© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Mit brutaler Gewalt und Schauprozessen
Was mit der Gründung der ersten LPG in Merxleben vor 60 Jahren begann, endete für die Bauern der DDR in der Zwangskollektivierung
Klaus Peter Krause

Wer kennt schon Merxleben? Natürlich alle jene, die dort leben. Sicher auch ein paar Zufallsbesucher. Dann vielleicht der eine oder andere historisch Interessierte, der weiß, daß in diesem Dorf 1952 die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) der damaligen DDR gegründet worden ist. Diese Gründung jährt sich am 8. Juni zum sechzigsten Mal und gibt Anlaß, auf die Zwangskollektivierung der Bauern damals zurückzublicken.

Der Kollektivierung vorausgegangen waren noch vor der DDR-Gründung die umfassenden Enteignungen aller Landwirte mit einhundert Hektar und mehr, deren Land dann an vertriebene Bauern aus dem deutschen Osten und landlose Landarbeiter verteilt wurde, „demokratische Bodenreform“ genannt. Doch ging es damals, als dieser Teil Deutschlands – von 1945 bis 1949 – Sowjetische Besatzungszone (SBZ) war, keineswegs nur darum, diesen Menschen zu einigen Hektar Agrarland zu verhelfen, denn anders als im Westen haben sowjetische Besatzungsmacht und deutsche Kommunisten diese Bodenreform als politische Verfolgung umfunktioniert und zum „Klassenkampf“ gegen die „Junker“ und Gutsbesitzer eingesetzt. Dem Wüten fielen 7.136 große Landwirte mit jeweils über einhundert Hektar, aber auch 4.278 kleinere Landwirte mit unter einhundert Hektar zum Opfer.

Das Dorf Merxleben in Thüringen an der Unstrut, heute ein Ortsteil von Bad Langensalza, hatte, als 1945 der Krieg vorbei war, 780 Einwohner, davon 310 Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten. Einen solchen Zustrom aus Vertriebenen und Flüchtlingen hatte es überall in den alliierten Besatzungszonen Deutschlands nach 1945 gegeben, am wenigsten in der französischen. Sie waren zu versorgen, mußten Arbeitsmöglichkeiten bekommen, vertriebene Bauern brauchten dafür Land. In der SBZ bei der Landzuteilung im Zuge der „Bodenreform“ bekamen sie es, auch die, die es nach Merxleben verschlagen hatte.

Aber sie erhielten wie überall in der SBZ nur sieben bis neun Hektar – schon damals zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Die planwirtschaftlichen Ablieferungsvorgaben zu erfüllen, fiel schwer. Wem es nicht gelang, geriet unter politischen Druck, war mit Strafen bedroht. Daher hatten sich in Merxleben 22 vertriebene Bauern schon 1950 von sich aus zu einer Liefergemeinschaft zusammengeschlossen. Der Grund: Ihnen fehlten Maschinen und Saatgut, die alteingesessenen Bauern verweigerten Hilfe, die Gemeinschaft sollte es daher möglich machen, das Plansoll zu erreichen. Solche frühen freiwilligen Zusammenschlüsse noch vor der staatlich befohlenen Kollektivierung hat es auch anderenorts in der DDR gegeben.

Doch diese Gemeinschaften stießen bei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und sowjetischen Militärmacht auf Ablehnung, wurden zunächst unterbunden. Sie entsprachen noch nicht der Parteilinie, bekamen keine amtliche Unterstützung, wurden von den SED-Kreisleitungen, lokalen Parteiorganisationen und örtlichen Behörden boykottiert oder durch sie auch aufgelöst. Auf Druck der SED-Landesleitung Thüringen ebenfalls aufgelöst wurde die Gemeinschaft in Merxleben. Spontane Ansätze zu genossenschaftlicher Arbeit in der Landwirtschaft waren den Machthabern unerwünscht.

Erst mit der II. SED-Parteikonferenz im Juli 1952 änderte sich das, wurde die Kehrtwende förmlich beschlossen und die Kollektivierung als Staatsziel offengelegt. Von Zwang war dabei aber immer noch nicht die Rede, im Gegenteil. Walter Ulbricht, Generalsekretär des SED-Zentralkomitees, hob ausdrücklich hervor, bäuerliche Produktionsgenossenschaften „auf der Grundlage der völligen Freiwilligkeit“ zu schaffen, sei ein großer Fortschritt: „Ich halte es für notwendig, von der Bühne dieser Konferenz herab den Grundsatz der absoluten Freiwilligkeit bei der Organisation solcher Produktionsgenossenschaften zu unterstreichen.“

In Merxleben allerdings hatten die 22 Bauern eine LPG bereits am 8. Juni 1952 gegründet. Für die Genehmigung waren einige von ihnen zwei Tage zum SED-Zentralkomitee nach Berlin gefahren. Mit dem SED-Kurswechselbeschluß im Folgemonat bekam die LPG Merxleben als erste LPG der DDR dann ihren sozialistischen Heiligenschein, nannte sich nunmehr „LPG Walter Ulbricht“ und wurde zum Musterdorf für die DDR-Landwirtschaft stilisiert. Doch im weiteren Verlauf war sie wirtschaftlich alles andere als musterhaft. Nach der deutschen Einheit mußte sie als einer der ersten einstigen DDR-Betriebe aufgelöst werden.

