© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

„Sachse, komm zurück“
Rückhol-Aktionen: Die Neuen Bundesländer werben vielseitig um ihre abgewanderten Landeskinder / Mecklenburg-Vorpommern in der Vorreiterrolle
Sverre Schacht

Mit dem demographischen Wandel steigt deutschlandweit der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Gerade die neuen Bundesländer versuchen, Weggezogene neu zu überzeugen. Die Ideen hierzu bewegen sich zwischen bunten Werbesprüchen, Stellenbörse und umfassenden Konzepten. Die Politik fordert zunehmend Imagepflege.

„Was hat Düsseldorf nicht zu bieten?“ fragt eine junge Akademikerin ihre Freundin. „Na, den Strand!“ antwortet diese. Das Motto „Heimat ist dort, wo man geboren ist“ erscheint. Die junge Frau packt ihre Möbel, der Umzugswagen rauscht bald durch Alleen, blauer Himmel zieht vorbei. So lockt Mecklenburg-Vorpommern mittels Internetfilm seine einst in Frust oder Not angesichts mangelnder Perspektiven gegangenen Bewohner.

Als die CDU-Brandenburg Anfang 2011 ein Konzept zur Förderung möglicher Rückkehrer vorstellte, erntete sie bei den anderen Parteien vor allem Ablehnung. Doch „höchste Wanderungsaktivitäten“ bei den 18- bis 30jährigen allein im Jahr 2009 ließen das Land einlenken. Ganze 27.475 Menschen dieser Altersgruppe gingen bei nur 17.350 Zuzügen. Die rot-rote Landesregierung hob im Mai 2011 Rückkehrförderung mit einem Landtagsbeschluß auf die Tagesordnung, allerdings im Dreiklang mit Zuwanderung und Integration. Gezielt Weggezogene anzulocken, war in Brandenburg lange eine rein lokale Angelegenheit von Gemeinden und Vereinen.

Mecklenburg-Vorpommern (MV) ist hingegen Vorreiter bei der Rückkehrförderung. Seit 2001 kontaktiert die überwiegend vom Land getragene Agentur „MV4You“ Rückkehrwillige. Anfangs sprach die aktuell mit rund 150.000 Euro Landesmitteln (Gesamtetat rund 188.000 Euro) geförderte Initiative nur einstige Bewohner an. Seit 2009 hat sich der Schwerpunkt um die allgemeine Ansprache von Fachkräften erweitert. Im Oktober zogen die drei Mitarbeiter Bilanz: Gut 1.000 Menschen haben sie seit Bestehen unmittelbar eine berufliche Rückkehr ermöglicht, mitgezogene Familien nicht gezählt.

Die Nordlichter verstehen sich dabei als Rundumbetreuer, die von der Arbeitsstelle bis zur nötigen Infrastruktur für den familiären Anhang alles berücksichtigen und ihren Kunden Kontakte vermitteln. „Wir betreuen viele über unseren Newsletter mit Stellenangeboten und helfen beispielsweise einer Familie, aus der Schweiz zurückzukehren – das geht von Renten- bis Krankenversicherungsfragen“, sagt Solveig Streuer, Leiterin von MV4You. Gut 15 Prozent der registrierten Nutzer dieses Dienstes aus Stellenvermittlung und Lebensumplanung sind Pendler. Weitere 50 Prozent leben ganz außerhalb des Landes und 35 Prozent sind Landeskinder, privat wie beruflich. Herz der Aktion sind die über einen abonnierbaren Internetdienst angebotenen Stellen sowie die Pendleraktionstage in Zügen und auf Bahnhöfen, bei denen Informationsmaterial und Stellenangebote an die Pendler zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Hamburg verteilt werden.

Ähnlich den dortigen Botschaften „Arbeiten in MV statt Pendeln und Stau“ und „Mach dich auf den Weg!“ werben auch andere Länder: Sachsen-Anhalt konzentriert sich mit dem „Portal für interessierte flexible Fachkräfte“ (PFIFF) ganz auf Fachkräfte, will aber auch Weitpendler ansprechen. Pendler stellen 450 der rund 2.700 Stellengesuche. Die Europäische Union gibt Fördermittel. Neben Stellenbörse, Firmenkontakten und Bewerbungstips setzt man auf regionale Präsenz.

Anders als bei diesem wirtschaftsnahen Portal hat Thüringen Marketing und Arbeitsvermittlung bei seinen Bemühungen um Rückkehrer weitgehend entkoppelt. Die „Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung“ (ThAFF) hat nach eigenen Angaben seit ihrem Start im April 2011 rund 12.000 Informations- und Beratungsgespräche geführt. Das Land unterhält die 16 Mitarbeiter starke Organisation über die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen. Unter dem Motto „Stark am Markt durch kluge Köpfe“ will sie qualifizierte Fachkräfte halten, neue gewinnen und Rückkehrer überzeugen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt beim Marketing. So präsentiert sich die Agentur bundesweit auf Messen.

