© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Der mit der Querflöte
Rockmusik: Jethro Tull touren durch Deutschland
Georg Thiele

Seit dem 17. Mai tourt die Rockgruppe Jethro Tull wieder durch Deutschland. Bisherige Stationen waren unter anderem Stuttgart, Berlin, Nürnberg und Dresden. Nach weiteren Auftritten in Italien und Island, in der Schweiz, in Österreich und Spanien spielt die Band um Ian Anderson dann am 20. Juli beim Burg Herzberg Festival und tags darauf beim Calwer Klostersommer. Schließlich verabschieden sich die Progressive-Rocker am 16. August mit einem Konzert im Bruchsaler Schloßgarten fürs erste aus Deutschland.

Die Tournee steht unter dem Motto „Thick as a Brick“. Das war 1972 der Titel des künstlerisch anspruchsvollsten, wenn auch nicht kommerziell erfolgreichsten Werks in ihrer langen Karriere. Jethro Tull besteht mittlerweile seit über vierzig Jahren. Die Band war zwar nie ganz oben in den Charts, hat sich aber eine treue Fangemeinde erspielt.

Die Gruppe formierte sich 1967; der Bandname ist vom Vater der modernen Landwirtschaft Englands, Jethro Tull, entlehnt. Gründungsmitglieder waren Ian Anderson als Bandleader, Mick Abrahams, Clive Bunker und Glenn Cornick, wobei Abrahams bereits 1968 von Martin Barre abgelöst wurde, der bis vor kurzem noch dazugehörte.

1968 erschien ihr Debüt „This Was“, in den beiden Folgejahren „Stand up“ und „Benefit“. Mit dem Album „Aqualung“ (1971) erreichte die Band ihren größten kommerziellen Erfolg. Auf ihr ist auch der Tull-Klassiker schlechthin, „Locomotive Breath“, zu hören. Auf „Thick as a Brick“ folgte 1973 das nicht mehr in einzelne Stücke unterteilte Konzeptalbum „A Passion Play“. In den Folgejahren erschienen die Alben „War Child“, „Minstrel in the Gallery“, „Too Old to Rock’n’Roll: Too Young to die!“, „Songs from the Wood“ und schließlich 1978 „Heavy Horses“, die mehr oder weniger alle dem Folk Rock zuzuordnen sind. Danach wurde die Musik auch von Keyboards geprägt. 1989 gewann Jethro Tull mit „Crest of a Knave“ ihren bislang einzigen Grammy. Die Band besteht heute aus Ian Anderson, John O’Hara, David Goodier, Florian Opahle, Scott Hammond und Ryan O’Donnell.

Tulls Musikstil wechselte mitunter und streifte die Sparten Progressiver Rock, Bluesrock, Folk Rock, Hard Rock. Unverwechselbares Merkmal ihrer Musik ist die tragende Rolle der Querflöte von Ian Anderson.

Von der etablierten Kunstszene wurde der heute 64jährige zuweilen kritisiert, weil er sowohl Margaret Thatcher als auch Ronald Reagan verteidigte und unterstützte. „Ich bin wahrlich kein Linker, ich hatte nie sozialistische Träume“, macht der konservative Anderson seinen Standpunkt deutlich.

 „Thick as a Brick“ bedeutet soviel wie „saudumm“ und erzählt die Geschichte des frühreifen Schuljungen Gerald Bostock, der bei einem Wettbewerb disqualifiziert wurde und deswegen bei der Preisverleihung leer ausging. Anderson: „Wenn unsere Generation auf ihr Leben zurückblickt, überkommt sie gelegentlich dieser Was-wäre-wenn-Moment. Wären wir, wie Gerald, statt dem, was wir sind, vielleicht Prediger, Soldat, Penner, Geschäftsinhaber oder Finanztycoon geworden?“

Das Berliner Konzert ging über gut zwei Stunden. Jethro Tull spielte das gesamte Repertoire von „Thick as a Brick“ und nach der Pause der neuen Platte „Thick as a Brick II“, die keine bloße Fortsetzung sein will. Anderson: „Wir treffen Entscheidungen im Leben. Dinge widerfahren uns. Wir werden, was wir sind. Gerald Bostock bin ich, er ist wir alle.“ Die Neuerscheinung beschäftigt sich mit dem weiteren möglichen Lebensweg des Protagonisten.

Unterlegt waren die Stücke mit kritischen Bildern von der US-Kriegführung in Vietnam, Irak und Afghanistan. Unterbrochen wurde das Spiel durch einen Sketch, der selbstironisch die Gebrechen des Alters zum Gegenstand hatte, denn die meisten Besucher im ausverkauften Tempodrom gehörten der Generation 50plus an. Gerade deshalb kam dort auch der Rückblick auf das mögliche Leben des Gerald Bostock gut an. So mancher konnte sich darin selbst wiedererkennen.

 www.j-tull.com

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