© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Böhmers Siegesmeldungen
Ausländerbericht: Die Integrationsbeauftragte versucht, ein positives Bild von der Eingliederung der Einwanderer zu zeichnen
Ekkehard Schultz

Maria Böhmer (CDU) ist stolz auf die Wende. „Wir haben einen Paradigmenwechsel von der nachholenden zur vorausschauenden Integrationspolitik eingeleitet“, verkündete die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des neuen Ausländerberichtes. Mit Hilfe dieser statistischen Untersuchung, die einen Zeitraum von zwei Jahren umfaßt, soll nicht nur die reale Situation von rund 15,7 Millionen Migranten in der Bundesrepublik dargestellt werden. Darüber hinaus gilt es, eine Beurteilung über den aktuellen Stand der Integration von Zuwanderern in die deutsche Gesellschaft zu geben.

Bei der Vorstellung des Papiers am vergangenen Mittwoch zeichnete Böhmer ein überaus positives Bild. So wären in den vergangenen beiden Jahren die bislang „größten Fortschritte bei der Integration“ erzielt worden. Dabei beruft sich die Ministerin insbesondere auf die gewachsene Betreuungsquote von Kindern zwischen einem und sechs Jahren aus Zuwandererfamilien. Der Besuch von Kinderkrippen sowie von öffentlichen und privaten Kindergärten fördere nicht nur die gesellschaftliche Eingliederung, sondern erleichtere auch den Erwerb von Sprachkenntnissen grundsätzlich, so Böhmer. Zudem verwies sie auf die deutlich höhere Anzahl von Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund, die eine Berufsausbildung beginnen oder das Abitur machen.

Ähnlich zufrieden wie Böhmer äußerte sich der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Klaus J. Bade. Für ihn stellt der Bericht gar eine „erneute Ohrfeige für die Vertreter des Geredes von der gescheiterten Integration“ dar, da er die „Anstrengungen der Mehrzahl“ der Zuwanderer „mit eindeutigen Zahlen und Fakten“ belege. Vergleicht man diese Aussagen allerdings näher mit einzelnen Passagen des Berichtes, so relativieren sie sich deutlich. Oftmals verweisen die Zahlen auch in eine andere Richtung: So zeigt sich etwa, daß gerade in der Bildung zwischen jungen Migranten und der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund nach wie vor ein sehr großer Unterschied besteht. Dabei verfügen 31,6 Prozent der Migranten zwischen 25 und 35 Jahren weder über einen beruflichen Abschluß noch über einen Hochschulabschluß, da sie die begonnene Lehre oder das Studium häufig wieder abbrechen. Zu einem zweiten Versuch nach dem Abbruch sind viele von ihnen nicht bereit. Hinzu kommt, daß der prozentuale Anteil von Zuwanderern, die eine Lehre machen, trotz einiger Verbesserungen immer noch weit unter dem Niveau ihrer deutschen Altersgenossen liegt. Auch die Schulabbrecherquote ist mit 12,8 Prozent mehr als doppelt so hoch, wie bei den Deutschen mit 5,4 Prozent.

All diese Faktoren führen dann wiederum nahezu zwangsläufig zu einer schlechteren Situation auf dem Arbeitsmarkt. Zwar waren 2011 durchschnittlich über 200.000 Ausländer weniger arbeitslos gemeldet als im Jahr 2005. Die Arbeitslosenquote sank von 2010 zu 2011 von 18,2 Prozent auf 16,9 Prozent. Dies ist allerdings in erster Linie auf die gute Entwicklung der Gesamtwirtschaft zurückzuführen. Generell ist die Quote der arbeitslosen Ausländer immer noch mehr als doppelt so hoch wie die der Deutschen (7,2 Prozent).

Im Bericht wird dieser Zusammenhang allerdings dadurch etwas verwischt, indem die Behauptung aufgestellt wird, daß die hohe Erwerbslosigkeit von Migranten nicht nur in den geringeren beruflichen Kernkompetenzen, sondern ebenso in immer noch vorhandenen „Vorbehalten“ von Ausbildungsbetrieben und Arbeitgebern ihre Ursache habe. Zwar hätten bereits viele Arbeitgeber „die Potentiale von Migranten“ erkannt, wobei auf die hohe Zahl von über 1.250 Unterzeichnern der sogenannten „Charta der Vielfalt“ verwiesen wird. Dies reicht nach Ansicht von Böhmer jedoch noch nicht aus – weder in der Privatwirtschaft noch im öffentlichen Dienst. So benötige Deutschland „erheblich mehr Migranten im öffentlichen Dienst“, vor allem „als Erzieherinnen und Lehrkräfte, bei Polizei und Feuerwehr und in der Verwaltung“. Denn dort seien sie besonders „wichtige Brückenbauer“ für die anderen Zuwanderer, aber „auch für die Gesamtgesellschaft“.

Insbesondere diese Kritik an den Arbeitgebern stößt auch bei SPD, Grünen und Linkspartei auf Zustimmung. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoğuz behauptete anläßlich der Vorstellung des Papiers, „daß Bewerber mit fremd klingenden Namen nachweislich schneller aussortiert“ würden. Özoğuz fordert deshalb, generell anonymisierte Bewerbungsverfahren einzuführen, wogegen sich die Integrationsbeauftragte jedoch bislang sperre. Die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dağdelen, bezeichnete es als einen „Skandal“, daß Migranten in Deutschland fast dreimal so häufig auf Hartz IV angewiesen seien wie der Rest der Bevölkerung. Nach ihrer Ansicht herrsche deshalb „in allen wichtigen Lebensbereichen für Migranten bestenfalls Stillstand“.

Im Bericht wird ferner als Beleg für die „deutlichen Fortschritte“ das verstärkte bürgerschaftliche Engagement von Zuwanderern bewertet. Danach sei „das Interesse von jungen Migranten, sich ehrenamtlich zu engagieren, zum Teil sogar höher als bei Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund“. Insbesondere die in Deutschland geborene zweite Generation engagiere sich: Von ihnen waren 2009 insgesamt 33,5 Prozent Mitglieder in einem gemeinnützigen Verein oder einer gemeinnützigen Organisation. Dies sei „ein klares und deutliches Bekenntnis zu unserem Land“, so Böhmer. Gerade vor diesem Hintergrund fordert sie, die entsprechenden Einbürgerungsverfahren „zu vereinfachen und zu beschleunigen“.

Nahezu komplett ignoriert wird das Problem der Integrationsverweigerung von Zuwanderergruppen auf der lokalen Ebene. Im ganzen Bericht ist davon nur an einer einzigen Stelle die Rede – nämlich im Zusammenhang mit einem negativen Verweis auf das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin.

Foto: Einwanderer in Berlin: Problem der Integrationsverweigerung wird nahezu komplett ignoriert

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