© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/12 08. Juni 2012

Unsere Nutella-Jungs
Süß, nussig, zäh: Hoffentlich klebt die deutsche Elf wie der Brotaufstrich am Ball und wird nicht in der Vorrunde abgefrühstückt
Fabian Flecken

Die Fahnen dürfen wieder raus. Alle Jahre wieder nimmt Deutschland eine Auszeit von patriotischen Verklemmungen und bekennt sich im Rahmen von Europa- und Weltmeisterschaften unbefangen zur eigenen Nation. Schwarz-Rot-Gold wird den Juni bestimmen. Hupkonzerte, Autokorsos, Leinwände in den Fußgängerzonen, bebende Kneipen und Wohnzimmer sind auch diesmal zu erwarten. Ob „Jogis“ Truppe nach dem Auftaktspiel am 9. Juni einen erneuten Anlauf zur Vollendung der sich seit 2006 wiederholenden Sommermärchen nehmen kann, hängt auch von einer alten Fußball-Legende ab: dem Nutella-Fluch.

Die Nußnougatcreme des italienischen Süßwarenherstellers Ferrero wird seit 2004 von jungen deutschen Nachwuchsfußballern beworben; der von dem italienischen Konditor Pietro Ferrero (er hatte den Brotaufstrich 1940 entwickelt) begründete Konzern ist nicht nur der Sponsor der deutschen, sondern auch der österreichischen, italienischen und französischen Nationalmannschaft. Unter dem Slogan „Hast du’s drauf?“ richteten sich damals die „jungen Wilden“ Benjamin Lauth, Kevin Kurányi, Arne Friedrich und Andreas Hinkel an die kaum ältere „relevante Zielgruppe“ der Nutella-Konsumenten. Da von dieser ersten Generation der Werbe-Ikonen nur Arne Friedrich für den WM-Kader 2006 nomiert und die „Nutella-Boys“ der zweiten Generation ebenso abgefrühstückt wurden, sprach man in den Medien bald vom Nutella-Fluch: Wer auch immer für die „braune“ Nougatmasse im TV-Spot warb, blieb wie ein lästiger Nutella-Rest am Aufstreichmesser kleben.

Seit 2011 sind Mesut Özil, Manuel Neuer, Mats Hummels, Benedikt Höwedes und Dennis Aogo in den humorig angelegten Werbespots zu sehen. Mal schaut Mats Hummels einer drallen Blondine auf den Hintern und ruft ihr, das TV-Wetter ankündigend, ein Donnerwetter hinterher; mal kommt es zwischen dem türkischstämmigen Özil, seinen Freunden und einer Servicekraft zum „Showdown“ um ein Nutella-Glas.

Doch die „lebenswichtigen Spurenelemente“ in der Mixtur aus Zucker, Pflanzenöl, gerösteten Haselnüssen, Kakao, Milchpulver, Sojalecithin und Vanillin nutzten Dennis Aogo nichts. Der kakaofarbige HSV-Stammspieler durfte nicht in den hochmotivierten deutschen EM-Kader einziehen, der allerdings auch unter großem Erfolgsdruck steht: „Ohne Titel keine goldene Generation“, legte der 28jährige Kapitän Philipp Lahm die Latte höher, als es manchem Nutella-Streichling lieb sein könnte. Bundestrainer Joachim „Jogi“ Löw nahm etwas Pulver aus der Mischung: Zwar werde man alles tun, um den Titel zu gewinnen. „Aber allein daran ein Team zu messen, halte ich für unangemessen“, erklärte er im Kicker. Für ihn wäre es „tödlich“, kurz vor einem Turnier vom Halbfinale oder Finale zu sprechen.

Löw will nicht zuletzt die Erwartungshaltung dämpfen, zumal sein Vorvorvorvorgänger Berti Vogts unlängst einen Titelgewinn zur Pflicht eines jeden Bundestrainers erklärte. Könnte der Nutella-Fluch „unseren Jungs“ in Polen und in der Ukraine weiter schaden? Seitdem Ferrero Ende letzten Jahres verkünden ließ, in Zukunft auf Werbespots mit Einzelspielern zu verzichten und statt dessen stets eine kleine „Nutella-Familie“ vor die Kamera zu stellen, scheint die größte Gefahr gebannt.

Gefährlicher sind für die Jungs im weißen Nationaltrikot vor allem die 15 anderen Mannschaften. Die frühstücken nämlich auch kräftig mit der ursprünglich Supercrema genannten Paste, deren Konsistenz und Geschmack wie der europäische Währungsraum zweigespalten ist. Süd-Nutella soll wie die deutsche Konkurrenz aus Südeuropa weicher, süßer und nussiger sein. Das gilt wahrscheinlich auch für Portugal, das stark von der Leistung seiner beiden Superstars, Nani und insbesondere Ronaldo, abhängig ist. Nord-Nutella ist weniger glänzend, dafür aber streichfest: Deutschlands ewiger Rivale Holland verfügt mit van Persie und den Bundesliga-Stars Robben und Huntelaar über den wohl besten Angriff des Turniers.

Die Nutella-Nation Italien ist ohnehin unberechenbar, und auch die Franzosen schmieren sich gerne die kalorienreiche Nahrung aufs Croissant. Auf die Spanier muß die deutsche Elf trotz des Ausfalls von Topstürmer Villa immer aufpassen – da nützt es wenig, wenn man wie Özil laut Nutella-Frühstücksstudie immer ein „Glas zu Hause“ hat.

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