© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Die Signatur steht immer unten
Ausstellung: Naturmotive von Georg Baselitz im Landesmuseum Oldenburg
Sebastian Hennig

Eine Trias aus dem sächsisch-böhmischen Grenzwald hat sich nach der Übersiedlung in die BRD und nach West-Berlin zur Spitze des westdeutschen und des internationalen Kunstbetriebs hinaufgearbeitet: die Oberlausitzer Gerhard Richter und Georg Kern sowie Markus Lüpertz aus dem nahen böhmischen Reichenberg. Jahrzehnte später stößt der Dresdner Ralf Winkler alias A. R. Penck hinzu.

Ein abgemüdeter Wirtschaftswunder-Rausch und von zuviel amerikanischer Pikanterie verursachter Durst nach Eigengewächs machen es leicht, mit neuen, alten Vorstellungen von Genialität und Künstlertum ein Publikum zu erreichen. Wie die Renaissance-Maler, Veronese oder Perugino, nannte sich Georg Kern nach seinem Herkunftsort Baselitz. Gelegentlich verkündete er den Mut zur Häßlichkeit als vorstechende Eigenart der deutschen Kunst, das Unelegante, Schroffe und Glanzlose, sieht sich in einer Linie mit Grünewald und Nolde.

Ein Skandal um vulgäre Bildmotive ließ 1963 den Staatsanwalt in Berlin zum unfreiwilligen Presseagenten für die kernige Kunst von Baselitz werden. Zu sehen waren in brauntoniger Ölfarbe Pilze, die schwellen wie Geschlechtsteile oder vielleicht auch andersherum, man durfte sich aussuchen, was die strotzenden Gewächse und borstigen Beulen sein sollen. Heute sind diese Tafeln Museumsschätze.

Auf diese erste Schock-Therapie, welche die Originalität eines recht durchschnittlichen Malers bestätigen sollte, folgte seit 1969 die Maßnahme, Bilder kopfüber auszustellen, um sie dadurch geheimnisvoller zu machen. Der Künstler begründet es damit, „Assoziationen abzuwehren, die auftreten können“. Er will „extrem vorgehen“, aber nicht auf „lokale Gebundenheit“ verzichten. Die Aura der Malerei soll verbunden werden mit dem Nimbus des Unerwarteten, des Unmittelbaren. Eine Malerei aus dem Handgelenk heraus hätte nicht genügend überrascht. Ungeschickt gemalte pathetische Riesenbilder werden erst ein Jahrzehnt später durch die sogenannten „Neuen Wilden“ angesagt.

Im Prinzenpalais des Landesmuseums Oldenburg kann der Besucher nun durch ein Gestrüpp schweifen, das von hoher Wurzel herniederstrebt. Die Ausstellung „Das Naturmotiv“ versammelt die Feldwege, Dickichte, Bäume und Berge, die in den Ateliers von Georg Baselitz seit 1958 entstanden sind. Bis zum „Frakturbaum“ von 1967, an dem wieder einmal ein knolliger Phallus abhängt, ist alles pathetisch, symbolistisch.

Ab der mit Gouache hinterlegten Rohrfederzeichnung „Landstraße“ (1969) zeigen die Bilder Landschaftsskizzen unspektakulärer Lokalitäten, oftmals sogar topographisch mehr oder weniger konkret bezeichnet als „Sächsische Landschaft“, und auf das Lausitzer Bergland verweisend: „Großer Stein, Spitzkunnersdorf“ oder „Der Hochstein“. Würzige Beigaben werden nicht benötigt, das Lapidare wird ausreichend verzwickt, wenn man es auf den Kopf stellt.

Angesichts der Eindeutigkeit, mit der die gemalte Vegetation zur erklärten Bildoberkante gravitiert und zugleich phototropisch zum Fußboden strebt, erscheint kaum glaubhaft, daß die Bilder auch koppheister gemalt wurden. Jeder Kunststudent bekommt im ersten Studienjahr die Binsenweisheit präsentiert, daß er, um nicht am Motiv klebenzubleiben, das Bild einmal verkehrt herum auf die Staffelei stellen soll. So kann er überprüfen, ob die Bildfügung in sich standhält oder ganz auf den mitgeteilten Inhalt der Darstellung angewiesen bleibt.

Wenn nun Baselitz seine Bilder wirklich so erarbeitete, wie sie ausgestellt werden, ließe sich nach diesem Kunstschul-Rezept ihre Stichhaltigkeit durch abermalige Umkehrung prüfen. Die Signatur steht dann nicht mehr rechts unten, sondern links oben. Der Sammler oder Kustode, der ein Bild von Georg Baselitz verkehrt herum richtig aufhinge, der machte sich der Urheberrechtsverletzung, des Vandalismus oder der Kunstfälschung schuldig?

Aber mit dem geduldigen Ausstellungskatalog aus dem Wienand-Verlag läßt es sich einfach und straflos simulieren. Dabei ist sofort festzustellen, daß die sonst vermiedene Assoziation auf eine langweilige, auswechselbare Studie hinausläuft. Aber wenn die Kunstwelt kopfsteht, das Unterste zuoberst kehrt, dann muß man folgerichtig seine Bilder umkehren, um oben anzukommen. Und um aufs Motiv nicht zu verzichten, birgt man es in eine kuriose, jederzeit wiederholbare Idee. Nun ist alles statthaft, selbst das Gewöhnlichste, nur weil es ungewöhnlich präsentiert wird.

Baselitz sagt: „Die Landschaft, die ich kenne, kann Modell werden. Die, die ich lediglich sehe, nicht.“ Noch so ein Maler, der fast alles richtig sagt und sieht, aber doch alles verkehrt macht. Denn über die Idee hinaus, die – einmal übernommen – immer die gleiche bleibt, sind die Bilder nicht sehr überraschend im einzelnen. Sie leben aus den Eruptionen eines zügigen Farbauftrags. Das würde in Verbindung mit regelrechten Landschaftsausblicken schnell durchschaut werden. Die Umkehrung rückt es erstmal weg und hüllt die Bilder ins Geheimnis.

Die Ausstellung „Georg Baselitz. Das Naturmotiv“ ist bis zum bis 2. September im Landesmuseum Oldenburg, Prinzenpalais, Damm 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 04 41 / 220-73 00 Der Ausstellungskatalog kostet 26 Euro.

www.landesmuseum-oldenburg.niedersachsen.de

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