© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/12 29. Juni 2012

„Es gibt keine Prophezeiung für das Weltende“
Spekulation und Prognose: Eine kommentierte Publikation bildet jedes Blatt des Dresdner Maya-Codex in der ursprünglichen Reihenfolge ab
Sebastian Hennig

Für Staatsempfänge und Paraden ist Kaiserwetter erwünscht. Bauer und Bergsteiger haben den richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Aufstieg im Blut. Im Mittelalter ließen sich die gekrönten Häupter, bevor sie einen Thronfolger zeugten oder einen Feldzug antraten, durch ihre Hofastrologen eine günstige Konstellation der Gestirne melden. Die Priesterfürsten des altägyptischen Reiches inszenierten sich Kraft ihrer Naturkunde als Sachwalter über Gedeih und Verderb der Ackerfrüchte und des Viehs. Solches Wissen bedeutet Herrschaft.

Die spanischen Eroberer haben darum alle Bücher der Mayas als Zeugnisse des unchristlichen Aberglaubens systematisch vernichtet. Nur drei Handschriften blieben erhalten. Eine von ihnen erwarb 1739 der sächsische Hofkaplan Götze als wertloses Kuriosum von einem Privatmann in Wien für die Kurfürstliche Bibliothek in Dresden. Ein weiteres wurde 1859 in Paris aus dem Müllkorb der Kaiserlichen Bibliothek gefischt.

In Dresden hat man offenbar zeitig einen feinen Nerv gehabt für alles Sonderbare. Die sorgfältige Ausbesserung der Gelenke des Leporellos mit Goldschlägerhaut erfolgte noch im 18. Jahrhundert. Ein unbefangener Sinn für das Schöne kann sich dem Reiz dieses Glanzstückes unter den wenigen Dokumenten einer versunkenen Kultur nicht verschließen. Und dem Schönen entspricht meist das Bedeutungsvolle. 1853 erst wurde der Text als Maya-Handschrift wahrgenommen. Allmählich wurde der Kalender entziffert. Bei den schriftlichen Mitteilungen dauerte das wesentlich länger, zumal der Kalte Krieg den Austausch und das Zugeständnis wichtiger Forschungserfolge verhinderte.

Nach den drei Faksimiles aus den Jahren 1880, 1962 und 1975 ist nun auf dem Höhepunkt erneuter Popularität eine vollständige Wiedergabe und Kommentierung im Herder-Verlag erschienen. Das seriöse Buch, dessen Autor die wissenschaftlichen Erkenntnisse allgemeinverständlich wiedergibt, wird vom Verlag mit einer roten Manschette ausgeliefert, auf der zu lesen steht: „Religion und Kosmologie der Maya – Die Wahrheit über das magische Datum 21. 12. 2012.“

Der Kalender ist ein Almanach für Glücks- und Unglückstage, Anweisungen für landwirtschaftliche Verrichtungen, Zeremonien und die Bienenzucht. Er enthält Angaben zu Wind, Regen, Sonnenfinsternissen und Venusphänomenen. Auf dem Blatt von der großen Flut, das immer mit den apokalyptischen Prognosen in Zusammenhang gebracht wird, gießt die Göttin Chak Chel Wasser aus einem Krug. Der Hieroglyphentext ist stark zerstört auf dieser Seite, die den Abschluß der vorangehenden Regentabellen bildet.

Karibische Hurrikans wüteten seit je über der Halbinsel Yucatan. Die lange Zählung des Kalenders begann im Jahr 3114 v. Chr. und endet zunächst 2012 n. Chr. Wäre den Kalenderpriestern Zeit geblieben, hätten sie die Berechnung fortgeführt. Für eine Arbeit im Prozeß zeugen mehrere Leerseiten des Codex.

Es ist umstritten, ob die Handschrift bereits im 13. Jahrhundert entstand oder erst kurz bevor die Spanier ins Land kamen. Unzweifelhaft ist sie besser erhalten und prunkvoller ausgestattet als die anderen beiden noch existierenden Maya-Kalender in Paris und Madrid.

Bis 1835 wurde den Betrachtern das Original-Leporello vorgelegt. Dann wurden die Blätter zwischen zwei Glasplatten befestigt, um beide Seiten ständig den Besuchern sichtbar zu machen. Während des Krieges lagerte der Schatz des Buchmuseums im bombensicheren Keller des Japanischen Palais, wo ihm allerdings Lösch-, Sicker- und Elbehochwasser übel mitspielte. Es lief zwischen die Scheiben, und nach dem Trocknen wurden die Blätter dann zum Teil verkehrt herum und in falscher Reihenfolge aufgelegt. Das bemalte und beschriebene Rindenbastpapier vom Feigenbaum hat sich mit der Glasscheibe seither so innig verbunden, daß an eine Ablösung nicht mehr zu denken ist.

Der 1962 geborene Amerikanist und Ethnologe Nikolai Grube (Universität Bonn) korrigiert für die Publikation die verkehrte Abfolge und bildet jedes Blatt ganzseitig mit Kommentar ab. Als einer der wenigen, die den Grundtext wirklich lesen können, sagt er deutlich: „Es gibt keine Prophezeiung für das Weltende im Jahr 2012 in den Maya-Handschriften. An keiner Stelle der drei Maya-Handschriften haben die Epigraphiker Anzeichen für apokalyptische Vorhersagen in Verbindung mit einem bestimmten Datum gefunden. Wer die Maya-Codices auf der Suche nach Hinweisen für apokalyptische Prophezeiungen durchsieht, wie sie die Anhänger esoterischer Kreise suggerieren, wird enttäuscht werden.“

Der Dresdner Codex ist der einzige, der dauerhaft der Öffentlichkeit im Original zugänglich ist. Die aktuellen Spekulationen haben viele Besucher aus aller Welt angelockt. Im Frühjahr fand zudem im Buchmuseum eine Sonderausstellung zur Wahrnehmungs- und Forschungsgeschichte der kostbaren Dresdner Handschrift statt. Für eine fast vernichtete Schriftkultur ist der 21. Dezember 2012 tatsächlich ein wichtiges Datum. So werden indirekt viele dazu angeregt, sich mit den Mayas und ihrem Weltbild zu beschäftigen und Nachrichten zu deuten, die aus ihrem fernen Reich auf uns gekommen sind.

Nikolai Grube: Der Dresdner Maya-Kalender. Der vollständige Codex. Verlag Herder, Freiburg 2012, broschiert, 224 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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