© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Weit unter ihren Möglichkeiten
Die Verkehrspolitik der Bahn AG verhagelt die deutsche Klimabilanz / Vorbilder Schweiz und Japan?
Felix Bauer

Seit dem Wechsel von Hartmut Mehdorn zu Rüdiger Grube an der Spitze der Deutschen Bahn AG (DB) ist das bundeseigene Unternehmen aus den Schlagzeilen weitgehend verschwunden. Was nicht heißt, daß sich die DB-Probleme in Luft aufgelöst hätten. Ganz im Gegenteil, so klagt Annette Jensen (Natur+Kosmos, 5/12), die aus ökologischer Sicht eine niederschmetternde Bilanz zieht.

Die Bahn, gestützt auf die Politik, bemühe sich seit zwei Jahrzehnten nicht ausreichend darum, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Dies gelte für Personen wie Güter. Daher liege der verkehrsbedingte CO2-Ausstoß heute nur unwesentlich unter dem Niveau von 1990. Seit 1994 seien 75 Milliarden Euro in den Ausbau des Schienennetzes investiert worden, doch die Zahl der Bahnnutzer im Fernverkehr sinke kontinuierlich. Mit 7,5 Prozent Marktanteil am Personentransport, so zitiert Jensen den Bund für Umwelt und Naturschutz, bleibe die DB „weit unter ihren Möglichkeiten“. In der Schweiz (das Streckennetz der staatlichen SBB ist komplett elektrifiziert, 90 Prozent der Züge sind pünktlich) ebenso wie in Japan werde das Drei- bis Vierfache erreicht. Überhaupt könne sich die deutsche Verkehrspolitik speziell das asiatische Inselreich zum Vorbild nehmen.

Saftige Mautgebühren (mehr als 20 Euro für 100 Kilometer) und empfindlich niedrige Geschwindigkeitsgrenzen (Tempo 100 auf Autobahnen) schreckten dort von vielen Pkw-Fahrten ab. Eine attraktive Alternative offerierten dagegen die erstmals 1964 verkehrenden Shinkansen-Schnelltriebzüge der Japan Railway (JR). Sie verkehren zwischen Metropolen wie Tokio oder Osaka teilweise im Zehn-Minuten-Takt und verbinden auf einem eigenen Streckennetz den äußersten Norden der Hauptinsel Honshu (Aomori) mit der Südinsel Kyushu (Kagoshima) – mit Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h.

Anders als der deutsche ICE verkehren die Shinkansen auch bei 38 Grad im Sommer ohne Saunatemperaturen, ohne Achsenbrüche oder verstopfte Aborte. Trotz Erdbebengefahr gab es bislang noch keinen Shinkansen-Unfall, bei dem Fahrgäste ums Leben kamen. Die JR-Züge führen überdies mit einer Durchschnittsverspätung von sechs Sekunden die weltweite Pünktlichkeitsliga an, während ein Drittel aller DB-Fernzüge über sechs Minuten zu spät am Zielort waren.

Anders als in Japan sind in Deutschland 95 Prozent der Zugnutzer in Nahverkehrszügen unterwegs. Trotzdem fließt das Gros der DB-Investitionen in die ICE-Infrastruktur. Milliardensummen erkaufen dort Minutengewinne, die Reisende beim Warten auf den Anschlußzug oft wieder verlören. Ganze Regionen wie die Eifel, Nordbayern, Ostthüringen oder auch Großstädte wie Chemnitz, so moniert Jensen, seien andererseits vollständig vom DB-Fernverkehrsnetz abgekoppelt worden. Andernorts, wie in Dresden oder Regensburg, müsse man eine „radikale Ausdünnung“ des Angebots hinnehmen.

Diese Fehlplanungen würden komplettiert durch die Schließung von einem Drittel der Gleisanschlüsse für Gütertransporte. Im Bahngüterverkehr in Deutschland wurden im ersten Quartal dieses Jahres 89,7 Millionen Tonnen Güter befördert. Das waren 2,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. 2011 wurden insgesamt 375 Millionen Tonnen transportiert. Das entspricht einem Marktanteil von weniger als zehn Prozent. Lkws beförderten hingegen 2.986 Millionen Tonnen, also mehr als drei Viertel aller Güter. Doch die deutsche Klimabilanz werde nicht allein infolge einer chaotisch wirkenden Netzstrategie „verhagelt“. Auch die Umstellung auf erneuerbare Energien, deren Anteil im DB-Betrieb bei 20 Prozent liegt, komme nicht schnell genug voran. 45 Prozent des Bahnstroms würden mit klimaschädlicher Kohle erzeugt, jede dritte Lok schlucke noch Diesel. Und die Emissionsvorschriften für Dieselloks sind zudem viel großzügiger als im Kfz-Bereich.

Greenpeace habe dem Konzern vorgerechnet, daß die Bahn schon 2030 statt wie geplant 2050 auf Kohle- und Atomstrom verzichten könne. Vorausgesetzt, daß sich die „Lebenswelt der Entscheider“ endlich an den Bedürfnissen der ökologisch sensiblen Nutzer ausrichtet und die Weichen für eine „fahrgastorientierte Verkehrsplanung“ stelle. Bezüglich des Bahnstroms ist Japan aber kein „grünes“ Vorbild: Bis zur Fukushima-Katastrophe kam dieser zu einem Großteil aus AKWs. Inzwischen sind es Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke.

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