© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Zwei kamen durch
Parlamentswahl in Frankreich: Einmalige Machtfülle für die Sozialisten / Front National etabliert sich als dritte Kraft
Friedrich-Thorsten Müller

Wie erwartet endete der zweite Wahlgang der Parlamentswahlen in Frankreich mit einem deutlichen Sieg der politischen Linken. Dabei gelang es den Sozialisten, dank dem für die stärkste Partei sehr vorteilhaften Mehrheitswahlrecht bei einer erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung von nur 55,4 Prozent 314 der 577 Parlamentssitze zu erlangen. Damit kann der frischgewählte sozialistische Präsident François Hollande auch ohne Grüne und Linksradikale in der Assemblée Nationale auf eine solide Regierungsmehrheit zurückgreifen. In Verbindung mit der schon im vergangenen September erreichten Mehrheit im Senat verfügen die Sozialisten nun über eine in der Geschichte der Fünften Republik für die Linke einmalige Machtfülle.

Die bürgerliche UMP verlor dagegen etwa 100 Sitze und erreicht noch 194 Mandate. Ihr nahestehende Gruppierungen bringen es auf weitere 35 Abgeordnete. Der rechte Front National konnte mit der 22jährigen Enkelin von Jean-Marie Le Pen, Marion Maréchal-Le Pen (JF 25/12), und dem bekannten Rechtsanwalt Gilbert Collard zwei seiner Kandidaten in der Stichwahl durchbringen. Der Front National ist damit erstmals seit 14 Jahren wieder in der Nationalversammlung vertreten.

Marine Le Pen, die Parteivorsitzende, scheiterte dagegen in ihrem Wahlkreis im Norden knapp mit 49,9 Prozent der Stimmen gegen den Sozialisten Philippe Kemel, der im ersten Wahlgang noch fast 19 Prozentpunkte hinter ihr lag. Aufgrund des geringen Abstands und vermuteter Unregelmäßigkeiten hat Marine Le Pen das Ergebnis angefochten und besteht auf einer Neuauszählung. Auch in einem weiteren, zuvor für den FN aussichtsreichen Wahlkreis wird es wohl ein gerichtliches Nachspiel geben: Im Wahlkreis 16 des Departements Bouches-du-Rhône, in dem zuvor der UMP-Kandidat seine Kandidatur zugunsten der FN-Vertreterin Valérie Laupies zurückzog, scheiterte diese trotzdem mit 48,7 Prozent gegen den amtierenden Abgeordneten Michel Vauzelle. Sie wirft ihm nun unlautere Wahlbeeinflussung vor.

Auch andere FN-Kandidaten erreichten insbesondere im Süden Stichwahlergebnisse von über 30 oder gar 40 Prozent. Einen weiteren der extremen Rechten zugeordneten Parlamentssitz erreichte Jacques Bompard, der Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Orange, mit seiner Gruppierung „Liga des Südens“. Als Gründungsmitglied des FN war Bompard bereits in den 1980er Jahren – unter dem damals geltenden Verhältniswahlrecht – Mitglied der Nationalversammlung, verließ die Partei aber 2005.

Die parlamentarische Rolle des Front National dürfte ohne Fraktionsstatus, für den 15 Abgeordnetensitze notwendig wären, eher beschränkt bleiben. Die Parlamentsordnung handhabt das Rederecht für Einzelabgeordnete sehr restriktiv. Auch fehlt mit Marine Le Pen die erfahrene Parteichefin auf den Bänken des Palais Bourbon.

Gleichwohl dürfte es nach allgemeiner Einschätzung der Partei gelingen, im Gegenzug sich medial fest als „Dritte Kraft“ zu etablieren. Der FN-Sprecher Florian Philippot äußerte daher im Vorfeld der Wahl nicht ganz zu Unrecht, „daß ein Abgeordneter des Front National 50- oder 100mal so viel Gewicht habe wie einer der UMP oder der PS“. Schließlich ist sich jeder bewußt, daß nur aufgrund des Mehrheitswahlrechts die Zahl der FN-Abgeordneten so gering ist.

Das entscheidende Ergebnis der Wahl dürfte aber sein, daß Frankreichs bürgerliches Lager den im Vorfeld der Stichwahl eingeschlagenen Weg der zunehmenden Äquidistanz zu Sozialisten und FN vermutlich beibehalten wird. Das heißt, es wird auch in Zukunft – wie bei dieser Wahl – eher keine Wahlabsprachen mit den Sozialisten mehr geben, um FN-Kandidaten zu blockieren.

Zwar hatte Marine Le Pens „schwarze Liste“ mit möglichst nicht zu wählenden FN-feindlichen Kandidaten aller Parteien nur mäßigen Erfolg. Des weiteren verhalf ihre vorsichtige Unterstützung des früheren Innenministers Claude Guéant („er hat eine Aufmunterung verdient“) diesem in seinem Wahlkreis nicht zu einem Sieg im zweiten Wahlgang, obwohl er zuvor mit 30,4 Prozent in Führung lag.

Auch bisher noch zaghafte Annäherungen der Bürgerlichen, wie die der früheren Ministerin Nadine Morano, die umgekehrt um die Gunst der FN-Wähler in der Stichwahl buhlte, waren noch nicht von Erfolg gekrönt.

Dies ist aber im Moment vor allem vor dem Hintergrund des auf Wechsel ausgerichteten politischen Gesamtklimas zu sehen. Da Frankreichs neuer Präsident finanziell kaum Spielräume hat, die hohe Erwartungshaltung seiner Wähler zu befriedigen, dürften schon bei den nächsten Wahlen die Karten ganz neu gemischt werden.

Foto: Stolz blickt Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen auf seine Enkelin Marion Maréchal: Mit 42,09 Prozent die Konkurrenz besiegt

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