© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Kenneth Rogoff gehört zu den profiliertesten Warnern vor der nächsten Finanzkrise
Der Prophet
Elliot Neaman

Die Leute denken doch, das sei nur eine Erkältung gewesen, das sei vorbei. Falsch, es ist eine Lungenentzündung! Unsere Schulden haben bereits die Stratosphäre erreicht!“ Der Mann, der da warnt, gilt inzwischen als die Wirtschafts-Kassandra der USA – vergleichbar hierzulande mit dem bei uns während der Finanzkrise 2008 schlagartig bekannt gewordenen Wormser Wirtschaftsprofessor und Krisenpropheten Max Otte.

Allerdings haben Otte und Rogoff das gleiche Problem wie die trojanische Warnerin: Keiner hört auf sie. Dabei war Rogoffs Buch „Dieses Mal ist alles anders“ 2009 ein Verkaufsschlager. Er und seine Mitautorin Carmen Reinhart schufen dafür eine neuartige Datenbank, untersuchten Finanzkrisen der letzten achthundert Jahre, um quantitative Vergleiche zwischen Entwicklung und Folgeerscheinungen von Staatsbankrotten und Konjunkturschwankungen anstellen zu können. Sie stellten fest: Immer das gleiche Muster – bis heute. Das Buch weist sozusagen mit mahnendem Zeigefinger darauf hin, daß jede noch so schillernde Seifenblase früher oder später platzen muß – eine Binsenweisheit, mit der sich Politiker aber ebenso schwertun wie Normalverbraucher. „Wir leihen uns dennoch Geld wie verrückt“, stellt Rogoff resigniert fest: „Die Politiker wissen über die wahre Situation Bescheid, aber sie wollen nicht die Überbringer der schlechten Nachricht sein, das überlassen sie uns Wirtschaftsprofessoren.“

Geboren 1953 im Staate New York, hätte sich der Harvard-Professor, ehemalige Chefökonom und Wissenschaftliche Direktor des IWF so wie vormalige Schach-Großmeister kaum ein Spezialgebiet aussuchen können, das von größerer Relevanz für die heutige globale Wirtschaftslage wäre. So korrigierte er überdies mit seinem Buch die weitverbreitete Fehlannahme, schwere Wirtschaftskrisen seien trotz allem nur seltene Phänomene.

Zwar wenden Kritiker ein, daß Aufschwungsphasen, die tatsächlich zu nachhaltigem Wachstum führten und Wohlstand schufen – etwa der Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert –, dabei zu wenig Berücksichtigung fänden. Und sie bemängeln, daß den Positionen der klassischen Wirtschaftsliberalen wie Ludwig von Mises und Friedrich Hayek, die die wahren Gründe für Konjunkturzyklen in einer schlechten Währungspolitik sehen, nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werde. Dennoch hat das Buch – auch wenn der zentrale Apell zum Schuldenabbau ignoriert wird – einen enormen Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger gewonnen. Eingeweihte reden bereits davon, daß wir in einer „Reinhart-Rogoff-Welt“ lebten, und meinen eine Welt der sinkenden Erwartungen und des wachsenden Bewußtseins für die Fragilität ökonomischer Systeme – kurz, eine Welt, in der der nächste Crash schon absehbar ist.

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