© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Sarrazin und das schlechte deutsche Gewissen
Euro-Krise: Der frühere Bundesbankvorstand stellt in Berlin sein neues Buch vor und erntet erwartbare Kritik
Henning Hoffgaard

Zahlreiche Journalisten, Kameraleute, Fotografen, ein vornehmes Hotel und eine Vielzahl Polizisten, die verhindern sollen, daß Linksextremisten sich Zugang zum Veranstaltungsort verschaffen. Es ist die typische Mixtur für einen Auftritt von Thilo Sarrazin. Nur daß diesmal alles eine Nummer größer ausfällt. 250 Pressevertreter haben sich am Dienstag im noblen Hotel Adlon direkt am Brandenburger Tor versammelt. Draußen patrouilliert die Polizei, drinnen genießt der ehemalige Bundesbankvorstand das Blitzlichtgewitter der unzähligen Kameras.

Sarrazin ist das gelungen, wovon die meisten Schriftsteller und Politiker nur träumen können. Er ist zurück, ohne vorher wirklich ganz weg gewesen zu sein. In den vergangenen 20 Monaten hat er das getan, was seine Anhänger gehofft und seine Gegner befürchtet hatten: Er hat ein neues Buch geschrieben. Nach seinem Millionenbestseller „Deutschland schafft sich ab“, in dem es vor allem um die verfehlte Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik ging, nimmt der frühere Berliner Finanzsenator nun die Entstehung des Euro unter die Lupe und stellt die Frage, ob dieser für Deutschland nicht eigentlich mehr Nachteil als Vorteil ist (siehe Seite 12).

Die wichtigsten Thesen sind spätestens seit dem Auftritt von Sarrazin in der Fernsehsendung von Günther Jauch am vergangenen Sonntag längst bekannt. Viele Journalisten warten gespannt darauf, ob das SPD-Mitglied auf der offiziellen Buchvorstellung noch einen drauflegt. Sie sollten nicht enttäuscht werden. Nach einer kurzen Einführung durch den Chef der Deutschen Verlagsanstalt, Thomas Rathnow, bei der „Europa braucht den Euro nicht“ veröffentlicht wurde, und einem kurzen Vortrag des Wirtschaftswissenschaftlers Stefan Homburg, der gleich zu Beginn die verfehlte Sparpolitik Deutschlands geißelt, kommt endlich Sarrazin zu Wort und gewohnt schnell auf den Punkt.

„Deutschland“, sagt Sarrazin, „hat seit 1945 ein schlechtes Gewissen wegen seiner wirtschaftlichen Stärke.“ Diese „historisch überkommenen Schuldgefühle“ würden bis heute von deutschen Politikern benutzt, um den Erhalt des Euros zu rechtfertigen. Und das, obwohl die Weltkriegsschulden schon in den fünfziger Jahren beglichen worden seien. Seine Forderung: Wenn Deutschland nur wegen seiner Schuld am Zweiten Weltkrieg oder dem Holocaust zahle, dann müsse die Regierung auch wenigstens so ehrlich sein und das sagen. Wirklich andere Argumente, läßt er durchblicken, gäbe es für die Gemeinschaftswährung, die seit Anfang der neunziger Jahre alle in sie gesetzten Hoffnungen bitter enttäuscht habe, ohnehin nicht. Trotzdem ist für ihn der Euro-Austritt nur das letzte Mittel.

Als Finanzminister würde er sogar den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM unterzeichnen. Aber nur, „weil Deutschland sich dazu verpflichtet habe“, wie er der JUNGEN FREIHEIT sagt. Ansonsten agiere die Bundesregierung wie ein Feldherr, der den Sieg nicht mehr davontragen könne und deswegen auf die schrecklichen Folgen der Niederlage verweisen muß. Besonders Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekommt sein Fett weg. „Den kümmert doch die Zukunft Europas mehr als der Zustand der Bundesfinanzen“, ätzt Sarrazin.

Schäuble war es auch, der, ohne das Buch zu kennen, als erster scharfe Kritik an dem ehemaligen Bundesbanker übte. „Himmelschreiender Blödsinn“ seien dessen Thesen, die aus einem „verachtenswerten Kalkül“ heraus verbreitet würden. Sarrazins Methode sei, „so zu tun, als ob es Denk- oder Sprechverbote in Deutschland zu bestimmten Themen gibt, gegen die er dann verstößt“. In Wirklichkeit könne man über all das offen diskutieren, glaubt Schäuble und wird dabei schneller von der Realität eingeholt, als ihm lieb gewesen sein dürfte. „Mit Sarrazin sollte sich niemand mehr in eine Talkshow setzen“, forderte dagegen prompt der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe (SPD), und bekam dabei schnell Unterstützung von den üblichen Verdächtigen aus den Reihen von SPD, Grünen und Linkspartei. Volker Beck (Grüne) etwa bezeichnete den Euro-Kritiker als „altnationalen D-Mark-Chauvinisten“, dessen Auftritt in der ARD eine „große Verschwendung von GEZ-Mitteln“ sei. Und überhaupt passe das SPD-Mitglied mittlerweile sowieso eher in eine „rechtsextremistische Partei“. Noch einen Schritt weiter ging die kurdischstämmige Publizistin und Trägerin des renommierten Theodor-Wolff-Preises, Mely Kiyak, in der Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau. Sarrazin sei nicht mehr als eine „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“, die Fernsehgebühren verplempere. Beide Zeitungen haben den Text mittlerweile von ihrer Internetseite gelöscht. Eine Verlagssprecherin sagte der JF, es seien wohl „rechtliche Bedenken“ aufgetaucht. Sarrazin selbst ist derartige Angriffe gegen seine Person längst gewohnt und reagiert gelassen. Die sollten doch einfach mal sein Buch lesen. Das sei auch für Laien verständlich.

Foto: Thilo Sarrazin an diesem Dienstag im Hotel Adlon: Austritt aus dem Euro als letztes Mittel

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