© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

„Schrecklicher Zustand“
Studentenverbindungen: Verbandstagung vertieft Spaltung der Burschenschaft
Henning Hoffgaard

Mikrofontest: „Eins. Zwei. Die Einigkeit der Deutschen Burschenschaft.“ Der Ton paßt. Trotzdem blicken viele Burschenschafter in Richtung des Rednerpultes, als hätte dort soeben der Blitz eingeschlagen. Nicht ohne Grund. Die Einigkeit der Deutschen Burschenschaft ist zu diesem Zeitpunkt wohl nur noch Makulatur. Längst machen Gerüchte von Abspaltungen, Rücktritten und Auflösungen die Runde. Keine 24 Stunden nach der Feierstunde auf der Wartburg löst sich der Burschentag am Sonnabend in Eisenach nach heftigem Streit zwischen liberalen und rechten Burschenschaftern um die Ausrichtung des Verbandes schließlich vorzeitig auf und vertagt sich auf ein Sondertreffen Ende des Jahres. Dann soll es um die Zukunft der Deutschen Burschenschaft gehen. Wenn sie noch eine hat. Denn: Auch eine Auflösung des ältesten Dachverbandes der deutschen Studentenverbindungen ist nicht mehr ausgeschlossen. Feierstimmung will deswegen nicht aufkommen.

Ein Blick in das Gesicht von Michael Schmidt verrät, wie tief die Gräben innerhalb der Burschenschaft zwischen Liberalen und Rechten mittlerweile sind und wie groß die Enttäuschung auf allen Seiten ist. Fast vier Jahre war der liberal-konservative Burschenschafter Pressereferent des Dachverbandes. Kein dankenswerter Job. Schmidt mußte immer dann den Kopf hinhalten, wenn es darum ging, angeblich rechtsextreme Ausfälle in der Deutschen Burschenschaft zu erklären. Am Freitag abend steht der schneidige Alte Herr der Stuttgarter Burschenschaft Hilaritas am Fuß des Burschenschafterdenkmals inmitten von Journalisten. Zu diesem Zeitpunkt ist Schmidt mit weiteren liberalen Burschenschaftern längst aus dem Vorstand des Dachverbandes zurückgetreten und nur noch übergangsweise im Amt. Während einige Burschentagsteilnehmer ihren Frust über die bereits einsetzende Berichterstattung, die von einem „Triumph der Rechtsextremen“ (Spiegel Online) auf der Verbandstagung spricht, an den anwesenden Journalisten auslassen, bleibt Schmidt ganz ruhig, plaudert mit Reportern und Fotografen, versucht Vorurteile auszuräumen und spricht dabei Klartext. „Die Deutsche Burschenschaft“, sagt er ganz offen, „ist in einem schrecklichen Zustand.“

Hintergrund ist ein bereits seit längerem andauernder Konflikt zwischen liberalen und rechten Burschenschaften. Im Zentrum steht die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks in Bonn, aus deren Mitte auch Norbert Weidner kommt. Der Schriftleiter der verbandsinternen Burschenschaftlichen Blätter hatte in einem nichtöffentlichen Beitrag für die Mitgliederzeitung der Raczeks den von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfer und Theologen Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ bezeichnet. Der Text wurde im Vorfeld des Burschentages offenbar gezielt den Medien zugespielt.

Für den liberalen Flügel ist das Faß nun übergelaufen. Er stellt einen Abwahlantrag gegen Weidner, der aber deutlich scheitert. Statt der benötigten Zweidrittelmehrheit wird nicht einmal die einfache erreicht. Besonders die kleinen österreichischen Burschenschaften halten Weidner die Treue. Und da jede Verbindung auf dem Burschentag über eine Stimme verfügt, sind die mitgliederstarken liberalen Bünde immer weiter ins Hintertreffen geraten. Wäre nach Proporz abgestimmt worden, wäre Weidner ohne Chance geblieben, ist sich Schmidt, der sich nun in der Pressearbeit der liberalen „Initiative Burschenschaftliche Zukunft“ engagieren will, sicher.

Warum denn vor allem die Österreicher beiträten? „Welche deutsche Verbindung sollte denn jetzt noch in die Deutsche Burschenschaft kommen wollen?“ Nein, mit Weidners Sieg würden mittelfristig wohl 25 liberale Verbindungen aus der Deutschen Burschenschaft austreten. Ein herber Verlust wäre das für den angeschlagenen Verband. Dem Vernehmen nach gab es auch die Überlegung, in einer Art „beiderseitigem Einvernehmen“ die Trennung in zwei organisatorisch getrennte Verbände zu vollziehen. Doch das will die Burschenschaftliche Gemeinschaft, der Zusammenschluß besonders konservativer Mitgliedsbünde, nicht unterstützen, nach dem Motto: „Wer gehen will, kann ja gehen.“

