© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Käßmann und Luthers „Neugier“ an den Osmanen: Infantile Geschichtssichten
Unbegreifliche Gestalten
(ob)

Der Reformator, so fordert die frisch ernannte „Luther-Botschafterin“ Margot Käßmann, hätte auf die vor 500 Jahren Europa verheerenden Türkenhorden gefälligst mit „Verständnis, Neugier, Entgegenkommen, Respekt“ reagieren sollen (Zeitzeichen, 1/2012). In solchen infantilen Äußerungen zeigt sich der Mangel an historischer Bildung als geistiger Defekt. Mit dieser Behinderung ist aber nicht nur die 53jährige Käßmann geschlagen, sondern die erdrückende Mehrheit der zwischen 1940 und 1990 geborenen Deutschen. Diese Unfähigkeit, eine andere als die eigene Welt zu begreifen, ist das Resultat einer „Vergangenheitsbewältigung“, die zugleich mit der NS-Zeit jede Vergangenheit einem genuin historischen Verstehen entzogen hat. Zur jüngsten Probe aufs Exempel lädt Esther Abels Aufsatz über Peter Scheibert (1915–1995) als „Osteuropahistoriker im Dritten Reich“ ein (Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas, 1/2012). Obwohl Scheibert formal der Waffen-SS zugeordnet war, kann Abel nicht mit einer „eindeutigen Aussage“ zu seiner etwaigen NS-Nähe aufwarten. Was sie nicht anficht, denn die Quellen verraten auch „keinerlei grundsätzliche Verurteilung“ des NS-Systems, was mithin als schuldhafte „Unterstützung“ zu deuten sei, zumal er sich „aktiv in das System eingebracht“ habe.

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