Die Kollektivierung, die sich nach Ulbrichts Vortäuschung freiwillig vollziehen sollte, drohte aber eben daran zu scheitern. Denn der Widerwille der Bauern dagegen, ihr Land in eine LPG einzubringen und ihre Selbständigkeit aufzugeben, war zu groß. Wohl hatten sich bis Oktober 1952 bereits fast 900 Kollektivbetriebe gegründet, es waren aber fast ausschließlich Klein- und Neubauern mit nur einem bis zehn Hektar, die dem SED-Aufruf zur LPG-Gründung folgten, meist durchaus freiwillig, weil sie mit ihren zu kleinen Betrieben wirtschaftlich zu schwach waren. Denn lebensfähig hatten ihre Bodenreform-Betriebe gar nicht sein sollen; man hatte sie für die längst geplante Kollektivierung nur leichter sturmreif machen wollen.

Damit wurde dann offenbar, daß die „Bodenreform“ nicht nur zur politischen Verfolgung des Klassenfeindes und zur Landumverteilung ausgenutzt, sondern zusätzlich als ein verkappter Vorläufer der kommunistisch geplanten landwirtschaftlichen Kollektivierung mißbraucht worden ist. Auch hatten die kommunistischen Machthaber schon 1947/48 die Betriebe mit zwanzig bis einhundert Hektar ins Visier genommen, um diese „Großbauern“ ebenfalls auszuschalten. So bereiteten sie schon früh den zweiten Schritt zur sozialistischen Landwirtschaft vor: die Kollektivierung schließlich sämtlicher Bauern.

Als sich zeigte, daß fast nur die Klein- und Neubauern zur LPG bereit waren, die Mittelbauern (zehn bis zwanzig Hektar) und „Großbauern“ sich der Kollektivierung widersetzten und daß die meisten LPG schon Ende 1952 faktisch zahlungsunfähig waren, wurde klar: So konnte die kollektive Landwirtschaft nur scheitern und mit ihrer vorgeblichen Überlegenheit erst recht nicht überzeugen. Bis Ende 1952 waren nur etwa 39.000 Personen einer LPG beigetreten (2,5 Prozent von 1,6 Millionen der in Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten).

Daher gingen die Machthaber nun dazu über, um die Bauern samt ihren Flächen mit Zwang in eine LPG zu drücken. Der Historiker Jens Schöne schreibt: „Die Partei tat nun alles, um dieses Ziel zu erreichen. LPG-Vorsitzende wurden planmäßig mit Pistolen ausgestattet, Gegner der Kollektivierung inhaftiert, Schauprozesse in den Dörfern abgehalten, Ablieferungspflichten willkürlich erhöht und immer mehr private Betriebsinhaber enteignet. Allein auf Grundlage einer einzigen, im Februar 1953 verabschiedeten Verordnung wurden innerhalb von fünf Wochen mehr als 6.500 Bauern von ihren Höfen vertrieben und entschädigungslos enteignet. Prozesse gegen die sogenannten Großbauern durften nun nicht mehr mit Freisprüchen enden, und auch kleinere Hofbesitzer bekamen immer mehr die Härte der Auseinandersetzung zu spüren.“

Der kollektivierte Bauer mußte Hof, Land, Vieh, Maschinen und sonstiges Inventar in die LPG einbringen. Ebenso seine Arbeitskraft. Man degradierte die zuvor Selbständigen zu bloßen Landarbeitern der nunmehr „roten“ Barone, und die Zwangskollektivierung machte die Genossenschaften zu Riesen-Agrarkombinaten, die die einstige Größe der privaten Güter weit übertraf. Die „Vollkollektivierung“ der DDR-Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild verkündete SED-Parteichef Walter Ulbricht am 25. April 1960.

Rund 850.000 Bauern sind mit ihrem Agrar- und Forstland in die LPG-Kollektive gepreßt und am Ende 19.345 LPG gegründet worden, die 84 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche bestellten. Aber die Kollektivierung mit ihren Folgen hatte die SED-Herrschaft zweimal in eine Existenzkrise gebracht. 1953 rettete sie sich, indem der Aufstand mit Hilfe der Sowjets niedergeschlagen wurde. 1961 zog sie die Mauer durch Berlin, damit über diese letzte Fluchtmöglichkeit ihr Staat nicht noch weiter von Menschen ausblutete. Die grüne Demarkationslinie zur Bundesrepublik hatte sie mit Grenzanlagen schon 1952 abgedichtet (JF 21/12).

Wirtschaftlich, sozial, kulturell und für das Landschaftsbild wurde mit der Kollektivierung eine Veränderung in Gang gesetzt, die katastrophale Folgen hatte und bis in die Gegenwart immer noch hat. Die agrarische Kulturlandschaft ist zum „agrar-industriellen Produktionsraum“ (Uwe Bastian) geworden. In der Geschichte Deutschlands hat es so umfassend noch nie einen derartigen Großgrundbesitz gegeben wie heute in der Landwirtschaft zwischen Ahlbeck und Zwickau; die meisten der enteigneten ostelbischen Gutsbesitzer hatten weit weniger besessen. Diese großbetriebliche Monostruktur vermag nicht mehr, den ländlichen Raum mit genug Leben zu füllen und ausreichend an einem dort nötigen breiten Wirtschaftswachstum mitzuwirken. Wie sie damit sozialen und wirtschaftlichen Schaden anrichtet, wollte und will deutsche Politik nicht wahrhaben. Aber das ist ein anderes schlimmes Kapitel.

Weiterführende Literatur:

Jürgen Gruhle: Ohne Gott und Sonnenschein. Verlag Peter Adlung, Grabsleben 2000 (ISBN 3-8311-1216-9).

Michael Beleites u.a. (Hrsg.): Klassenkampf gegen die Bauern. Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute. Metropol Verlag 2010 (ISBN 978-3-940938-96-1).

Gernot Biehler: Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990. Duncker & Humblot 1994 (ISBN 3-428-07918-3).

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