© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Das bleierne System Merkel
CDU: Nach dem spektakulären Rauswurf von Umweltminister Norbert Röttgen kommt die Union nicht zur Ruhe
Paul Rosen

Die Abgeordneten, die in der vergangenen Woche für die Sitzungswoche des Bundestages nach Berlin zurückkehrten, rieben sich die Augen: Ganz schnell hatte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel den Umweltminister ausgewechselt und den bisherigen Amtsinhaber Norbert Röttgen (CDU) in einer Art und Weise verstoßen, gegen die der Blitzrauswurf von Rudolf Scharping (SPD) durch den damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) niedlich wirkte. Merkel hatte, was Chefs in unruhigen Zeiten tun und tun müssen, ein Exempel statuiert.

Das zeigt zweierlei: Erstens, die Dinge in der CDU waren nicht in Ordnung. Es herrschten Unruhe, Verbitterung und Zweifel angesichts des nordrhein-westfälischen Wahlergebnisses, was der frühere Generalsekretär Heiner Geißler so zusammenfaßte: „Die Union läuft Gefahr, bundesweit ihre Regierungsfähigkeit zu verlieren.“ Zweitens: Merkel hat noch die Kraft, potentielle innerparteiliche Rivalen (jedenfalls hielt Röttgen sich selbst dafür) auszuschalten, ohne daß es gleich zu einer offenen „Revolution“ im betroffenen Landesverband kommt. Zwar hat auch die CDU-Chefin Blessuren abbekommen, aber die Wunden dürften heilen. Noch hält die Solidaritätsbrücke aus Nord-rhein-Westfalen für die Ost-Politikerin ohne nennenswerte Hausmacht. Auf ihre nordrhein-westfälischen „Kanalarbeiter“ (um mal einen Begriff aus der SPD-Welt der sechziger Jahre zu verwenden) Peter Hintze, Ronald Pofalla und Hermann Gröhe ist Verlaß. Sie bestimmen den Kurs im größten CDU-Landesverband; Röttgen war immer ein paradiesvogelhafter Außenseiter. Wegen seiner schweren Wahlkampffehler (Weigerung, nach Düsseldorf zu gehen) war er zum Schluß isoliert. 160.000 nordrhein-westfälische CDU-Wähler strömten zur FDP. Als Röttgen Merkels Europa-Politik als für den Wahlausgang ursächlich darstellen wollte, griff die uckermärkische Ritterin den Fehdehandschuh auf und warf Röttgen raus.

Mit Blick auf die Koalitionspartner CSU und FDP war die Sache problemlos. FDP-Chef Philipp Rösler hatte unter seinem in Windräder und Solarzellen verliebten Kollegen aus dem Umweltministerium vom ersten Tag an gelitten. Für Wirtschaftsminister Rösler kam das Ende von Röttgen einem Wiedereinzug in einen Landtag gleich.

In Bayern tobte CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer schon seit längerem über die Berliner und besonders Röttgens Energiepolitik. Der in Bayern wichtigen Industrie droht eine Stromlücke, weil Röttgen bei der Energiewende übersehen hatte, daß die neuen Leitungen und Kraftwerke in einer Marktwirtschaft nur dann gebaut werden, wenn Investoren meinen, damit viel Geld verdienen zu können. Die Gewinnerwartungen sind jedoch gering. Röttgen nahm die vagen Investitionsankündigungen der Energiewirtschaft offenbar genauso für bare Münze wie Zusagen der Vertreter erneuerbarer Energieerzeugung, Dunkelheit und Windstille seien lösbare Probleme. Daher rührte Seehofers Ausfall im Fernsehen nach seinem Interview („das können Sie alles senden“). In Bayern fürchtet man die „Nordrhein-Westfalisierung der CSU“, wie ein Bundestagsabgeordneter kürzlich sagte.

Man muß Geißler nicht mögen, aber wenn er sagt, „in Deutschland gibt es inzwischen eine klare linke Mehrheit. Schwarz-Gelb ist nirgendwo mehrheitsfähig“, dann trifft das den Kern und gilt auch für Bayern. Allerdings weist Geißler mit der schwarz-grünen Option den steinigen Weg; notwendig wäre eine Wiederbelebung des konservativen Elements in der CDU oder – besser – eine rechte Alternative in den Parlamenten, die die Nichtwähler zurückgeholt hätte und damit zeigen würde, daß es in Deutschland keine linke Mehrheit gibt.

Der Kanzlerin, die nur taktisch und nicht strategisch denkt, sind solche Gedanken fremd. Sie ist zufrieden, wie sich der Protest verflüchtigt hat. Die wegen des verlorenen Ministerprostens nervöse nordrhein-westfälische CDU-Landesgruppe wurde von Merkels „Warlords“ Hintze, Pofalla und Gröhe in Schach gehalten. Es meldete sich allerdings Bundestagspräsident Norbert Lammert, dessen schlechtes Verhältnis zu Merkel kein Geheimnis ist. Aber man munkelt in Berlin auch, daß Lammert nicht mehr in den Bundestag zurück will – aus Altersgründen. Andere Stimmen kamen meist von Hinterbänklern. Das Führungspersonal schwieg oder applaudierte der Chefin, wie etwa Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Das System Merkel liegt nach wie vor wie eine Bleiplatte über der CDU – und über dem Land.

Foto: Angela Merkel, Joachim Gauck und Norbert Röttgen werfen bei der Entlassung des Umweltministers in der vergangenen Woche im Schloß Bellevue Schatten an die Wand: Offene Kritik kommt bislang nur von Hinterbänklern

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