© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Wer sind und was wollen sie?
Piraten: Führungspersonal und Programm verraten, daß die Polit-Aufsteiger eine linke Partei sind
Felix Krautkrämer / Henning Hoffgaard

Freiheit des Internets, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, mehr Transparenz in der Politik und mehr Basisdemokratie – das sind die Schlagworte, mit denen sich die Piratenpartei gerne in Verbindung bringen läßt. Zu aktuellen politischen Fragen wie der Euro-Krise, dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr oder dem Nahostkonflikt haben die Piraten dagegen keine einheitliche oder überhaupt keine Position.

Auch bei der politischen Positionierung hält man sich bewußt vage. Im Wahlprogramm von Schleswig-Holstein beschrieben sie sich als „weder links noch rechts“, noch „ausschließlich als konservativ oder liberal“. Statt dessen sei man „kosmopolitisch“, das Internet kenne schließlich keine Grenzen und seine Bürger keine Hautfarbe. Doch auch wenn die Piraten gerne betonen, sie seien keine gewöhnliche Partei und das übliche Rechts-links-Schema lasse sich aufgrund der von ihnen vertretenen Inhalte nicht auf sie anwenden, offenbart ein Blick in die Wahlprogramme aus Schleswig-Holstein (SH), Nord-rhein-Westfalen (NRW), dem Saarland (SL) und in das Grundsatzprogramm der Bundespartei, sowie Stellungnahmen zum tagespolitischen Geschehen ein gänzlich anderes Bild. Abseits von Transparenz und Internet unterscheiden sich die Piraten bei den klassischen politischen Themen wie innere Sicherheit, Integration oder Familie so gut wie nicht von der Konkurrenz aus SPD, Grünen und Linkspartei.

 

Abschaffung des Gymnasiums

Die Piraten plädieren für die Einführung der Einheitsschule (NRW), die Sonderschule soll abgeschafft werden (NRW, SH und SL). In der Grundschule soll die Klassengröße 15 Schüler nicht übersteigen, an den weiterführenden Schulen die Schulklassen durch ein „flexibles Kurssystem“ abgelöst werden (NRW). Zudem fordern sie die Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts (SH, SL). Die Piraten sind gegen die sogenannten Kopfnoten, mit denen das Verhalten der Schüler bewertet wird (Grundsatzprogramm). Studiengebühren lehnen sie ab (NRW, SH, SL). Außerdem fordert die Partei die „Demokratisierung der Bildungseinrichtungen“, wodurch „den Lernenden“ eine „angemessene Einflußnahme“ ermöglicht werden soll (Grundsatzprogramm).

 

Grundeinkommen für alle

„Wir wollen Armut verhindern, nicht Reichtum“, heißt es im Grundsatzprogramm der Piraten. Daher fordert die Partei die Einführung eines bedingungslosen Grundgehalts. Nur so könne „die Würde jedes Menschen ausnahmslos gesichert“ werden. Jeder Bürger sollte daher vom Staat ein Einkommen zur Existenzsicherung bekommen – ohne Gegenleistung. Außerdem sprechen sich die Piraten für die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde aus (SL). Hartz IV und „Ein-Euro-Jobs“ lehnen sie ab (NRW).

 

Drogenfreigabe, kein Privileg für Kirchen, kostenlose Busfahrten

Die „Privilegierung der traditionellen christlichen Kirchen“ durch den Staat ist den Piraten ein Dorn im Auge. Daher fordern sie die Abschaffung der Erfassung der Religionszugehörigkeit sowie des Einzugs von Kirchenbeiträgen durch staatliche Stellen (Grundsatzprogramm). Der Kirchenaustritt müsse kostenlos sein (SH) und das Tanzverbot an sogenannten „Stillen Tagen“ (Karfreitag, Volkstrauertag) aufgehoben werden (NRW, SL). Die Partei wirbt zudem für einen „fahrscheinlosen“ öffentlichen Nahverkehr (SH, NRW), wie genau aber die „unentgeltliche Nutzung“ der Verkehrsmittel finanziert werden soll, ist unklar.

