© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Hart an der Grenze des Grundgesetzes
Zukunft Europas: Eine Berliner Diskussionsrunde will der vertieften politischen Union den Boden bereiten
Henning Hoffgaard

Wenn sechs „überzeugte Europäer“ in der Konrad-Adenauer-Stiftung über die Zukunft von EU und Euro diskutieren, ist normalerweise Langeweile angesagt. Normalerweise. Die Veranstalter hatten in der vergangenen Woche jedoch offenbar nicht mit der Renitenz des Bundesverfassungsrichters und ehemaligen Thüringer Innenministers Peter Michael Huber gerechnet. „Es kann nicht sein, daß die Mitgliedstaaten am Ende nur noch Skelette sind“, sagt er mit Blick auf die Forderungen nach mehr Kompetenzen für die EU. In der Vergangenheit sei das Recht „mit Füßen getreten“ worden. Kein Wunder also, daß die Bevölkerung das Vertrauen in die Regierungen längst verloren habe, sagt Huber. „Klare Kante“, nennt man so etwas. Doch so brisant der Inhalt auch ist, Huber fällt aus seinem beruhigenden Plauderton nicht heraus. „Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grenze gezogen.“

Weitere Kompetenzabtretungen an Brüssel kollidierten zunehmend mit dem Grundgesetz. Auch das Wort „Volksabstimmung“ fällt. Im Publikum macht sich schlechte Laune breit. Daran ändert sich auch nichts, als Huber die EU als „Geschenk“ bezeichnet, die um des Friedens willen verteidigt werden müsse. Im Detail bleibt der frühere CDU-Politiker unnachgiebig. „Wenn der Bundestag immer weiter Kompetenzen abgibt, wird das Wahlrecht irgendwann zur Farce.“ Beliebt macht er sich so beim „Gesprächskreis Europapolitik“ von CDU und CSU nicht. Als einziger der sechs Diskussionsteilnehmer bekommt er nach seiner Rede keinen Applaus. Huber wirkt, als könne er es verkraften.

Die Veranstalter wollen eigentlich über etwas anderes reden: „Mehr Europa? Ja, aber wie?“ Die Frage, „ob“ man überhaupt mehr Europa braucht, stellt sich offenbar gar nicht mehr. Denn ein einzelner Staat könne mit den Herausforderungen, die eine globalisierte Welt stellt, gar nicht mehr klarkommen, stellt Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag, von Anfang an klar und gibt gleich noch der Bundeskanzlerin recht. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Und wie der Kontinent gerettet werden kann, weiß der Christdemokrat auch. „Mehr Eingriff und Kontrolle.“ Auch zum Thema Euro-Bonds hat Krichbaum die neue, vom Kanzleramt ausgegebene Sprachregelung längst verinnerlicht: Kein Thema, zum „jetzigen Zeitpunkt“ zumindest. Für genau den richtigen Zeitpunkt für Euro-Bonds halten es dagegen der ehemalige italienische Außenminister Franco Frattini und der Präsident der Robert-Schuman-Stiftung, Jean-Dominique Giuliani.

Beide wollen mehr Europa und vor allem mehr Geld für die von der Pleite bedrohten Euro-Mitgliedstaaten. Die Vergemeinschaftung von Schulden, bei der deutsche Steuerzahler für italienische Banken haften müßten, nennen die beiden lieber „Bankenunion“ und „Fiskalpakt“. Zwar soll dabei die Bevölkerung „mitgenommen“ und die Demokratie ausgebaut werden, dennoch pocht EU-Lobbyist Giuliani auf schnellere Entscheidungen. Einer Forderung, die sich nur schlecht mit mehr „Partizipation“ der Bürger vereinbaren läßt. Dann geht es Schlag auf Schlag. Europäischer Finanzminister, gemeinsame Wirtschaftsregierung und weitere Rettungspakete. Und zwar schnell, wie Frattini meint. Denn: nationalistische Tendenzen nehmen in Europa zu. Notfalls müsse sich eine „Koalition der Willigen“ zusammenfinden, ergänzt Giuliani. Ein unglücklicher Vergleich, wenn man an die letzte Koalition dieses Namens denkt.

Huber bleibt skeptisch. Er hält die Versprechen von Deutschland und Italien, 2014 beziehungsweise 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, für unglaubwürdig. Das Ganze sei „Augenwischerei“ und überhaupt hat „Deutschland nun einmal andere Interessen als Spanien“. Schließlich meldet sich der Leiter der Europäischen Akademie Berlin, Eckart Stratenschulte, zu Wort. Währungs- und Finanzunion dienten eigentlich nur dazu, deutsche Dominanz zu verhindern. Zur Euro-Krise meint er süffisant: „Solange die Hütte brennt, interessiert das keinen.“ Gemeint ist die Demokratie.

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