© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Die Bürger mucken auf
ESM: Vor der entscheidenden Abstimmung des Bundestages über den permanenten Euro-Rettungsschirm formiert sich der Widerstand
Hinrich Rohbohm

Sie waren gekommen, um der großen Politik die Zähne zu zeigen. Es sollte ein Appell an die Vernunft der Parteien im Deutschen Bundestag werden, eine Aufforderung, den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM nicht wie geplant in der kommenden Woche zu beschließen.

Rund 1.000 Teilnehmer waren Polizeiangaben zufolge am Sonnabend zur Demonstration vor dem Münchner Karlstor erschienen, zu der Freie Wähler, die „Zivile Koalition“, der Verein „Mehr Demokratie“ sowie das „Bündnis Bürgerwille“ und der Bund der Steuerzahler Bayern aufgerufen hatten (JF 22/12). Viele von ihnen halten Transparente in die Höhe. „Ja zum Volksentscheid“ ist da zu lesen, „Stoppt das Geldverbrennen“ , „ESM = Tod Deutschlands“ oder „ESM ist das Versailles hoch zwei“ steht da geschrieben. Auf einem großen gelben Schild steht das Wort „Vertrauen“. Es ist mit roter Farbe durchgestrichen worden.

Ihr Vertrauen in die Politiker haben die Demonstranten eigentlich schon lange verloren. Obwohl nicht wenige von ihnen selbst Politiker sind. Sie engagieren sich in kleinen Parteien und Vereinen. Neben den Freien Wählern tummeln sich Vertreter von ÖDP, Rentnerpartei und der Partei „Die Freiheit“ in der Menge. Sogar ein Vertreter der CDU-nahen „Aktion Linkstrend stoppen“ ist mitsamt orangefarbenem T-Shirt und dem obligatorischen durchgestrichenen nach links zeigenden Pfeil unter den Demonstranten auszumachen. Handzettel machen die Runde. Werbung für die eigenen Ziele. Die Freien Wähler haben einen Infostand aufgebaut, an dem Unterschriften gegen den ESM-Vertrag gesammelt werden.

Dann ergreift der Bundesvorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, das Mikrofon und beginnt mit seiner Rede. Die ist zunächst ein nasses Vergnügen. Weil die Stadt vergessen hatte, den Springbrunnen am Stachus auszuschalten, überzieht eine Wassergischt sprühregenartig die vorderen Zuhörerreihen. Aiwanger revanchiert sich gleich zu Beginn seiner Rede mit einer verbalen kalten Dusche an die Adresse der Bundeskanzlerin. „Angie, was du hier tust ist Kopfschuß mit Ansage“, kritisiert er Merkels Euro-Rettungspolitik. Um wenig später noch einmal gegen die CDU-Chefin auszuteilen. Die Politik, die „Merkel und Co.“ heute betreiben, sei „DDR-Politik“. „Das ist der alte Kommunismus aus dem Osten“, ruft er und erhält starken Applaus. Die Freien Wähler seien zwar gegen den ESM-Vertrag, aber für Europa. Die Politik solle sich auf das zurückbesinnen, was einst im Maastricht-Vertrag festgelegt worden sei. „Sonst können wir nämlich die Parlamente zusperren, weil sie nichts mehr zu sagen haben“, ruft Aiwanger. Schließlich sei der Euro mit der Maßgabe eingeführt worden, daß kein Land für die Schulden anderer Länder einstehe. Griechenland sehe er vielmehr als Opfer und weniger als Schuldigen der Währungskrise. Europa funktioniere nun mal nicht als zentralistischer Block. Dafür sei es „viel zu bunt und zu regional“. Wieder starker Applaus.

Den bekommt auch Beatrix von Storch. Die Vorsitzende der Zivilen Koalition hatte erst vor vier Wochen einen Anti-ESM-Kongreß im Münchner Nobelhotel Bayerischer Hof organisiert. In Berlin habe sie Gelegenheit gehabt, mit dem ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet zu sprechen, berichtet sie. Der habe ihr frei heraus gesagt, daß man auf EU-Ebene das Ziel verfolge, die Kompetenzen der Nationalstaaten und ihrer Parlamente an die EU abzugeben. Der ESM-Vertrag sei in Wahrheit ein „Putsch der EU-Bürokraten“, sagt von Storch, deren Rede die Demonstranten mit „Zugabe“-Rufen honorieren.

„Die Märkte müssen wieder demokratischer werden“, bringt FW-Generalsekretär Michael Piazolo den Willen der Demonstranten zum Ausdruck. Pikant: Mit dem Präsidenten des Bundes der Steuerzahler Bayerns, Rolf Baron von Hohenhau, nahm auch ein CSU-Mitglied an der Demonstration aktiv teil. Zudem war einen Tag vor der ESM-Demo mit Stephan Werhahn ein Enkel Konrad Adenauers den Freien Wählern beigetreten. „Ich war 40 Jahre lang in der CDU. Aber wegen der Euro-Rettungspolitik bin ich ausgetreten. Ich sehe für dieses Vorhaben keine Legitimationsgrundlage“, sagt Werhahn der JUNGEN FREIHEIT. 2013 will er für die Freien Wähler für den Bundestag kandidieren.

Ungebetenen, aber friedlichen Besuch hat die Demonstration auch von anderer Seite erhalten. So waren unter den Zuhörern einige Späher der Antifa und NPD-Vertreter auszumachen. Letzteren erteilte der Landesvorsitzende der Jungen Freien Wähler, Christian Hanika, eine klare Absage. „Schön, daß ihr gekommen seid, aber wir brauchen euch nicht und können gut auf euch verzichten“, rief er ihnen zu. Schon an diesem Freitag will die Zivile Koalition erneut demonstrieren – diesmal in Berlin. Beginn ist um 15 Uhr am Platz der Republik vor dem Reichstag.

www.zivilekoalition.de

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