Die Piraten stehen für eine „repressionsfreie Drogenpolitik“ (Grundsatzprogramm). Die „Bevormundung Erwachsener beim verantwortungsvollen Umgang mit Rausch- und Genußmitteln“ widerspreche der „Grundüberzeugung der Piraten“. Die „bisherige Kriminalisierung der Konsumenten“ müsse beendet werden. „Herstellung, Verkauf und Konsum von Hanfprodukten muß aus der Kriminalität herausgeholt und den Mechanismen des Jugend- und Verbraucherschutzes unterworfen werden“ (NRW).

 

Flüchtlinge automatisch dulden

„Wir sehen die Vielfalt, die auch durch das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft entsteht, als Bereicherung des gesellschaftlichen Lebens an“ (Grundsatzprogramm). Die Piraten sind für die doppelte Staatsangehörigkeit, das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer (Grundsatzprogramm, NRW, SH) und fordern ein Recht auf „ein menschenwürdiges Leben, auf Bewegungsfreiheit und die Teilhabe an der Arbeitswelt, an Bildung und Kultur“ für Asylanten (Grundsatzprogramm). Die Anforderungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht sollen herabgesetzt werden und geduldete Flüchtlinge automatisch ein solches Recht bekommen, wenn sie fünf Jahre in Deutschland leben. Abschiebungen und Abschiebehaft wollen die Piraten abschaffen. „Generell halten wir das Asyl- und Ausländerrecht Deutschlands für überarbeitungsbedürftig, da es die Menschenrechte nicht effizient schützt. Hierzu gehört auch die Gestaltung einer humanen Einwanderungspolitik“ (NRW).

 

„Selbstbestimmung der sexuellen Identität“

Die Einführung des Betreuungsgelds lehnt die Piratenpartei ebenso ab (SL)wie das Ehegattensplittung. „Das Betreuungsgeld würde in erster Linie das konservative Familienmodell fördern, bei dem die Frau zu Hause bleibt, um sich um die Kinder zu kümmern, während der Mann arbeiten geht.“ (Pressemitteilung der Bundespartei) Die Piraten fordern statt dessen den Rechtsanspruch auf eine ganztägige Kinderbetreuung von Geburt an.

Zudem steht die Partei für „die freie Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung“ (Grundsatzprogramm). Die Erfassung des Merkmals „Geschlecht“ durch staatliche Behörden lehnt sie ab, der „Zwang zum ge-schlechtseindeutigen Vornamen“ soll abgeschafft und die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung als Asylgrund anerkannt werden. Außerdem setzen sich die Piraten „für die vollständige rechtliche Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft“ ein, letztere müsse auch für Beziehungen möglich sein, die aus mehr als zwei Personen bestehen. Auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sollen das Recht erhalten, „Kinder bekommen, adoptieren und aufziehen“ zu dürfen. Das Inzestverbot lehnt die Piratenpartei ab (Pressemitteilung Bundespartei).

 

„Kampf gegen Rechts“

Die Piraten treten „Rassismus und Ausländerfeindlichkeit jeder Form“ ebenso „wie anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ entschieden entgegen (Grundsatzprogramm). Biologistische Weltbilder sind mit den Werten und Zielen der Partei genauso unvereinbar wie jene Ideologien, die „ganzen Bevölkerungsgruppen kollektive Hegemoniebestrebungen unterstellen, um die angebliche Notwendigkeit eines ‘Kampfs der Kulturen’ zu propagieren.“ Dabei gelte es, „das Augenmerk nicht nur auf den rechten Rand der Gesellschaft zu legen, sondern Vorurteilen und Intoleranz auch in der Mitte der Gesellschaft beim Alltagsrassismus, latent antisemitischen Stereotypen und der um sich greifenden Islamfeindlichkeit entgegenzutreten.“ Die Piraten wollen Initiativen unterstützen, „die rechtsextremen Aktivitäten entgegentreten“. Das Problem des Rechtsextremismus sei in den vergangenen Jahren allzuoft verkannt, ignoriert oder kleingeredet worden (NRW). „Präventionsarbeit in diesen Bereichen wurde durch Budgetkürzungen erschwert und mitunter unmöglich gemacht. Diese Schritte müssen rückgängig gemacht werden, so daß diese Programme nicht nur ihre alte Stärke zurückgewinnen, sondern darüber hinaus weiter ausgebaut werden können.“

In einem Antrag beschlossen die Piraten auf ihrem Bundesparteitag Ende April, daß die Leugnung oder Relativierung des Holocaust „unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit“ den Grundsätzen der Partei widerspreche.

