stockhausen: Nein, und gerade als Musiker hat man ein besonders entwickeltes Gefühl für Harmonie. Das ist es schließlich, was beim Musizieren immer wieder geschult wird. Und dieses Gespür macht besonders sensibel für die heraufziehende Disharmonie, die ich auf meinen Reisen in Europa zunehmend verspüre. Dazu kommt, es ist der Kultursektor, wo meist zuerst gespart wird. Die Kunst ist so etwas wie ein Seismograph, wo zuerst wahrgenommen wird, was bald allen droht: Erst trifft es die Kultur, schließlich die Mitte der Gesellschaft. Es ist erschreckend, wie viele Musiker in Italien oder Griechenland zunehmend arbeitslos sind und inzwischen mit dem Allerwenigsten auskommen, oder mit zehn Jobs ihre Familien über Wasser halten müssen. Jetzt fahre ich nach Athen zu einem Konzert zusammen mit griechischen Musikern. Die haben’s echt schwer.

Eine österreichische Zeitung bezeichnete die Euro-Kritiker unlängst als „dümmliche Populisten“. Trifft Sie das?

Stockhausen: Überhaupt nicht. Sehen Sie, wer auf der Autobahn mit hoher Geschwindigkeit fährt und plötzlich anderswo langfahren soll, dem paßt das nicht. So trifft es die Politiker: Die Richtung ist eingeschlagen, die EU nimmt Fahrt auf, und da will man im Geschwindigkeitsrausch natürlich nicht hören: „Wir fliegen aus der Bahn!“ Warner werden von vielen als Störenfriede empfunden. Aber ich möchte klarstellen, daß ich gerade als Musiker und Künstler die Freiheit, sich in Europa frei bewegen zu können und Informationen auszutauschen, Konzerte hier und morgen da zu spielen, als einen großen Gewinn sehr, sehr schätze! Ich bin für die EU, für ein europäisches Parlament und im Grunde auch für einen Euro, wenn er denn funktionieren würde. Ich meine, die Erde ist so gemacht, daß wir wirklich in einem Paradies leben könnten. Nach meiner Meinung erschaffen wir alle, jeder für sich, seine Umwelt. Zunächst erschaffen wir uns selbst mit unseren Gedanken, Gefühlen, Taten und Worten. Damit erschaffen wir unsere eigene Sphäre, in der wir uns bewegen, und unser unmittelbares Umfeld, unsere Familie, Freunde, unsere kleine lokale und unsere nationale Kultur – das alles schwingt ineinander. Wenn Respekt da wäre, wenn die Freiheit des einzelnen geachtet würde, wenn wirklich ein Mitgefühl da wäre für alle Lebewesen, so daß das Leid der anderen Menschen einen angeht und man sich nicht darüber hinwegsetzt oder es ignoriert, dann könnten hier auf der Erde Dinge passieren, die wirklich wunderbar wären! Einer meiner größten Kritikpunkte überhaupt ist: Daß die menschliche Intelligenz dazu mißbraucht wird, um andere zu übervorteilen.

Die Rettungsschirmbefürworter sagen allerdings, mit dem Euro – als erstem Schritt hin zu den Vereinigten Staaten von Europa – kämen wir genau diesem Paradies näher.

Stockhausen: Wen retten wir eigentlich? In erster Linie Banken, also profitiert eine Eilte, Gewinne werden privatisiert, Schulden vergemeinschaftet. Übrigens finde ich ein Europa der Kooperation in Freiheit sehr gut. Austausch von Kultur, Inhalten und Ideen ist sehr wichtig! Aber ich finde in Europa auch gut, daß wir unsere kulturellen Eigenheiten haben. Keine Vergemeinschaftung um jeden Preis, keine Abzocke Schwacher. Die multinationalen Handelsketten etwa vernichten lokale Kultur. Und Offenheit und Austausch sind nicht gleichzusetzen mit Nivellierung und Entmachtung der einzelnen, nationalen Demokratien.

Sagten Sie nicht, daß Sie durchaus „für EU, Europaparlament und Euro“ seien?

