© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Teilnehmer der Leipziger Montagsdemo 1989: Völlig verschätzte Zahlen
Quantitäten in Frage stellen
(wm)

Geht es um nackte Zahlen, können Zeithistoriker bisweilen sogar in juristische Untiefen geraten. Daß auf dieser Statistiker-Domäne hingegen genausogut angstfreie Forschung möglich ist, belegt die Fallstudie des Soziologen Karl-Dieter Opp. Er begann schon 1993 an der bis heute allseits akzeptierten Zahl von 70.000 Teilnehmern auf jener Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 zu zweifeln, die in Geschichtsbüchern das Ende der DDR einläutet. Mit der simplen polizeilichen Methode, zur Abschätzung der Größe einer Demonstration die Zahl der Quadratmeter der Kundgebungsfläche mit der Zahl von vier Personen pro Quadratmeter zu multiplizieren, kam Opp auf mindestens 130.000 Teilnehmer an diesem Tag. Die viel geringere offizielle Zahl geht, wie Opp flankierend nachweist, auf willkürliche Schätzungen von DDR-Oppositionellen zurück, die sie „West-Medien“ übermittelten und die sich seitdem festsetzten (Soziologie, 2-2012). Aus dieser Genese vermeintlich offenkundiger „Tatsachen“ leitet Opp eine insbesondere für die Neuere und Neueste Geschichte hochbrisante Forderung ab: „Traue keinen Daten (einschließlich Zahlen), die fest etabliert zu sein scheinen. Besonders vorsichtig muß man sein, wenn die Daten Allgemeingut geworden sind und es nicht den leisesten Zweifel an ihrer Richtigkeit gibt.“

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