© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Pankraz,
Richard Katz und die städtische Landlust

Der ungeheure Verkaufserfolg des Magazins Landlust, nicht zuletzt bei städtischen, intellektuellen Lesern, läßt die etablierten Medien nicht ruhen. Es wimmelt mittlerweile von Nachahmungen, welche allerdings nicht im entferntesten so erfolgreich sind wie das Original. Zeitungen und Zeitschriften (so zu Pfingsten soeben wieder die Zeit) widmen ganze Ausgaben dem Thema Landlust, Gärtnerei und Schädlingsbekämpfung. Vielerorts spricht man von einem „neuartigen Trend“, der zwar registriert, aber merkwürdigerweise bisher kaum hinlänglich reflektiert worden sei.

In Wahrheit handelt es sich freilich nicht um einen momentanen Trend, sondern um ein kulturelles Dauerphänomen, das in der Literatur auch stets breitestes Echo gefunden hat; man lese darüber etwa in dem hochinformativen Wälzer „Die Weimarer Klassik und die Gartenkunst“ von Stefan Groß, erschienen im Verlag Peter Lang. Einzig die „modernen Medien“ haben die Angelegenheit lange Zeit regelrecht weggedrückt, und warum das so war, das illustriert sehr schön die berühmte Affäre um die Grüne Post und ihren Gründer Richard Katz in den endzwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Katz, den meisten heute – wenn überhaupt – nur noch  als Verfasser harmloser Garten- und Hundebücher bekannt, war in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einer der Top-Leute des Berliner Ullstein-Konzerns. Die Ullstein-Brüder hatten ihn für Reportagen aus fernen, exotischen Gegenden abgestellt, und der geborene Prager bewährte sich so gut, daß er allen übrigen auf diesem Feld tätigen Schreibern glatt die Schau stahl, hießen sie nun Alfons Paquet oder Egon Erwin Kisch.

Kein Wunder also, daß man auf ihn verfiel, als im Konzern ein heikles, völlig neues Projekt gestartet werden sollte. Die Ullsteins hatten gemerkt, daß alle ihre Presseerzeugnisse doch ein sehr hauptstädtisches, intensiv berlinisches Aroma ausstrahlten, das der publizistischen Eroberung des flachen Landes und der kleinen Provinzstädte nicht dienlich war, und so beauftragten sie Katz, eine Zeitung speziell für „Berlin und die weitere Umgebung“ zu entwickeln. Der große Weltenbummler, so kalkulierten sie, würde den (damals noch unerfundenen) „Duft der großen weiten Welt“ per Zeitung in jede Kate tragen

Katz erbat und bekam „plein pouvoir“, und er schuf – die Grüne Post. Als die erste Nummer herauskam, gab es im Ullstein-Haus allenthalben lange Gesichter und empörte Aufschreie. „Ich schäme mich dieses Machwerks“, tobte Hermann Ullstein, und in den Korridoren des Redaktionstrakts und im Kasino mußte der arme Richard Katz regelrecht Spießruten laufen. Denn er hatte kein „weltläufiges“, sondern ein „durch und durch philiströses“ Blatt auf die Beine gestellt, das – so die allgemeine Überzeugung – nicht einmal Landbewohner auch nur in die Hand nehmen, geschweige denn kaufen würden.

Statt Fotos von Eisenbahnunglücken und sonstigen Sensationen bot er Zeichnungen von Rehen am Waldesrand, statt in die Geheimnisse des Ku-Klux-Klan oder des geheimen sudanesischen Mädchenhandels einzuführen, veröffentlichte er langatmige Artikel über die rechte Art, Brot zu backen oder Nacktschnecken aus dem Garten zu vertreiben. Die rasanten Typen aus dem Ullstein-Unterbau kamen aus dem Kichern gar nicht mehr heraus, und der Chefredakteur der Zeitschrift Tempo bot Katz eine Wette an, daß die Grüne Post schnell wieder eingestellt werden würde.

Was jedoch bald darauf mangels Masse eingestellt werden mußte, war Tempo. Die Grüne Post hingegen kletterte binnen weniger Monate auf eine Auflagenhöhe von über einer Million, sie wurde zum bisher größten Erfolg der deutschen Zeitungsgeschichte, und erstaunlicherweise waren es nicht die Bürger der kleinen Landstädte, die zuerst nach den auf lindgrünem Papier gedruckten Blättern griffen, sondern gerade die Bewohner der großen industriellen Ballungsgebiete.

Ullsteins Grüne Post hatte ihre meisten Abonnenten nächst Berlin im Ruhrgebiet und im oberschlesischen Kohlenrevier, und auch einige der bekanntesten intellektuellen Eierköpfe zollten ihr Beifall. Akademiepräsident Walter von Molo meinte, die Grüne Post habe etwas geschaffen, „worum die Dichter sich so lange allein bemühten“, und Thomas Mann rühmte ihre „glückliche Funktion“, ihr „Besinnliches, Gemüthaftes, Humoristisch-Weltüberlegenes, worin doch – ganz zuletzt – wir Deutschen uns immer noch finden und verstehen“.

Aus heutiger Sicht könnte man die Grüne Post wohl das erste ökologiebewußte Massenblatt der Welt nennen. Ihr Erfolg beruhte darauf, daß sie die Sehnsucht nach Chlorophyll und Arbeit in reiner Luft bediente, die sowohl im Steinkohlenkumpel als auch im „Asphaltliteraten“ unausrottbar lebendig ist, und daß sie zudem massive Bedenken gegen das hektische Tempo der neuen Zeit anmeldete, und zwar nicht im Namen irgendwelcher verstockter Hinterwäldler, sondern just im Namen derer, die diesem Tempo Tag für Tag ausgeliefert waren.

Richard Katz ist übrigens, bald nachdem er der Grünen Post zur Million verholfen hatte, aus dem Konzern ausgeschieden und wieder auf Weltreise gegangen. Sein Konzept war zwar beim Publikum erfolgreich, aber die Journalisten-Kollegen selbst überzeugte er damit nicht und würde sie wahrscheinlich auch heute, im Zeitalter von Düsentrieb und Internet, nicht überzeugen können. Natürlich, auch sie wollen hohe Auflagen und satte Quoten, und deshalb ahmen sie, wenn es sein muß, eben  auch Landlust nach – aber „ohne Herz“, wie eine Mitarbeiterin des Originals zu Pankraz sagte.

Hingegen Richard Katz!  Als er einmal den Staatschef von Ecuador in hochpolitischer Mission interviewen sollte, verwandte er die ganze ihm zugemessene Zeit darauf, den hohen Herrn in ein angeregtes Gespräch über Kolibris zu verwickeln, die dort auf dem Interview-Balkon umherschwirrten. Simplen Medienkonsumenten würde das wahrscheinlich gefallen, doch kein Ressortleiter würde es auf Sendung gehen lassen.

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