© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Der Flaneur
Schmätzchen
Josef Gottfried

In der U3 sitzt ein Asiate vor mir, könnte ein Philippino sein. Er ist mollig und trägt Hiphop-Bekleidung: eine übergroße Hose, einen teuren Kapuzenpulli und eine nagelneue Baseball-Kappe, wobei der Schirm noch im Originalzustand ist. Nicht rundgebogen, wie es mir für solche Mützen bislang üblich erschien, selbst einen Aufkleber des Produzenten hat er drauf gelassen.

Sein Kleidungsstil wirkt sehr durchdacht, also kann das kein Zufall sein. Der Sticker bestätigt die Echtheit des Produkts. Ich wundere mich, während ich ihn aus dem Augenwinkel weiter mustere, warum sich diese übergroßen Hosen aus den Neunzigern bis weit in dieses Jahrtausend retten konnten. Die reine Assoziation mit amerikanischen Gangster-Rappern kann da doch nicht ausreichend sein, da muß noch mehr dahinterstecken. Nur, was?

Er beißt in eine Leberkäs-Semmel und kaut schmatzend auf dem abgebissenen Stück herum. Daß er den Mund dabei nicht schließt, paßt zu seinem fransigen, dünnen, schwarzen Bärtchen. Sicher, irgendwo habe ich mal gehört, daß es asiatische Völker gibt, bei denen Schmatzen nicht als unhöflich gilt. Aber bei diesem rundlichen Philippino ärgert es mich trotzdem. Nach einem weiteren Bissen führt er seinen Daumen über das Display seines Smartphones und überprüft Statusmeldungen bei Facebook.

Dann schließt er einen Kopfhörer an, steckt sich die Knöpfe ins Ohr und läßt Musik laufen. Ich sehe, wie er den Lautstärkeregler nach oben schiebt, aber ich höre nichts. Seine Kopfhörer scheinen hochwertig zu sein, er beglückt mich nicht mit der Abluft seiner Beats. So diskret ist er dann doch. Vielleicht war ihm ja wirklich unklar, daß ich sein Schmatzen unhöflich finde. So genüßlich, wie er den nächsten Happen nimmt, macht er jedenfalls nicht den Eindruck, daß er ein schlechtes Gewissen hätte.

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