 

Gegen jede Videoüberwachung

Neben einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten (NRW, SL, SH) setzen sich die Piraten auch dafür ein, daß Vernehmungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich aufgezeichnet werden, um zu dokumentieren, wie die Aussagen der Beschuldigten zustande gekommen sind (NRW). Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum lehnen sie dagegen ebenso ab (NRW, SL, SH) wie die polizeiliche Videoüberwachung auf Demonstrationen. Zudem fordern die Piraten die Streichung des Paragraphen 90 Strafgesetzbuch (Verunglimpfung des Bundespräsidenten). Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität sollen Resozialisierungsangebote wie zum Beispiel Patenschaften ausgeweitet werden (NRW).

 

Der Verwalter

Bernd Schlömer

@BuBernd

41 Jahre alt – Parteivorsitzender

Ohne Twitter geht bei den Piraten gar nichts. Der Kurznachrichtendienst mit seiner 140-Zeichen-Begrenzung ist das bevorzugte Kommunikationsmittel der Piraten. Auf wirklich viele „Follower“ kommen allerdings nur die wichtigsten und bekanntesten Köpfe der jungen Partei, deren Basis ihre Führung stets mißtrauisch beäugt. Bernd Schlömer ist deswegen die logische Wahl als Parteivorsitzender. Dem auf den ersten Blick unscheinbaren Politiker war die FDP nicht „bürgerrechts-liberal“ genug und die Grünen schlicht zu „muffig“. Er entschied sich deswegen 2009 für die Piraten. Seitdem kümmert sich der frisch gewählte Parteivorsitzende vor allem um die Verwaltung. So auch als Schatzmeister im Bundesvorstand und als stellvertretender Parteivorsitzender. Die Basis liebt Schlömer, der kaum eine Gelegenheit ausließ, einen Parteitag oder Stammtisch der Piraten zu besuchen. Politisiert hat sich der Vater von zwei Kindern zu Studentenzeiten als Referent beim AStA der Universität Osnabrück. Hauptberuflich arbeitet der Piratenchef heute als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium und ist dort für die Verwaltung der beiden Bundeswehruniversitäten zuständig.

 

Der ungeliebte

Christopher Lauer

@Schmidtlepp

27 Jahre alt – Abgeordneter im Abgeordnetenhaus Berlin

Mit seinem resoluten, von vielen Piraten als arrogant empfundenen Auftreten hat sich Christopher Lauer bei der Basis nicht sonderlich beliebt gemacht. Seine Bewerbung für den Bundesvorsitz 2011 als auch für den Posten des Fraktionschefs in Berlin scheiterte. Dennoch ist Lauer längst eines der bekanntesten Gesichter der Piraten und läßt, abgesehen von der ehemaligen politischen Geschäftsführerin Marina Weisband, auch alle seine Parteikollegen hinter sich, was die Popularität bei Twitter angeht. Lauer, der an Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung leidet, studiert Theater und Technik in Berlin und ist derzeit innen- und kulturpolitischer Sprecher der Berliner Piratenfraktion. Seine Angriffe gegen den mittlerweile abgewählten Parteichef Sebastian Nerz haben das Klima zwischen dem mächtigen Berliner Landesverband und dem Bundesvorstand nachhaltig zerrüttet.

 

Der linksausleger

Klaus Peukert

@tarzun

35 Jahre alt – Beisitzer im Bundesvorstand

Gelassenheit durch Kompetenz.“ Sein Wirken hat Klaus Peukert nur selten mit seinem Lebensmotto in Einklang bringen können. So ging er den Berliner Landesvorsitzenden Hartmut Semken via Twitter wegen dessen angeblich „rechter Äußerungen“ so heftig an, daß dieser ihn dort schließlich blockierte. Daß Semken sich danach selbst als „Linksextremist“ bezeichnete, konnte die Wogen kaum glätten. Die meisten Piraten sind von Peukerts „Kampf gegen Rechts“-Kurs allerdings sehr angetan. Niemand bekam bei den Wahlen für die Beisitzer im Bundesvorstand so viele Stimmen wie Peukert, der den „Pirantifas“, einer linksextremen Gruppierung innerhalb der Piraten nahesteht. Die „Pirantifa“ hatte vor dem Parteitag Ende April im Internet eine Liste von Piraten veröffentlicht, die unter anderem gefordert hatten, sich auch gegen Linksextremisten zu positionieren. Intern ist Peukert für die parteieigene Meinungsbildungssoftware „Liquid Feedback“ mitverantwortlich.

