© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/12 01. Juni 2012

Die Schaufel im Dreck
Poet der Arbeiterklasse: Bruce Springsteens neues Album „Wrecking Ball“
Thorsten Thaler

Ich bin angepisst. Sehr sogar“, sagte US-Rocksänger Bruce Springsteen kürzlich in einem Zeitschrifteninterview mit Blick auf „die sinnlosen Kriegs-einsätze, die Wirtschaftskrise und die soziale Ungerechtigkeit“ in den Vereinigten Staaten. „Ich bin ein 62jähriger Familienvater aus New Jersey, der es nicht fassen kann, wieviel in meiner Heimat Amerika falsch läuft.“ Vor vier Jahren unterstützte er noch Barack Obama bei dessen Wahlkampf ums Weiße Haus und spielte dann auch bei dessen Amtseinführung. Mittlerweile ist er vor allem enttäuscht und zornig. „Die Politik hat versagt“, so Springsteen. Altersmilde klingt deutlich anders.

Davon ist auch auf seinem aktuellen, im März dieses Jahres erschienenen siebzehnten Studioalbum nichts zu hören. „Wrecking Ball“ (Abrißbirne) enthält elf neue Stücke voller Wut auf Banken und Finanzjongleure der Wall Street, dazu die schon früher veröffentlichten, sich hier thematisch einfügenden Titel „Land of Hope and Dreams“ und „American Land“. Musikalisch bietet das Album einen Stilmix aus Rock, Folk, Country, Blues und Gospelmusik.

Springsteens Botschaft ist unmißverständlich. Sie gipfelt in der Liedzeile „The banker man grows fat / the working man grows thin.“ Da ist sie wieder, die Arbeiterklasse, die Springsteen, selbst Arbeitersohn, nicht müde wird in seinen Texten zu besingen. „I always loved the feel of sweat on my shirt / Stand back, son, and let a man work“, wie es in dem Stück „Shackled and drawn“ heißt. Eigener Hände Arbeit, die anständig bezahlt wird, bedeutet Freiheit – so lautet seit jeher die Formel, die Springsteen trotzig allen Luftschloßerbauern entgegenschleudert. „Freedom, son, is a dirty shirt / The sun on my face and my shovel in the dirt / A shovel in the dirt keeps the devil gone“. Die Schaufel im Dreck hält den Teufel fern, das ist Springsteens Credo.

Springsteens Helden sind jene einfachen grundanständigen Leute, die fest an den american dream glauben, an ihre unveräußerlichen Freiheitsrechte und das Streben nach Glück. Leute, die mit ehrlicher Arbeit ihr Auskommen für sich und ihre Familien verdienen wollen. Menschen, die keine Wolkenkuckucksheime errichten, sondern bereit sind, hart anzupacken für ihren sozialen Aufstieg und ein besseres Leben – und denen doch immer wieder übel mitgespielt wird.

Deswegen handeln Springsteens Geschichten auf „Wrecking Ball“ von der großen Depression, von Spekulanten, Schrottkrediten und zerstörten Heimatstädten. Deren Tod haben keine Kanonenkugeln oder Gewehre bewirkt, keine Bomben oder Granaten, die den Abendhimmel zerrissen, keine Armeen oder Diktatoren, „die Marodeure fielen im Dunkeln ein“, wie es in „Death to my hometown“ heißt. Das Ergebnis ist nicht minder verheerend: „They destroyed our families, factories, and they took our homes / They left our bodies on the plains, the vultures picked our bones“. Es sind Zeilen wie diese, die Springsteen den Ruf eingetragen haben, die Stimme der Niedergeworfenen und Ausgestoßenen, der Erniedrigten und Gedemütigten sein.

Er habe immer versucht, „die Distanz zwischen der amerikanischen Realität und dem amerikanischen Traum auszuloten“, sagt Springsteen in einem Interview der aktuellen deutschen Ausgabe des Rolling Stone. Selbst in bescheidenen Verhältnissen in einer Kleinstadt aufgewachsen – sein Vater jobbte als Fabrikarbeiter, Gefängniswärter und Busfahrer, seine Mutter arbeitete als Sekretärin –, lernte Springsteen früh, seinen eigenen Weg zu gehen. Sein erstes Geld verdiente er bereits als Sechzehnjähriger in einer Schülerband, später gründete er eigene Bands, 1972 erhielt er einen Plattenvertrag, sein erstes Album „Greetings From Asbury Park. N.J.“ erschien 1973. Im Jahr darauf hörte ihn der Musikkritiker John Landau bei einem Konzert und schrieb anschließend den legendären Satz: „Ich habe die Zukunft des Rock ’n’ Roll gesehen, ihr Name ist Bruce Springsteen.“ Da war Springsteen vierundzwanzig, und der Rest ist Musikgeschichte.

Daß Springsteen heute im fortgeschrittenen Alter und als vielfacher Millionär noch immer überzeugend den Poeten der Arbeiterklasse verkörpert, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß er seine Wurzeln nie verleugnet hat. Das Album „Wrecking Ball“ legt hierfür glaubhaft Zeugnis ab.

Foto: Bruce Springsteen bei der Präsentation seines aktuellen Albums „Wrecking Ball“ im Februar 2012 in Paris: Seine einzigen drei Auftritte in diesem Jahr in Deutschland absolvierte „The Boss“ mit seiner E Street Band in den vergangenen Tagen in Frankfurt am Main, Köln und Berlin. Am 9. Juli spielt er im Stadion Letzigrund in Zürich und am 12. Juli im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Restkarten dafür sind noch zu haben.

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