© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Lach, Europa!
Rückzug: Hans Magnus Enzensberger und Thilo Sarrazin versuchen sich als bessere Europäer
Christian Dorn

Ach Europa!“ Der prophetische Seufzer Hans Magnus Enzensbergers, titelgebend für seinen vor einem Vierteljahrhundert veröffentlichten Essayband, scheint aktueller denn je. Bereits damals hatte das intellektuelle Chamäleon der Bundesrepublik Deutschland vor der Normierung und Homogenisierung der Europäischen Gemeinschaft (EG) gewarnt. In der Essaysammlung sagte Enzensberger voraus, daß die Berliner Mauer bald fallen und daß der Integrations- und Harmoniewahn der EU am Eigensinn der Nationen scheitern werde.

Mit dem 2011 erschienenen Essay „Sanftes Monster Brüssel“ (Suhrkamp)erneuerte er diese Kritik und warnte vor der „Entmündigung Europas“. Nichts verdeutlicht diese Entwicklung so sehr wie das von den politischen Eliten vorangetriebene „Abenteuer Euro“. Über dieses referierte Thilo Sarrazin zum Tagungsabschluß 2012 der Stiftung Familienunternehmen im Palaissaal des Hotels Adlon – exakt dort hatte er jüngst auch sein neues Buch vorgestellt (JF 22/12).

Die Stiftung Familienunternehmen widmet sich der Förderung, Information, Bildung und Erziehung sowie dem wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Familienunternehmertums in Europa. Insbesondere setzt sie sich für die öffentliche Wahrnehmung und politische Anerkennung der Interessen von Familienunternehmen ein. Vorstand ist der Rechtsanwalt Brun-Hagen Hennerkes, Seniorpartner einer auf Familienunternehmen spezialisierten Anwaltskanzlei in Stuttgart, der auch die Stiftung 2002 ins Leben rief.

Sarrazins Vortrag, der einen Tag später als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien, lief auf die These hinaus, daß in der Euro-Zone die Schuldenunion wohl weiter ausgebaut und die Europäische Zentralbank ihre „lockere Geldpolitik“ fortsetzen werde, um „mit extrem niedrigen Zinsen die Haushaltsdefizite der Südländer mit der Notenpresse zu finanzieren“. Dies werde zu einer deutlichen höheren Inflation führen. Für Deutschland veranschlagt Sarrazin die Inflation bei vier bis sechs Prozent über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Die deutschen Familienunternehmer werden sich ihren Teil gedacht haben. Enzensberger jedenfalls lobte Sarrazins Vortrag: „Schön, mal jemanden reden zu hören, der versteht, wovon er spricht.“ Denn, so Enzensberger zu der moderierenden Sabine Christiansen, „was qualifiziert die Leute in den Talkshows über Dinge zu sprechen, von denen sie offensichtlich keine Ahnung haben?“

Wer sich noch gut an die „Abende mit Sabine Christiansen“ erinnert, konnte diese Bemerkung getrost auf die Moderatorin selbst beziehen. Hatte diese doch in einer Sendung vor der Euro-Einführung vorwiegend Euro-Propagandisten eingeladen – als Kritiker-Staffage zugelassen waren lediglich ein Clown, Heinz Schenk vom „Blauen Bock“ sowie ein britischer Lord aus dem Oberhaus.

Dennoch geriet der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel so sehr in Bedrängnis, daß er – wie einst bei den Milchmädchen-Rechnungen in DDR-Schulen, mit denen die Parteilehrer versuchten, die Schüler gegen den „unmenschlichen BRD-Kapitalismus“ zu indoktrinieren – auf das hypothetische Beispiel eines Jugendlichen verwies, der bei einer Rundreise durch alle Länder Europas am Ende die Hälfte seiner Geldsumme durch den erforderlichen Umtausch verlieren würde.

Heute kommt es vor allem darauf an, keine Zeit zu verlieren. Die europäischen Regierungschefs sind ständig unterwegs zu Krisensitzungen, um ihre Kunstwährung zu retten. Dies ist laut Enzensberger „nashornartig“ nach der Parole „Augen zu und durch“. Jeder vernünftige Mensch wisse, wann man den Rückzug anzutreten habe. Überhaupt, hier Clausewitz zitierend, sei die größte Kriegskunst die des richtigen Rückzugs. Auch Schumpeter wird als Gewährsmann herangezogen: So erscheint Enzensberger die politische Euro-Elite wie jener Reiter, der alle Kraft braucht, um sich im Sattel zu halten, so daß er sich nicht mehr darum kümmern könne, in welche Richtung das Pferd galoppiert. Schon die rechtliche Voraussetzung sei ein Unding gewesen: „Trete nie in einen Verein ein, aus dem du nicht austreten darfst.“

Daß es dennoch zu dieser allmächtigen „postdemokratischen Institution“ namens Brüssel gekommen sei, begründete Enzensberger auch mit den hierzulande geltenden „Denkverboten: Du darfst das und das nicht sagen, weil du ein Deutscher bist.“ Beredt dafür sei auch die frühere polnische Legitimationsgrundlage, die alle Schuld bei den Deutschen gesehen habe. Nötig sei daher mehr Selbstbewußtsein, denn: „Das ist doch Blödsinn, man muß doch nicht geliebt werden – die Amerikaner werden auch nicht geliebt.“ Überhaupt sei es eine absurde Vorstellung, erfolgreich zu sein und gleichzeitig geliebt werden zu wollen. Beides schließe sich gegenseitig aus.

Die wie ein „Zentralkomitee oder Politbüro“ agierenden Brüsseler Behörden erschienen mit ihrem Zugriff auf die Nationen wie das Bild des auf seiner Reise nach Liliput gefesselten Gulliver. Die EU-Zentrale, deren Besatzung 40.000 Mann umfasse, habe den Begriff „Europa gekidnappt“. Dabei seien diese Leute „voller Idealismus“, und das sei „das Allerschlimmste: Die fallen auch noch auf ihre eigene Propaganda rein.“ Dabei sei „dieser Haß auf jedes Referendum sehr gefährlich“. Denn „jeder Versuch, Europa zu harmonisieren, ist gescheitert: Napoleon, Hitler, die Sowjetunion – und heute die EU“.

Hoffnung sieht Enzensberger aber erst, „wenn der Karren an die Wand gefahren ist.“ Kollektive lernten nicht freiwillig. Dabei hätten die Wortführer der „Euro-Rettung“ hier einiges erfahren können: Etwa, daß Geld – so Enzensberger – nichts anderes als Theologie sei, schließlich wäre ein Kredit nichts anderes als Glauben. Gleichwohl solle sich das „Brüsseler Narrenprojekt“ eine Grundregel merken: „Vertrauen kann man nicht einfordern, man muß es sich verdienen.“ Zuletzt kam die Geographie zu ihrem Recht, als Enzensberger erinnerte: „Brüssel liegt in Europa, aber Europa nicht in Brüssel.“

Kontakt: Stiftung Familienunternehmen Prinzregentenstraße 50, 80538 München, Telefon: 089 / 12 76 400 02

www.familienunternehmen.de

Hans Magnus Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas. Suhrkamp, Berlin 2011, broschiert, 70 Seiten, 7 Euro

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