© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

„Unser Kampf hat erst begonnen“
Euro-Krise: Bürgerprotest gegen den Rettungsfonds ESM in Karlsruhe / Eurozentralismus statt Basisdemokratie?
Taras Maygutiak

Denn einzig bei uns heißt einer, der sich von den politischen Dingen fernhält, nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter“ – Dieses Perikles-Zitat ist derzeit unter der Überschrift „Demokratie“ bei der Ausstellung „900 Jahre Baden“ im Karlsruher Schloß zu lesen. Knappe 300 Meter weiter ist es am vergangenen Samstag nachmittag alles andere als still. Rund 400 Bürger haben sich auf dem Marktplatz versammelt, um lautstark gegen den ESM-Vertrag zu protestieren. Gekommen sind Menschen jeden Alters. Junge Familien mit ihren Kindern, Studenten, aber auch ältere Semester haben sich zum Protest vereinigt. Organisiert ist die Demonstration vom Aktionsbündnis Direkte Demokratie, dem Verein Zivile Koalition, weiteren Organisationen und engagierten Einzelpersonen. Beatrix von Storch, Vorsitzende der Bürgerinitiative Zivile Koalition, würde diejenigen, die sich dem Protest fernhalten, nicht wie einst Perikles als „schlecht“ bezeichnen. Eher als schlecht informiert.

Von Storch ist sich jedoch sicher: „Die Medien können uns nicht mehr lange ignorieren.“ Sie wertet es als „großen Erfolg, daß so viele Leute da sind“, und ist zuversichtlich, daß der Protest kontinuierlich zunehmen wird: „Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden mehr. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat.“ In ihrer Rede geht die engagierte Juristin mit der EU-Schuldenpolitik hart ins Gericht und beruft sich dabei auch auf Aussagen aus prominentem Munde: „Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, gibt dem Euro noch weniger als drei Monate.“

Auch Alan Greenspan sage: „Der Euro ist gescheitert“, zitiert von Storch den ehemaligen US-Notenbankchef. Ihr Fazit: „Die EU hat mir ihrer Bankenrettung nichts bewirkt. Diese Politik ist eklatant gescheitert.“ Selbst Frau Merkel habe erstmals im Bundestag zugegeben, daß die Herausforderungen durch den Euro Deutschland zu überfordern drohten. „Die EU benutzt die Krise bewußt, um die Rechte an die EU zu übertragen“, gibt von Storch Äußerungen des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, wieder, mit denen dieser bekannt hatte, um was es tatsächlich geht. Unter Beifall der Menge appelliert Beatrix von Storch in Karlsruhe zum Schluß ihrer Rede: „Sehr geehrte Verfassungsrichter, bleiben Sie unabhängig von der Politik. Setzen Sie nur einen Maßstab: unsere Verfassung.“

Zahlreiche Personen wie Wolfgang Eschenbacher von den Freien Wählern, Volker Reusing vom Netzwerk Volksentscheid und Josef Szoboszlai von der libertären Partei der Vernunft (PdV) lassen in ihren Reden am ESM und der EU-Schuldenpolitik kein gutes Haar. Verlesen werden zudem Grußworte von dem Euro-Kritiker und Währungsexperten Professor Wilhelm Hankel und dem Juristen und eigentümlich frei-Kolumnisten Carlos A. Gebauer.

Die Rednerliste hatte sich jedoch verkürzt. Mitorganisator Marcus Anton vom Aktionsbündnis Direkte Demokratie bedauert, daß die Vertreter der Linkspartei und der Piraten, die sich als Redner eingetragen hatten, kurz zuvor ihr Kommen abgesagt haben. Warum die NRW-Abgeordneten der Piratenpartei Robert Stein und Dietmar Schulz, trotz Zusage fernblieben, blieb zunächst offen. Der Linken-MdB Michael Schlecht (Ex-SPD und Verdi-Chefvolkswirt) teilte mit, das Aktionsbündnis gegen den ESM betreibe eine „national-chauvinistische Rückbesinnung“, deshalb werde er nicht an teilnehmen.

Bislang hat die Linksfraktion im Bundestag alle sogenannten Euro-Rettungsmaßnahmen allerdings geschlossen abgelehnt. Vielleicht ist den Genossen die Abgrenzung von politisch Unkorrekten wichtiger als der ESM. Warum die Piraten in Karlsruhe fehlten, ist insofern unverständlich, da bei der ESM-Kundgebung in Berlin Piraten anwesend waren (JF 25/12). Anton ist ein breites Bündnis gegen den ESM dennoch wichtig. Er betont: „Daß die Gegner des ESM in eine rechte Ecke gestellt werden, lassen wir nicht zu.“

Das Bündnis ist in der Tat breit. Mit Hansjörg Schrade hat sich wie in Berlin auch ein Grünen-Politiker vom Kreisverband Reutlingen der Protestbewegung gegen den ESM angeschlossen: „Ich kämpfe in der Partei für meine Überzeugungen“, sagt Schrade. Er bedauert, daß „die Grünen die treueste Truppe Merkels“ beim Thema „Euro“ sind. Seine Erkenntnis über die eigene Partei: „Die Grünen wollen Eurozentralismus statt Basisdemokratie.“ Schrades Urteil über den ESM: „Es ist das ideologische Gebilde einer Nicht-Elite.“

Nach den Protestkundgebungen in München (JF 24/12) und kürzlich Berlin sowie jetzt in Karlsruhe wird sich der Widerstand fortsetzen, kündigt von Storch in Karlsuhe an: „Unser Kampf ist nicht beendet, er hat erst begonnen. Auch wenn der ESM kommt.“

 

Initiativen gegen den ESM-Vertrag:

www.buendnis-buergerwille.de

www.esm-protest.de

www.zivilekoalition.de

Dokumente und Hintergründe zum ESM:

www.esm-vertrag.com

ESM-Anfrage an die Bundeskanzlerin

Renommierte deutsche Ökonomen um den Münsteraner Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum (Bündnis Bürgerwille) haben eine „Außerparlamentarische Große Anfrage“ an Bundeskanzlerin Angela Merkel verfaßt. „Wir wenden uns an Sie in der tiefen Sorge, daß Sie mit der Unterzeichnung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) einen noch größeren Fehler begehen, als es die unbedachten Rettungsaktionen für Griechenland waren, die Deutschland demnächst milliardenschwere Verluste zufügen werden“, heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem auch vom Vorsitzenden der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, unterzeichnet wurde. Die Verfaßen fragen nach möglichen Alternativen zum ESM. „Europa ist nicht gescheitert, als die Europäische Verfassung scheiterte. Weshalb scheitert Europa, wenn das Euro-System in seiner jetzigen geografischen Zusammensetzung keinen Bestand mehr hat?“ so die ESM-Gegner.

Außerparlamentarische Große Anfrage: www.eurodemostuttgart.wordpress.com

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