© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Linke Pokerrunde
Führungsstreit: Unmittelbar vor dem Bundesparteitag in Göttigen ist völlig offen, wer künftig an der Spitze der Linkspartei stehen wird
Paul Leonhard

Kurz vor ihrem Bundesparteitag in Göttingen an diesem Wochenende gleicht die Linkspartei noch immer einer mathematischen Gleichung mit vielen Unbekannten. Das Ziel: ein flügelübergreifendes Führungsduo, das die Genossen erfolgreich und vor allem geschlossen in den Bundestags- und den Europawahlkampf 2013 beziehungsweise 2014 führen soll. Fest steht, daß Ex-Parteichef Oskar Latontaine kein Teil der Lösung mehr sein wird.

Oder vielleicht doch. Schließlich ist der 68jährige der Lebensgefährte von Sahra Wagenknecht. Und diese ist Teil einer Lösung, die Wagenknecht/Bartsch lauten könnte. Noch schließt die 42jährige das zwar vehement aus: „Ich hoffe, daß diese Variante nicht notwendig sein wird und wir trotzdem eine gute Lösung finden.“ Sollte die ehemalige Wortführerin der Kommunistischen Plattform Teil dieser Lösung sein, wäre Lafontaine zumindest als Berater wieder im Rennen. Neben den Linken in Saarland, Niedersachsen und Baden-Württemberg hat sich Noch-Parteichef Klaus Ernst für Wagenknecht ausgesprochen.

Wagenknecht habe sich entschieden, „eins zu eins die Positionen“ von Lafontaine zu vertreten, weiß die Dresdner Bundestagsabgeordnete Katja Kipping. Die 34jährige sitzt mit in der illustren Pokerrunde. Sie ist Parteivize und will das auch bleiben. Eine Kandidatur als Parteichefin schloß sie noch in der vergangenen Woche mit Verweis auf die bevorstehende Geburt ihrer Tochter aus. Doch kurz darauf galt dieser Satz nicht mehr. Gemeinsam mit Katharina Schwabedissen kündigte sie ihre Kandidatur an: „Weil das Wünschen nicht geholfen hat. Wir stellen uns zur Wahl.“ Die 39 Jahre alte Schwabedissen ist zwar gerade mit ihrem Landesverband beim Wiedereinzug in den Landtag von Nordrhein-Westfalen grandios gescheitert, aber die Sozialisten sind hier weniger nachtragend als die Kanzlerin. „Wir kandidieren als Team“, lautet die Losung von Kipping und Schwabedissen. Letztere hatte zuvor erklärt, daß sie eine Doppelspitze mit Dietmar Bartsch ausschließe.

„Mir wird himmelangst“

Vize-Bundestagsfraktionschef Bartsch, gegen den Lafontaine keine Kampfkandidatur wagen wollte, steht unbeirrbar zu seinem Anspruch, die Linken führen zu wollen. Forderungen führender Genossen wie Ernst und Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow, seine Bewerbung zugunsten von Schwabedissen/Kipping zurückzuziehen, wehrt er ab: Der Parteitag soll entscheiden. Beworben haben sich gleichfalls eher unbekannte Parteimitglieder, wie etwa die sächsische Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann aus Zwickau. Immer wieder ins Spiel gebracht wird auch Ramelow.

Entscheidend könnte das Wahlprocedere werden. Abstimmungsberechtigt sind 272 Delegierte aus dem Osten und 228 aus dem Westen. Dazu kommen 20 Mandate für den Jugendverband Solid und 50 aus diversen Zusammenschlüssen. Zuerst wird der für eine Frau vorgesehene Spitzenposten besetzt. Treten hier Wagenknecht und Kipping an und letztere setzt sich durch, wären im zweiten Wahlgang die Chancen für Wagenknecht sowohl gegen Bartsch als auch gegen Schwabedissen gut. Denn mit einer Wahl Wagenknechts könnte die westdeutsche Linke im Boot gehalten werden. Überdies gilt sie als Garant für die kompromißlose Umsetzung des auf dem Erfurter Parteitag beschlossenen „Antikapitalismus-Kurses“.

In den wichtigsten Forderungen, so nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und einem Ende der Auslandseinsätze, sind sich die aus Jena stammende Wagenknecht und die Dresdnerin Kipping ohnehin einig. Strittig sind der Umgang mit der SPD und mit Israel, Privatisierungen und gegebenenfalls Regierungsbeteiligungen in den Ländern. Beide Frauen würden die politische Breite der Partei präsentieren, haben Ausstrahlung und gelten als schlagfertig.

Selbst Vize-Fraktionschef Ulrich Maurer gibt der Linken inzwischen nur eine Chance, wenn diese „jünger und weiblich“ wird. Es sei Zeit, „daß sich die Böcke vom Acker machen“, sagte Maurer. Frauen-Power ist aber nur angesagt, wenn sie eint. „Es darf nicht so enden, daß ein Teil der Partei in Göttingen als Besiegter dasteht“, warnte Kipping gegenüber dem Neuen Deutschland: „Mir wird himmelangst, wenn ich an die Zeit nach dem Parteitag denke.“

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