© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Begegnung der besonderen Art
Südtirol: Eine Viertelmillion Gebirgsjäger machen aus Bozen eine italienische Stadt / Provokation in Bruneck
Reinhard Liesing

Die Bozner Begegnungen („Bolzano Incontri“) des vergangenen Wochenendes waren von besonderer Art. Da mochten Bürgermeister Luigi Spagnolli mitsamt politischen und publizistischen Claqueuren noch so sehr den kameradschaftlich-nachbarschaftlichen Charakter eines „bunten Volksfestes“ beschwören: Was der Einfall von ungefähr 250.000 Alpini(veteranen) und deren Angehörigen in Bozen und weitläufig in Anspruch genommener Umgebung bedeutete, war „Wahnsinn“, wie es Roland Riz, Grandseigneur und Kurzzeitobmann (Vorsitzender von 1991 bis 1992) der Südtiroler Volkspartei (SVP) in erfrischender Deutlichkeit – und zum Unmut der gegenwärtigen Parteiführung – in einem Gespräch mit der Tageszeitung Dolomiten nannte.

Denn das 85. gesamtstaatliche Treffen (Adunata Nazionale Alpini: ANA) der ehemaligen Gebirgsjägertruppe der italienischen Streitkräfte legte für drei volle Tage nicht allein die Hauptstadt Bozen mit ihren 104.000 Einwohnern gänzlich lahm.

Eine Viertelmillion Teilnehmer brachten auch weite Teile der Provinz mit ihrer Bevölkerung von gut einer halben Million Köpfen in eine Art Paralysezustand. Grell tauchte die ANA Bozen in grün-weiß-rotes Licht. Daß Dottore Spagnolli die allerorten vorzufindende Trikolore-Einfärbung abzumildern versuchte, indem er die in den Tiroler Landesfarben gehaltene rot-weiße Bozner Fahne an städtischen Gebäuden aufhängen und die Südtiroler Landesverwaltung an ihren Amtssitzen die Tiroler Flagge aufziehen ließ, ging in der Wucht Hunderttausender über Straßen und Gassen gespannter sowie an Hausfassaden und Wohnungsbalkonen angebrachter italienischer Fahnen, Wimpel und tricoloresquer Luftballone gänzlich unter.

Das ist es, was Riz den „national-sozialen Stich“ nannte und nicht allein Vertreter der Deutsch-Südtiroler Oppositionsparteien, sondern Teile der Bevölkerung als unziemlich, manche als „höchst verwerflich“ brandmarkten.

Sagte doch eine jüngere Passantin: „Was mich stört, ist diese Fahnenorgie, die der örtlichen Bevölkerung aufgedrängt wurde.“ Und ein älterer Herr rügte „Unterwürfigkeit und Opportunismus, die gewisse Handels- und Gastbetriebe dazu veranlaßt hat, ihre Gaststätten und Schaufenster mit Trikolore-eingefärbten Utensilien und Auslagen zu drapieren, nur in der Hoffnung auf ein besseres Geschäft.“

Es konnte daher nicht verwundern, wenn der Südtiroler Heimatbund (SHB), die Landtagspartei „Süd-Tiroler Freiheit“ und die Freiheitlichen (FPS) von „Pfeffersäcken, die ihren Geschäften selbst Identität und Tirol-Bewußtsein opfern“ sprachen und der Abgeordnete Sven Knoll zu deren Boykott aufrief.

Da mochte Toni Ebner, Chefredakteur der Dolomiten, in seinem als Leitartikel daherkommenden „Offenen Brief an die Alpini“ den Lesern noch so sehr den seiner Meinung nach zutage getretenen Volksfestcharakter des Alpini-Treffens rühmen und eine fragwürdige Parallele zum Münchner Oktoberfest zu suggerieren trachten – nicht wenige derer, die sich ihr Tirol-Bewußtsein bewahren und mit der leidvollen Geschichte des vor 94 Jahren vom nördlichen gewaltsam getrennten südlichen Landesteils Vertraute sehen im von der ANA hervorgerufenen faktischen Belagerungszustand der Stadt und ihres Umlands den sichtbaren Ausdruck der Italianità Bozens und also der gesamten Provinz. Ettore Tolomei, der faschistische Senatore und Deutschenhasser, der während der Herrschaft der Schwarzhemden alles daransetzte, die Südtiroler zu entnationalisieren – er nannte das „re-italianisieren“ – und dem dies seinerzeit nicht gelang, hätte ob seines späten Sieges triumphiert.

Geballten Zorn hat sich der über zwei Jahrzehnte seiner Amtszeit durchweg beliebte Landeshauptmann Luis Durnwalder zugezogen. Viele denken wie jene alteingesessene Bozner Bürgersfrau, die von einem „traurigen Moment in der Geschichte Südtirols“ sprach: „Die vermeintlichen Sieger kommen zu uns, lassen die Sau ‘raus, und unser Landeshauptmann fällt der Bevölkerung in den Rücken; er feiert mit Leuten mit, die nicht einmal in der Lage sind, den eigenen Müll wegzuräumen“. „Traurig, traurig das alles“, fügte sie bekräftigend hinzu.

Was sie zum Ausdruck brachte, nannten andere „Verbrüderung mit dem Eroberer und der Besatzungsmacht“. Vor allem Ältere haben nicht vergessen, daß die Annexion Südtirols mit dem Durchmarsch der Alpini-Truppe bis zum Brenner und darüber hinaus in den Novembertagen 1918 – unter Ausnutzung des Waffenstillstands und der in Auflösung begriffenen Armee der kollabierten Habsburgermonarchie – hatte verwirklicht werden können.

Am Abschlußtag des Alpini-Treffens setzt sich Durnwalder mit dem eigens aus Rom angereisten Verteidigungsminister Giampaolo Di Paola sowie den höchsten Alpini-Offizieren auf die Ehrentribüne und nimmt die Huldigungen der über mehr als zehn Stunden vorbeidefilierenden Alpini(veteranen) entgegen. Die Tribüne war ausgerechnet unter dem noch immer an der Stirnseite des am Bozner Gerichtsplatz befindlichen Gebäudes der Finanzverwaltung prangenden Mussolini-Fries errichtet gewesen.

Angesichts solch fataler Symbolik hörte man schon auch einmal das Wort „Verräter“. Dagegen war der Landeshauptmann am Ende voll des Lobes für den friedlichen Verlauf des Treffens: „Wir haben bewiesen, daß wir mit anderen Kulturen und anderen Sprachen umgehen können. Südtirol hat europäisches Verhalten an den Tag gelegt.“

Für Unmut sorgte dann aber doch die Kranzniederlegung der Alpini vor dem faschistischem Alpini–Denkmal in Bruneck. SVP-Politiker Albert Wurzer wertete dies im nachhinein als „unnötige Provokation“, und der Südiroler Schützenbund resümierte sarkastisch, daß die Alpini trotz aller Beteuerungen nicht provozieren zu wollen, zeigten, daß sie „immer noch an ihrer faschistischen Vergangenheit festhalten“ würden.

Foto: Alpini-Defilee in Bozen: Was die einen zu einem Volksfest zu stilisieren versuchen, gilt für andere als Manifestation der„Italianität“ Südtirols

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