Und genau das werden wohl einige auch tun, vielleicht sogar noch vor der Fortsetzung des Burschentages im Februar. Mit entsprechenden Absichten tragen sich offenbar einige Bünde aus dem sogenannten „Rheinischen Ring“, einem Kartell, das in der Vergangenheit häufig an verantwortlicher Stelle für den Dachverband tätig war. „Was dann noch bleibt, ist ein DB-Torso“, mutmaßt ein Alter Herr: „Dieser Dachverband ist jetzt schon gescheitert.“ In der letzten Zeit sei die DB sehenden Auges ins offene Messer gelaufen, und „das Nazi-Etikett wird sie nicht mehr los“. Genau deswegen, so wird gemutmaßt, seien auch die fünf Verbandsvertreter von ihren Ämtern zurückgetreten: „Die wollten nicht mehr ihr Gesicht für diesen desolaten Haufen herhalten.“

Ob das geplante außerordentliche Sondertreffen in Eisenach stattfinden kann, wird unterdessen immer unwahrscheinlicher. Dort regiert mittlerweile eine Oberbürgermeisterin der Linkspartei. Diese ließ bereits mitteilen, alle Verträge mit der Deutschen Burschenschaft „kritisch zu prüfen“. Diese Ankündigung dürfte bei Funktionären von SPD, Grünen, Linken und den Gewerkschaftern, die zuvor auch in einem offenen Brief die Stadt aufgefordert hatten, den Burschenschaftern entgegen bestehender Verträge keine Halle mehr zur Verfügung zu stellen, für Applaus gesorgt haben. Bei den Eisenachern allerdings bleibt die Linke bei diesem Thema eine Volkspartei ohne Volk. Die Bevölkerung sieht den Burschentag sehr entspannt. „Ich kann mich nicht beklagen“, meint ein Wirt. Jedes Jahr kehren eine Reihe von Burschenschaftern mit ihren „bunten Mützen“ bei ihm ein. „Rechtsextreme?“ Schon die Frage bringt ihn in Rage. „Ich will Ihnen mal was sagen. Seitdem die zu uns kommen, ist mir da nie etwas aufgefallen, und ich bin ja nicht blöd.“

Ein paar Straßen weiter, nicht weit von der Werner-Aßmann-Halle, in der die Burschen tagen, läuft eine Postbotin ihre Strecke ab. Sie hat für solche Fragen keine Zeit, sagt sie, läuft eilig weiter und ruft dann doch noch hinterher, es könne hier jeder, der wolle, ruhig und friedlich feiern. Selbst im örtlichen Nagelstudio, zu deren Kundschaft mutmaßlich kaum Burschenschafter gehören, sieht man die Sache gelassen. „Alles, was Geld in die Stadt bringt, ist gut“, sagt die blondierte Enddreißigerin. „Auch wenn diese Besucher nicht in den Laden kommen.“

Die linke Szene hat längst aufgegeben, die Einwohner für sich zu gewinnen. Keine Aufkleber, keine Flyer, keine Mobilisierung. Die Eisenacher wollen ihre Ruhe und offenbar keine schwarz gekleideten herumbrüllenden Demonstranten. Die kommen am Samstag in die Stadt und müssen dazu aus ganz Deutschland herangekarrt werden. Nach wenigen Stunden ist die linksextreme Episode Geschichte und die knapp 200 Protestler fahren zurück nach Göttingen, Frankfurt und Erfurt. Da ist der traditionelle Höhepunkt des Burschentages, der Fackelmarsch zum Burschenschafterdenkmal, längst vorbei. Aus einem nahe gelegenen Waldstück waren die Fackelträger im Anbruch der Dunkelheit schweigend aus dem Wald marschiert. Die Stille wird nur von den Schritten und dem unaufhörlichen Klicken der Kameras durchbrochen. Langsam zieht der leuchtende Zug die Anhöhe hinauf zum Heldengedenken. Nach einer kurzen Rede wird das Deutschlandlied angestimmt. Alle drei Strophen. „Das ist doch Revanchismus“ giftet eine junge Journalistin. Maas und Memel gehörten doch gar nicht zu Deutschland. Da die Presse von der Veranstaltung ausgeschlossen wurde, sucht sie schnell das Weite. Ein Kamerateam versucht noch, einen Ordner zu provozieren. Erfolglos. Ein locker am Gelände lehnender Polizist gibt sich gelassen. Krawalle befürchtet er nicht. „Vorbereitet sind wir natürlich trotzdem.“ Ein bißchen Regen wäre dennoch nicht schlecht, meint sein Kollege. Das wäre zwar schlecht für die Burschen, aber zumindest kämen dann auch weniger Linksextremisten. „Die machen das ja teilweise nur vom Wetter abhängig“, sagt er lachend.

Am Ende bleibt es trocken und trotzdem friedlich. Die Beamten fahren wieder ab. Nur ein paar Aktive und Alte Herren bleiben zurück. Sie haben viel zu diskutieren.

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