© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/12 22. Juni 2012

Ursache und Wirkung wird mißachtet
Erbarmungslose Einseitigkeit der Darstellung des Angriffs auf die Sowjetunion 1941
Hans-Joachim von Leesen

Die in der Bundesrepublik betriebene Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg, vor allem wenn es um den deutsch-sowjetischen Krieg geht, sei von „erbarmungsloser Einseitigkeit“, schreibt der Autor des Buches „Verbrannte Erde“, Dirk W. Oetting. Oetting ist nicht irgendwer; der promovierte Jurist hatte in der Bundeswehr zuletzt den Rang eines Brigadegenerals inne. Er kann also für sich in Anspruch nehmen, Fachmann für militärwissenschaftliche Fragen zu sein, wovon mehrere Fachbücher aus seiner Feder zeugen. Weil die, wie er sie nennt, „fortschrittlichen Historiker“ einseitig für die sowjetische Seite Partei ergreifen, verhinderten sie, Erkenntnisse aus der Geschichte zu gewinnen. Sie zögen es vor, sich von der Geschichtspolitik instrumentalisieren zu lassen. Um diese These zu belegen, sammelt Oetting in seinem Buch eine Vielzahl von Beispielen für solche Einseitigkeiten. Eines dieser Beispiele wählte er als Titel des Buches: „Verbrannte Erde“.

Seit Jahrzehnten wird der Wehrmacht die Tatsache, daß sie, nachdem sie sich aus den von ihr besetzten Teilen Rußlands, der Ukraine und Weißrußlands zurückziehen mußte, ein weitgehend verwüstetes Land hinter sich ließ, als Beweis für den „Vernichtungskrieg“, den sie angeblich gegen slawische Völker führte, angekreidet. Gar nicht oder nur am Rande wird erwähnt, daß es die Rote Armee war, die bei ihrem Rückzug in den Jahren 1941, 1942 und 1943 auf Befehl Stalins keinen Stein auf den anderen ließ. Sie sollte den deutschen Eroberern nur verbrannte Erde überlassen, möglichst jede Unterkunft, jedes Haus in die Luft sprengen, die Lebensmittellager verbrennen, Straßen und Eisenbahnlinien zerstören, Kraftwerke unbrauchbar machen, und das ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Sie hatte am meisten unter den Verwüstungen zu leiden, sie und die Millionen sowjetischer Kriegsgefangener, die sich den deutschen Truppen ergeben hatten und die zu ernähren den Deutschen nun nahezu unmöglich war.

Daß der von der sowjetischen Führung von den ersten Wochen des Krieges betriebene Partisanenkrieg von beiden Seiten mit Erbitterung geführt wurde, wird von niemandem bestritten. Selten oder nie aber liest man von der jedes Völkerrecht mißachtenden Kriegsführung der Partisanen. Die Belege für die unvorstellbaren Greuel der Freischärler, die sie etwa an gefangenen deutschen Soldaten verübten, liegen zu Tausenden im Bundesarchiv und geben Antwort auf die Frage, wie es zu den harten deutschen Reaktionen gekommen ist.

Wichtig: Oettings Hinweis auf das Prinzip des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die Kriegsgeschichte „deutschlandzentriert“ zu betreiben, das heißt beispielsweise bei Kriegsverbrechen nur die von Seiten der Wehrmacht verübten darzustellen, die der anderen Seite aber zu vernachlässigen. So werden Ursache und Wirkung mißachtet und ein ganz und gar schiefes Bild entsteht. Nach diesem Grundsatz wurde auch die umstrittene „Wehrmachtsausstellung“ des Jan Philipp Reemtsma in den neunziger Jahren konzipiert, die den „Beweis“ für Verbrechen der Wehrmacht liefern sollte, durch das Eingreifen ausländischer Historiker aber scheiterte. Und die alliierten Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse handelten nach ähnlichen Gesichtspunkten.

Oettings Buch liefert wirkungsvolle Hilfe bei der Auseinandersetzung mit der geschichtsklitternden „fortschrittlichen“ Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkrieges.

Dirk W. Oetting: Verbrannte Erde. Kein Krieg wie im Westen: Wehrmacht und Sowjetarmee im Rußlandkrieg 1941–1945. Ares Verlag, Graz 2011, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

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