Eine „Recruiting Tour“, eine Fahrt, die Thüringens Stellen für Qualifizierte ins öffentliche Bewußtsein heben soll, führte zu Standorten, an denen sich mögliche Rückkehrwillige und Fachkräfte für die mittelständisch geprägte Wirtschaft des Landes aufhalten.

Insgesamt 220.000 Menschen aus 780 Städten haben laut ThAFF über den Internetauftritt und über Messen einen neuen Eindruck von Thüringen gewonnen. Das „Land ohne Prominente“, wie der Kabarettist Rainald Grebe die Region „zwischen Dänemark und Prag“ besingt, bewirbt sich auch ohne Großkonzerne.

Wieviel Geld im ThAFF-Etat für die Ansprache einstiger Landeskinder zur Verfügung steht, vermag die Agentur nicht aufzuschlüsseln. Ihr Sprecher Holger Wiemers sagt: „Zwölf Monate sind noch keine lange Zeit – das Marketing ist langfristig, doch unsere Evaluation läuft gerade an.“ Im Dezember sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Rückmeldungen über den Erfolg eigener Maßnahmen vermag auch Brandenburgs zuständige Landesagentur für Struktur und Arbeit (LASA) noch nicht zu geben. Die Agentur hat nach eigenen Angaben für ein Bündel von Maßnahmen einschließlich der Ansprache von Abgewanderten nur wenige tausende Euro zur Verfügung. Im zuständigen Regionalbüro für Fachkräftesicherung hat man das Problem der gezielten Ansprache ehemaliger Landeskinder erkannt.

Doch aus Mangel an Mitteln setzt das Land auf lokale und private Initiative. „Verschiedene, relativ kleinteilige Initiativen“, so heißt es bei der LASA, bestimmen Brandenburgs Ringen um einst abgewanderte Fachkräfte. Die Ansprache von Fernpendlern – in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern üblich – soll noch geprüft werden. Ein von der Politik bis zum Sommer geplantes Internetportal ist auf September verschoben. Gut 20.000 Euro stehen für dessen Einrichtung und jährlichen Betrieb bereit. Die Gemeinden und ihre Angebote bis hin zur Umzugshilfe sollen dann stärker sichtbar sein. „Wir sind erst im Entwicklungsstand“, sagt Thomas Krause-Heidenreich von den Regionalbüros für Fachkräftesicherung der LASA.

Erfolge verdankt das Land privatwirtschaftlichen Gruppen wie „Boomerang Lausitz“. Dort gelang es binnen drei Jahren, achtzig einst abgewanderte Familien in die Lausitz zurückzuholen. Das in dieser Form beendete Projekt wurde von der Agentur für private Arbeitsvermittlung GmbH betrieben.

Auch Sachsen fordert im Netz zur Rückkehr auf: „Sachse, komm zurück!“ ist allerdings keine aktive landesweite Rückholagentur. Die Aktion wird von der Industrie- und Handelskammer Dresden betrieben, ist in letzter Zeit kaum mehr aktiv. Sie verweist auf die Kreise Bautzen, Meißen und Görlitz, denn auch Sachsen handelt regional. Eine dieser Initiativen vor Ort ist „Fachkräfte Erzgebirge“ mit einer Stellenbörse. Die hundertprozentige Tochter des Erzgebirgekreises versteht sich als Dienstleister. Ähnlich MV4You bietet sie Firmen beitragspflichtige Dienste, aus denen das Marketing für Stellen und Standort teilweise gegenfinanziert wird. Weitere Fördermittel fließen aus Drittprojekten ein, gefördert vom Freistaat. Daten über Erfolge hat die Agentur nicht. Ihr reicht es nach eigenen Angaben, daß kaum Unternehmenskunden ihre Jahreslizenz kündigen und neue Firmen hinzukommen.

Landespolitiker haben somit meist keinen Überblick, wie erfolgreich ihre Fördermittel für Rückkehrer eingesetzt werden. Ob Werbung oder die Wirtschaft mehr Leben in sonst strukturschwache Gegenden bringt, ist auch regional nur indirekt an Arbeitsmarktzahlen oder allgemeinen statistischen Erhebungen abzulesen.

So betonen Vereine wie „Zuhause in Brandenburg“, Fachkräfte und Rückkehrer anzusprechen sei „nur ein Teilaspekt“. Angesichts der Herausforderung des Bevölkerungsschwundes müßten grundsätzlich mehr junge Leute kommen. Auch die Wissenschaft begleitet nur Einzelregionen. Das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) untersucht gerade, wie man mehr Menschen als bisher die Rückwanderung schmackhaft machen kann. Die Landkreise Harz und Görlitz stehen im Zentrum dieser Forschung – Ergebnisse stehen noch aus.

Foto: Pendleraktionstag auf dem Hamburger Hauptbahnhof: Informationsmaterial und Stellenangebote für die Pendler zwischen Mecklenburg- Vorpommern und der Hansestadt

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