© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Sabine und der olle Mielke
Paul Rosen

Jetzt schnappen sie richtig zu.“ Der Mann steht am Spreeufer. „Die Enten“, antwortet er auf den fragenden Blick. „Die haben Junge, und da gieren sie nach jedem Stück Brot, weil sie Hunger haben – wie der Staat nach Daten.“ Der Mann am Spreeufer muß es wissen. Schließlich arbeitet er in der Bundesregierung. Ein Ministerialer beim Entenfüttern – kein seltenes Bild in Berlin. „Es ist zum Verzweifeln. Jetzt gibt uns Europa mal die Chance, so richtig offiziell Daten zu sammeln, und dann will sie nicht“, schimpft er über Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich gegen die EU-Vorratsdatenspeicherung stemmt, weil diese angeblich gegen deutsches Verfassungsrecht verstoße. „Madame hat vielleicht Sorgen“, schimpft unser Ministerialer. „Wenn man es genau besieht, verstößt inzwischen die ganze EU gegen unsere Verfassung. Schon mal was vom Demokratieprinzip gehört? Aber das ist ein anderes Thema.“

Bei der Vorratsdatenspeicherung hat die EU vorgeschrieben, daß alle Telefon- und Internetdaten mindestens sechs Monate gespeichert werden müssen. Die EU-Mitgliedsländer müssen die Vorschrift in ihrer nationalen Gesetzgebung umsetzen. Da Leutheusser-Schnarrenberger sich weigert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, will die EU-Kommission Deutschland beim EU-Gerichtshof verklagen. Bleibt die Bundesrepublik auch nach dem Urteil untätig, dann würde ein Strafgeld von 315.036 Euro fällig – pro Tag.

Die FDP-Politikerin will sich als Bürgerrechtlerin profilieren und sich von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) absetzen, der für die Vorratsdatenspeicherung eintritt, weil er sich davon Erfolge bei der Jagd von Verbrechern verspricht. „Alles Quatsch“, sagt unser Entenfütterer. „Wenn Sie die modernen Handys nehmen, dann können Sie davon ausgehen, daß die alles unbegrenzt speichern, sogar Ihren Aufenthaltsort hier.“ Es würden die Schlachten von gestern geschlagen, als Daten noch durch Aufschreiben auf Papier gespeichert wurden. Der Mensch von heute sei, wenn er eines dieser modernen Telefone mitführe, völlig transparent. Und wenn er dann noch alles mit Kreditkarten bezahle und Rabattkarten vorlege, sei er praktisch nackt. „Und fast jeder hat heute so ein schönes Smartphone in der Tasche.“ Die Dinger würden alles speichern und seien besser als manche personalaufwendige Observation.

Die Leute seien heute so unbesorgt im Umgang mit der Technik, daß „der olle Mielke und seine Stasi ihre helle Freude gehabt hätten, wenn es so was zu DDR-Zeiten gegeben hätte“. Deshalb werde Leutheusser-Schnarrenberger keinen Stich mit ihrem Widerstand machen und irgendwann einem Formelkompromiß zustimmen. Die habe wohl zu Hause noch ein Telefon mit Wählscheibe. Der Mann schaut auf sein Handy. „Wir im Ministerium sind bestens vernetzt“, sagt er voller Stolz. Er blickt auf einen Ausschnitt des Berliner Stadtplans im Display, auf dem sich kleine Fotos hin- und herbewegen. Jeder wisse, wo der Kollege gerade sei. „Ich muß los“, ruft er noch, „mein Chef ist im Anmarsch.“

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