© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Der Zorn hat ein System hinweggefegt
Griechenland: Nur 30 Prozent der Wähler sind mit dem EU-Kurs der Regierung zufrieden / Radikale Linke will Sparzusagen zurücknehmen
Curd-Torsten Weick

Es war ein sonniger warmer Maimorgen in Athen. Doch nach Sommer, Sonne, Sonnenschein war einen Tag nach den griechischen Parlamentswahlen niemandem so Recht zumute. Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen der großen Tageszeitungen genügte, um die Stimmungen einzufangen. „Alptraum der Regierungslosigkeit – Neuwahlen in Sicht“ titelte die der sozialistischen Pasok nahestehende Ta Nea. Die bürgerlich-liberale Kathimerini sah ein „historisches Scheitern der Machtparteien“.

Mit einem Titel „Volkszorn – Ändert das Memorandum!“ gab dagegen die der konservativ-liberalen Nea Dimokratia nahestehende Eleftheros Typos die Protest- und Zornesrichtung vor. Ebenso die linksradikale Avgi („Linker Auftrag“) sowie die kommunistische Rizospastis („Nun heißt es kämpfen – Das Volk darf keine Zeit mehr verschwenden“).

Das Debakel für die beiden ehemaligen Volksparteien Pasok und Nea Dimokratia (ND) hatte sich lange vor den Wahlen abgezeichnet. Daß die beiden Parteien, die bis dato die Übergangsregierung unter Premier Loukas Papadimos unterstützt hatten, allerdings selbst die nötige Mehrheit von 151 Abgeordneten im 300köpfigen Parlament verfehlten, überraschte dann doch. Folge: An der Athener Börse stürzten die Kurse um bis zu 7,6 Prozent ab.

Tief enttäuscht über den EU-Sparkurs und die Wirtschaftsmisere straften die Griechen die Etablierten ab, wählten Protest und sorgten so für eine neuartige Zersplitterung des ehemaligen Zweiparteiensystems. Doch nicht die Altkommunisten, die zum eigenen Mißfallen nur einen geringen Stimmenzuwachs zu verzeichnen hatten, konnten die Anti-EU-Stimmung abschöpfen. Neue Parteien sorgten für Furore.

Aus dem Stand erreichte der rechtspopulistische Panos Kammenos, der die ND im Januar 2012 verlassen hatte und vor allem mit antideutschen Ressentiments („Wir haben Deutschland im Zweiten Weltkrieg geschlagen, das werden wir wieder tun“) zu punkten versuchte, mit seinen „Unabhängigen Griechen“ 10,3 Prozent (33 Sitze). Fotis Kouvelis kam mit seiner „Demokratischen Linken“-Partei auf 6,1 Prozent (19 Sitze). Für Aufsehen sorgte zudem der Aufstieg der rechtsextremen „Chrysi Avgi“ (Goldener Sonnenaufgang), die mit einem Mix aus dem Kampf gegen Einwanderung und Islamierung sowie einschlägiger NS-Nostalgie sieben Prozent (21 Sitze) erreichte.

Im Vergleich zur Wahl im Jahr 2009 sank die Pasok von 43,9 auf nun 13,2 Prozent (41 Sitze) sowie die ND von 33,5 auf 18,8 Prozent (108). Damit liegt die konservativ-bürgerliche Partei, unter dem Vorsitz Antonis Samaras, nur hauchdünn vor dem eigentlichen Sieger der Wahlen, der „Koalition der radikalen Linken – Syriza“, die 16,8 Prozent und 52 Sitze erreichte. Nur dank einer Bonusregelung, die der stärksten Partei 50 zusätzliche Parlamentssitze zuerkennt, konnte die ND zusammen mit der Pasok an der 150-Sitze-Grenze kratzen. Doch es fehlen mindestens zwei Sitze.

Diese sollten von der „Demokratischen Linken“-Partei kommen. Galt deren Vorsitzender, Fotis Kouvelis, der zusammen mit anderen Kritikern vor einem Jahr aufgrund von Unstimmigkeiten über die Europapolitik die linksradikale Syriza verlassen hatte, doch zumindest als indirekter Unterstützer der Papadimos-Regierung. Schon die ersten Sondierungsgespräche scheiterten an gegensätzlichen Vorstellungen über den Verbleib in der Euro-Zone und dem Ausstieg aus dem Fiskalpakt.

Entnervt legte Samaras nach einem weiteren Gespräch mit Syriza-Chef Alexis Tsipras, der keinen Hehl daraus macht, das EU-„Spardiktat“ kippen zu wollen, den Auftrag zur Regierungsbildung nieder. Im Anschluß übernahm Tsipras, dessen Syriza eng mit der deutschen Linkspartei kooperiert, den Stab der Regierungsbildung und drängte sogleich, die griechischen Zusagen zum Rettungspaket für ungültig zu erklären. Unter dem Hinweis, daß knapp 70 Prozent der Wähler dem Kurs von Pasok und ND eine Abfuhr erteilt hätten, forderte er die sofortige Aufhebung der Kürzungen von Löhnen und Renten, die Stornierung von Gesetzen, die die Grundrechte der Arbeitnehmer beeinträchtigten, die Einführung des Verhältniswahlrechts sowie die staatliche Kontrolle über das Bankensystem.

Angestrebt ist eine Linkskoalition. Doch angesichts der persönlichen Animositäten und ideologischen Differenzen im zersplitterten linken Lager ist dies ein schwieriges Unterfangen.

Foto: Athenerinnen studieren die Titelblätter zur Wahl: „Historisches Scheitern der Machtparteien“

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