© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Durch Eispalast und Höllenpfuhl
Tschechischer Orpheus in der Unterwelt: Jaromír Weinbergers Volksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ ist in Dresden schwungvoll inszeniert
Sebastian Hennig

Die böhmischen Hussiten trugen einst ihren Kampf weit ins Reich hinein. Doch die Fahnen des Kelches konnten sich letztlich nicht durchsetzen gegen die Heere des Kreuzes. Ein halbes Jahrtausend später wurde das kleine, eigenwillige, durch die Gegenreformation in Banden gehaltene Volk dann noch zu einer europäischen Vormacht, wenn auch nur in der Sphäre der Kunstmusik. Der Melos der tschechischen Sprache, die Stimme der Flüsse, Böhmens Hain und Flur und der illu-stre Volkstypus haben die Konzertpodien und Opernbühnen erobert.

Nach Smetanas „Die verkaufte Braut“ und Dvořáks „Rusalka“ war „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromír Weinberger die zu ihrer Entstehungszeit erfolgreichste tschechische Oper. Was es nun in Dresden zu hören und zu sehen gibt, ist eine Tollheit und belastet die Zuhörer mit einem irrwitzigen Dauersignal an Aufmerksamkeitserheischung. Dennoch stellt sich bei all der hysterischen Überdrehtheit in den zweieinhalb Stunden kein Gefühl von Leerlauf ein.

Der 1896 in Prag geborene Weinberger war ein begnadeter Musikant, der mit handwerklicher Sorgfalt ans Werk ging. Die Figuren haben nicht mehr Charakter, als die einfache Fabel erfordert. Die Geschichte um den Dudelsackspieler Schwanda aus Strakonitz, der vom Räuber Babinsky durch Eispalast und Höllenpfuhl geleitet wird, trägt die Bezeichnung Volksoper zu Recht. Die Handlung ist derb und effektvoll, bleibt aber bei aller Berechenbarkeit immer spannend. Denn Weinberger klaut sich seine Versatzstücke nicht nur überall her, er weiß sie so kunstgerecht und intuitiv zu fügen, daß paradoxerweise daraus etwas ganz Neues und Eigenständiges entsteht.

Das Stück trägt sich selbst; ohne tiefgründig zu sein, ist es doch gewaltig und frisch zugleich. Eine Parabel auf die Herrschaft der Musik. Ein Klangkörper wie die Staatskapelle, der imprägniert ist mit spätromantischem Märchenklang, hebt diese Musik in eine unangreifbare Sphäre.

Schon die Ouvertüre ist vom perlenden Klang gleich zweier Harfen durchsetzt. Der Räuber verführt den Bauernmusikanten zur Welteroberung und umgarnt zugleich dessen herziges Weib Dorota. Am freudlosen Hof einer von vergangenem Grauen erstarrten Königin rockt Schwanda mit seinem Dudelsack die Monarchie. Als er die ermunterte Regentin dann in Armen hält, wird von Böswilligen das geliebte Eheweib herbeigeführt. Es folgt ein handfester Krach. Eigentlich schon versöhnt, läßt sich der Mann zu einem Meineid hinreißen. Der Teufel, der ihn holen soll, wenn er nur ein kleines bißchen geküßt hat, tut es prompt und der Boden öffnet sich. Aber der Räuberfreund überwindet mit einer Partie Höllen-Mariage den Gehörnten.

Als Abschiedsgruß in der Hölle gibt es schließlich ein großes Tanzvergnügen mit dem ganzen satanischen Gezappel von Charleston über Cancan bis zu einer großen Polonaise der Teufel und Teufelchen. Der Dudelsack ertönt dann in der schweratmigen Geschwindheit von Max Regers Orchestervariationen. Altgeworden trifft sich das traute Paar wieder im geliebten böhmischen Dörfchen, dessen Freuden zum Finale besungen werden.

Das Stück wurde 1927 in Prag uraufgeführt. Im Deutschen Reich ging es im Folgejahr in Breslau erstmals über die Bühne. Ohne Pause fanden weltweit an die zweitausend Aufführungen der „Schlageroper mit Geschmack“ statt. Doch schon 1933 gab es die letzte Vorstellung in Prag. Die goldenen Zwanziger waren vorbei. Die „glanzvolle Eintagsfliege“ (Marcel Prawy) schillert nun seit einigen Jahren wieder über die deutschen Bühnen. Das Theater Augsburg brachte das Stück 2007, und im vergangenen Herbst hatte es am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau Premiere, um sich nun mit Pomp an einem großen Haus wie der Dresdner Semperoper zu bewähren.

Dort wurden nun wieder alle Reserven mobilisiert, um ein gigantisches Augen- und Ohrenkino hervorzubringen. Inszeniert hat Axel Köhler. Der Countertenor ist ein Künstler mit einem Sinn fürs Artifizielle, der sich auch hier bewährt. Als Regisseur bevorzugt er die Werke der Alten Musik und die Operette. Weinbergers Musikmärchen changiert dagegen zwischen Spätromantik und Varieté. Es gibt eigentlich keine hervorstechenden Rollen, die Handlung ist auf alle Stimmen gleichmäßig verteilt und wird von den Dresdner Darstellern vorzüglich gemeistert.

Wenn ein so leichthändiges Werk etwas wie Würde erhalten kann, dann gewährt sie diese Inszenierung. In ihrer Grellheit entspricht sie der mutwilligen Musik, läßt das Werk als ein Ganzes wirken. Mit diesem affirmativen Schwung würde man gern auch einmal wieder ein Werk Richard Wagners sehen. Damit würde auf die ethische Wiedergutmachung für ein verkanntes Genie die ästhetische Wiedergutmachung für ein verhunztes Meisterwerk folgen.

Die nächste Vorstellung von „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ in der Dresdner Semper-oper, Theaterplatz 2, findet am 17. Mai um 19.30 Uhr statt. Telefon: 03 51 / 49 11 705 www.semperoper.de

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