Stockhausen: Ich sprach von Offenheit und Austausch, das bedeutet nicht Einebnung, sondern Respekt vor unserer Vielfalt, vor unseren einzelnen nationalen kulturellen Eigenschaften, vor der Wesensart unserer Völker. Warum sollten wir nicht eine gemeinsame Währung haben, wenn sie denn funktionieren würde? Aber wenn sie – so wie sich das jetzt im Zuge der Euro-Rettungspolitik abzeichnet – zur Herstellung einer großen zentralen Regierung jenseits des selbstbestimmten Willens der Völker mißbraucht wird, dann sage ich: Stopp! Das geht viel zu schnell und zu weit. Ich finde nicht, daß uns eine solche Regierung dem Paradies, von dem ich gesprochen habe, näher bringt. Nehmen Sie nochmal den Gouverneursrat, wo Deutschland recht einfach durch nur drei Länder überstimmt werden kann. Spätestens da wird doch deutlich, daß irgend etwas an dieser Konstruktion nicht stimmt. Denn wenn die potentiellen Empfänger den Geber überstimmen können, ist doch klar, wie das ausgeht. Ich denke an meine Kinder und was das für die nächste oder übernächste Generation bedeutet, was für eine Zukunft da auf uns zukommt, wenn wir über unsere nationalen Ausgaben nicht mehr selbst bestimmen können. Und Deutschland hat schon über zwei Billionen Euro Schulden – wie sollen die jemals getilgt werden?

Fühlen Sie sich manchmal nicht machtlos angesichts dieses Szenarios?

Stockhausen: Nein, ich fühle mich keineswegs machtlos, sondern ich habe vielseitige Möglichkeiten kreativ zu sein und mich frei zu entfalten. Ich habe die Musik, mit ihr befinde ich mich wirklich in einem Paradies, das ich selbst gestalten kann. Und ich glaube, daß ich mit meiner Musik in anderen Menschen auch etwas bewegen kann. Und wenn sie dadurch berührt werden, daß ihnen dies dann Kraft zum Leben gibt und zum klaren Denken und Fühlen. Daraus kann wiederum bei ihnen eine geistige Initiative entstehen – so sehe ich meinen Beitrag. Musik wirkt sehr tief in den Menschen hinein, das ist etwas sehr Intimes, und ergo ist es etwas sehr Verantwortungsvolles, was man als Musiker macht. Und die geistigen Kräfte werden dem Menschen letztlich immer helfen, alle Krisen und Probleme durchzustehen und sie am Ende zu überwinden. Und zum Schluß noch eine schöne Nachricht: Mein Bruder Simon und ich sind soeben als „Artists in Residence“ bei den Hamburger Symphonikern für die nächste Spielzeit eingeladen worden, das ist wunderbar!

 

Markus Stockhausen, ist Sohn des berühmten Komponisten Karlheinz Stockhausen und selbst Komponist und Musiker. Als einer der ganz wenigen deutschen Künstler engagiert er sich öffentlich gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung. Stockhausen, geboren 1957 in Köln, studierte klassische Trompete und Jazztrompete und spielte in zahlreichen Formationen in ganz Europa. Er trat etwa in der Mailänder Scala oder mit dem BBC Symphony Orchestra in Covent Garden auf. Für den Deutschen Evangelischen Kirchentag komponierte er das Werk „Abendglühen“, und für das Jubiläum der Kölner Philharmonie entwickelte er das Musikprojekt „Köln Musik Fantasy“, das mit einer Licht-Laser-Show und Feuerwerk vor mehr als 100.000 Menschen aufgeführt wurde. Außerdem arbeitete er für das Theater, schuf etwa zusammen mit Hanna Schygulla das Projekt „Kronos Kairos“ für das Staatstheater Mainz. Stockhausen lehrte an der Kölner Hochschule für Musik, erhielt 2005 den Jazzpreis des WDR, gründete 2010 die Internationale Akademie für Intuitive Musik und hat bis heute über sechzig CDs veröffentlicht.

www.markusstockhausen.de

www.buendnis-buergerwille.de

Foto: Dem Euro den Marsch blasen – Musiker Stockhausen in Aktion: „Ich bin für die EU, für ein europäisches Parlament und im Grunde auch für den Euro, wenn er denn funktionieren würde ... Aber ich denke an meine Kinder und daran, was für eine Zukunft da auf uns zukommt. Ich hoffe, daß es irgendwie noch gelingt, eine Gegenkraft zu mobilisieren. Die Zeit wird knapp.“

 

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