© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Haltungsnote
Beschämter Buchhändler
Christian Schwiesselmann

Wäre Martin Schulz (SPD) nicht schon europäischer Parlamentspräsident, das Amt des EU-Beschämungsbeauftragten könnte er locker bekleiden. Der zweifache Vater versucht sich immer mehr als Père de l’Europe zu inszenieren – natürlich mit dem obligatorischen teutonischen Scham- und Schuldreflex. „Als Deutscher, als Vater von deutschen Kindern fühle ich mich beschämt zu wissen, daß ihr Leben einfacher sein wird als das Leben spanischer Jugendlicher selben Alters in ein und demselben Europa“, twitterte kürzlich der 1955 in Kinzweiler bei Aachen geborene EU-Multifunktionär. Schulz, der bis zu seiner Wahl als Präsident im Januar 2012 die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas führte, sorgt sich über das wachsende Heer junger, gut ausgebildeter Arbeitsloser in Spanien.

Daß die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa etwas mit staatlichem Dirigismus, wirtschaftlicher Entgrenzung und egalitärer Umverteilungsphantasie zu tun haben könnte, kommt dem Chefpropagandisten der Vereinigten Staaten von Europa nicht in den Sinn. Schulz, mit 19 Jahren Juso-Mitglied geworden und einst in Würselen jüngster Bürgermeister von NRW, begreift Europa als Möglichkeit, den schuldbefleckten deutschen Nationalstaat zu überwinden, indem er ihn in eine europäische Transferunion hineintreibt.

„Nächste Woche werde ich im Europäischen Rat die Staatschefs fragen: Wir geben 750 Milliarden für Bankenrettung aus, wieviel geben wir für junge arbeitslose Europäer aus?“ will er seine sozialdemokratische Vision der EU als Betreuungsagentur auf Twitter schmackhaft machen. „Señor“ Schulz’ Mischung aus bellendem Buchhändler und polyglottem Weltbürger brachte einst Silvio Berlusconi auf die Palme; Angela Merkel billigte dem nervenden Parlamentspräsidenten einen Dauerplatz auf den Euro-Gipfeltreffen zu.

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