© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

„Spielt’s Fußball!“
Europameisterschaft: Politik und Medien nerven uns mit ihrer Politisierung des Sports
Toni Roidl

Fußball ist emotional, Fußball ist aufregend. Da wird getobt, gebrüllt, da geraten Temperamente in Wallung. Aber bei dieser Europameisterschaft in Polen und der Ukraine schien sich die Erregung oft gar nicht um das Spiel zu drehen. Viel emotionaler verlief das Randgeschehen – angefangen bei dem Eiertanz, ob die deutsche Nationalelf nun unbedingt in Mannschaftsstärke zur Gedenkstätte in Auschwitz muß.

Und dann das: Da twittert irgend jemand, der sich als „Piratenpartei Online“ ausgibt, über den in Gelsenkirchen geborenen Mesut Özil, Mittelfeldspieler von Real Madrid: „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert nicht die Abstammung.“ Nun ja, auf den Gedanken kann man kommen, wenn man sieht, wie verbissen Özil während der Nationalhymne die Lippen aufeinanderpreßt. Özils Vater erstattete Anzeige, und die Piratenpartei stellte klar, daß sie nicht der Urheber dieser „rassistischen Kackscheiße“ war.

So weit, so lapidar. Doch was dann passierte, erreichte eine bizarre Dimension: Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schaltete sich ein. Hat man je gehört, daß ein Bundesinnenminister öffentlich Stellung bezieht, wenn jemand im Internet beleidigt wird? Hat Friedrich Interviews gegeben, als Özil 2010 von türkischen Nationalisten wegen seiner Verpflichtung für die deutsche WM-Elf als „Verräter“ tituliert und beleidigt wurde?

Aber Friedrich kann nicht an sich halten: „Widerwärtig!“ schimpft er solidarisch mit Özil in die Mikrofone – und ergänzt: „Es gibt grundsätzlich Möglichkeiten, den Täter zu ermitteln, da die Täter im Netz Spuren hinterlassen. In vielen Fällen ist die Fahndung aber mangels Vorratsdatenspeicherung derzeit nicht erfolgversprechend.“ Daher weht also der Wind: Friedrich hat den Vorfall genutzt, um mal wieder für seine Datensammelwut zu werben. Es geht ihm weder darum, den Beleidiger Özils, noch irgendwelche Kriminellen dingfest zu machen; es geht bei der Vorratsdatenspeicherung darum, mißliebige Stimmen im Internet zum Schweigen bringen zu können. Wenn Erich Mielke das noch hätte erleben dürfen!

Bei der Gelegenheit konnte Friedrich auch nicht umhin, die „Sieg“-Rufe deutscher Fans „scharf zu verurteilen“, da die Ukraine doch im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen – und so weiter und so fort. Ja, sollen die Anhänger unserer Nationalelf vielleicht „Niederlage“ rufen? „Als deutscher Patriot schäme ich mich, wie diese Leute unser Ansehen in Europa und der Welt versuchen zu beschädigen“, klagt Friedrich. Scham scheint der natürliche Aggregatzustand deutscher Politiker zu sein – außer wenn sie Internetnutzer ausspionieren oder Steuerzahler ausnehmen wollen.

Und manche deutschen Medien, diese sauertöpfischen Gouvernanten der Volkserziehung, die stets einschreiten wie das strenge Fräulein Rottenmeier aus „Heidi“, wenn Deutsche mal wieder Spaß am Deutschsein haben, warnten und mahnten vor zuviel Schwarzrotgold in Danzigs Straßen. Als wenn der Krieg nicht schon 67 Jahre, sondern erst seit zwei Wochen vorbei wäre. Während für die meisten Polen Deutschland die zweitliebste Mannschaft war (schon wegen Podolski), wäre es den deutschen Medien am liebsten gewesen, die deutschen Fans hätten sich auf Socken inkognito und mit dem Zeigefinger vor dem Mund ins Stadion geschlichen.

Der Deutsche Fußballbund (DFB) zog kollektiv zum Kranzabwurf auf der Westerplatte – was sollte das nun wieder? Sind hier Sportler am Werk oder Diplomaten? Hat die polnische Mannschaft im Jahr 2006 bei der Weltmeisterschaft in Deutschland den Dialog mit den Vertriebenenverbänden gesucht? Hat die britische Elf einen Gedenkausflug nach Dresden gemacht? Hieß es nicht mal, Politik habe beim Sport nichts verloren?

Und damit auch der letzte Fernsehzuschauer noch ständig daran erinnert wurde, die Reste seiner nationalen Euphorie bloß nicht überschäumen zu lassen, erinnerten ihn Parolen auf der Stadionbande an „Respekt“, an den „Kampf gegen jegliche Form von Diskriminierung“ und an den „interkulturellen Dialog“. So muß es einst in der DDR gewesen sein, als an jeder Straßenecke stupide Propagandaplakate prangten.

Während griechische Fans, teils sogar mit martialischen Spartanerhelmen und freiem Oberkörper, ihren Schlachtruf „Hellas!“ herausbrüllten wie die Krieger in Zack Snyders Metzel-Epos „300“, lieferte in Deutschland der Jugendverband der Grünen (JF 25/12) den geistigen Überbau für den antinationalen Vandalismus gewalttätiger Linksextremisten.

Es grenzt da schon fast an ein Wunder, daß die meisten Deutschen angesichts all dieser spießigen Miesepetrigkeit der linken Aufpasser noch ausgelassen und unverkrampft ihre Nationalmannschaft anfeuern konnten. Darum ein durchaus ernstgemeinter Tip für den Umgang mit Fernsehen und Zeitungen beim nächsten Länderspiel: Die Deutschen sollten sich daran halten, was der „Kaiser“ Franz Beckenbauer in seiner Werbekampagne für die Boulevardzeitung mit den großen Buchstaben sagte: „Vergeßt, was sie schreiben. Geht’s raus und spielt’s Fußball!“

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