© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Zeitschriftenkritik: Dämmerung
An Idealen festhalten
Karlheinz Weissmann

Jugendbewegung“ oder „Wandervogel“ oder „Bündische“ sind Worte, bei denen die einen schwärmerische, die anderen leere Blicke bekommen. Tatsächlich ist das, was sich dahinter verbirgt, heute zu einem großen Teil Geschichte, eine faszinierende Geschichte zwar, aber doch Vergangenheit und abgetan. Wenn trotzdem eine Einschränkung gemacht wird, dann deshalb, weil es jenseits der organisierten Jugendarbeit von Kirchen, Parteien und Gewerkschaften, und auch jenseits der Großpfadfinderei nach wie vor einzelne  Gruppen gibt, die mit Zähigkeit nicht nur an ihrer Unabhängigkeit festhalten, sondern auch an Idealen, von denen man sonst meinen möchte, daß sie verschwunden seien.

Dazu gehört nicht zuletzt eine besondere Vorstellung von geistiger Freiheit, die es tatsächlich erlaubt, ohne taktische Rücksicht und schon gar ohne Rücksicht auf die Regeln politischer Korrektheit verschiedene Positionen zur Sprache kommen zu lassen. Das ist eine Tradition, die mindestens zurückreicht bis in die Zeit der „Freideutschen“ und ihrer endlosen und ernsthaften Debatten oder der Suche nach „dritten“ und „Sonderwegen“ oder „Querfronten“ in der Endphase der Weimarer Republik. Man merkt der Dämmerung, dem „überbündischen vielfaltblatt“, das nun mit einer neuen „Jahresschrift“ erschienen ist, an, daß es sich dieser Überlieferung verpflichtet weiß. Die Optik spricht dafür und die historischen Reminiszenzen – zum Freideutschen Jugendtag von 1913 oder dem bunten Lebensweg A. Paul Webers oder der „grau-roten Aktion“ Tusks – und die gerechte Empörung über jene Pressionen, denen Bündische heute durch eine links unterwanderte Pfadfinderschaft ausgesetzt sind.

Man mag derlei für Interna halten, die eine breitere Öffentlichkeit nicht zu interessieren brauchen, aber das Urteil könnte vorschnell sein. Die Kontinuitäten sind manchmal andere, als die unmittelbar zutage tretenden. Das ist etwa einem Beitrag über Päderastie und Jugenderziehung zu entnehmen, aber auch einem sehr nachdenklich stimmenden Artikel über den jugendbewegten Schriftsteller Erich Scholz – Fahrtenname „olka“ –, der ursprünglich aus dem Oberschlesischen Wandervogel kommend nach dem Zweiten Weltkrieg für die neue Jungenschaft eine maßgebliche Rolle spielte, dessen Andenken allerdings verdunkelt wird durch seine Funktion als Kommandeur der SS-Baubrigade 4. Die Ernsthaftigkeit, mit der Scholz sich seiner Verantwortung – und wie er ausdrücklich sagte: Schuld – gestellt hat, berührt genauso stark wie die Feststellung des eigentlich auf der Seite der Progressiven stehenden, aber eben auch jugendbewegten Historikers, der die Nachgeborenen warnt, „die immer einmal wieder allzu undifferenziert und a-historisch das Vorausgegangene pauschal verurteilen und moralisch verdammen“ (Jürgen Reulecke).

Kontakt: Die „Dämmerung“ wird herausgegeben von der Aktivenschaft der Deutschen Gildenschaft und kann gegen eine Spende bezogen werden über DHG Trutzburg Jena zu Göttingen, Redaktion Vielfaltblatt, Karl-Marx-Straße 89, 37081 Göttingen. buendische-vielfalt.de

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