 

Der Künstler

Johannes Ponader

@JohannesPonader

35 Jahre alt – Politischer Geschäftsführer-

Als Nachfolger des Medienlieblings Marina Weisband hat Johannes Ponader einen undankbaren Job. Kein Wunder also, daß der frisch gewählte politische Geschäftsführer der Piraten als erstes ankündigte, künftig mehr nach Innen arbeiten zu wollen. An der nötigen Zeit wird es dem nach eigener Aussage „polyamant“ lebenden Theaterpädagogen als Hartz-IV-Empfänger nicht mangeln. Der bestens vernetzte Ponader hatte sich innerhalb der Piraten mit seinem Einsatz für das bedingungslose Grundeinkommen bekannt gemacht. Zudem setzt er sich für die „gesellschaftliche Anerkennung von freien Beziehungsformen“ ein. Neben seiner Arbeit bei den Piraten hatte er sich vor allem mit seinem Engagement bei der „Occupy-Bewegung“ einen Namen in der linken Szene der Hauptstadt gemacht. Sein Verhältnis zu den Medien gilt als angespannt. So beschwerte sich die linke taz, Ponader verbringe manch „Abendstunde damit, mit juristischen Schritten gegen ihm mißliebige Artikel zu drohen“. Bei seinen ersten Fernsehauftritten gab sich der Einserabiturient betont arrogant.

 

Die Überschätzte

Julia Schramm

@laprintemps

26 Jahre alt – Beisitzerin im Bundesvorstand

Sie wollte die neue Marina Weisband werden: Jung, weiblich und frech. Ihre Kandidatur zur Parteichefin scheiterte allerdings kläglich. Am Ende mußte sie sich mit dem Posten als Beisitzerin im Bundesvorstand zufriedengeben. Die Befragung durch die Mitglieder auf dem Parteitag Ende April kam einem Desaster gleich. Zwar hatte sie ihre Rede gut vorbereitet, die meisten Piraten wollten allerdings bloß wissen, ob sie nicht nur ihr neues Buch vermarkten wolle. Die Kritik daran zerrte offenbar so stark an den Nerven, daß sie die hochfrequentierten Mailverteiler zum Thema „Urheberrecht“ beleidigt verließ, weil sie annahm, dort würde nur noch über sie und ihr Buch gesprochen. Auf ihrem Internetblog bezeichnet sich die 26 Jahre alte Politikwissenschaftlerin selbst als „Konstruktivist“ und „Feministin“. Obwohl die wenigsten Piraten etwas mit den pseudointellektuellen Traktaten Schramms anfangen können und sich stets gegen eine zu starke Personalisierung ihrer Partei wehren, hat sie dennoch das Zeug zum Medienliebling. Schon allein weil sie nicht in das Klischee eines „normalen Piraten“ paßt.

 

Piratengeld

Die Einnahmen der Piratenpartei setzen sich wie bei den übrigen Parteien vor allem aus den Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden sowie aus staatlichen Mitteln zusammen (siehe Grafik). Derzeit erhalten Parteien für bis zu vier Millionen gültige Wählerstimmen einen festen Betrag von 85 Cent je Stimme, sofern sie bei den Bundestags- und Europawahlen mindestens 0,5 Prozent, bei Landtagswahlen mindestens ein Prozent der Stimmen für ihre Liste erlangen konnten. Zusätzlich erhalten sie einen Betrag von 38 Cent für jeden Euro, den sie über Beiträge oder Spenden einnehmen. Die letzten gesicherten Angaben stammen aus dem Jahr 2010, die Daten für 2012 sind geschätzt. Im Jahr 2011 erhielten die Piraten allein als Wahlkampfkostenzuschuß über 206.000 Euro.

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