© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Nur Witwen, Waisen und immense Kosten
USA: Ägypten, Syrien, Irak, Pakistan – vier Brennpunkte und drei Jahrzehnte verfehlter Nah- und Mittelostpolitik
Patrick J. Buchanan

Sechzehn Monate nachdem die USA dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, der dreißig Jahre lang ihr treuer Satrap war, die Freundschaft kündigten, um die Demokratie zu fördern, stehen die Ergebnisse der ersten Präsidentschaftswahlen seit dem „arabischen Frühling“ fest.

Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbruderschaft, wird zum neuen Präsidenten gekürt. Derweil hat das Militär nicht nur das im Januar gewählte Parlament aufgelöst, in dem die Muslimbruderschaft die Mehrheit hatte, sondern auch die Macht des Präsidenten beschnitten.

Militär und Mullahs tragen den Kampf um die Zukunft des Landes aus, das die Heimat jedes vierten Arabers ist. Die Soldaten, die seit dem Sturz von König Farouk im Jahr 1952 die eigentlichen Machthaber sind, machen keinerlei Anstalten, ihre Kontrolle über den Staat und die Wirtschaft aufzugeben. Langfristig jedoch ist damit zu rechnen, daß die Muslimbrüder – deren Anspruch, die Geschicke der Nation zu lenken, in einem 1.400 Jahre alten Glauben wurzelt – die Oberhand gewinnt.

In Syrien wird der Aufstand gegen Baschar Assad vermutlich früher oder später in einen grausamen Bürgerkrieg münden. Schätzungsweise 10.000 Opfer hat er bereits gefordert, weitaus mehr Blutvergießen als in Ägypten. Und auch hier dürfte in nicht allzu ferner Zukunft die Stunde der Muslimbrüder schlagen, die der Vater des amtierenden Präsidenten, Hafiz al-Assad, 1982 in Hama zu Tausenden abschlachten ließ.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen in diesen Schlüsselstaaten drängt sich die Frage auf, was die zwanghafte Intervention der USA in der islamischen Welt über drei Jahrzehnte gebracht hat.

241 der Marines, die Ronald Reagan zur Unterstützung des in Bedrängnis geratenen Regimes in den Libanon schickte, wurden in ihren Kasernen massakriert. 1986 ordnete er als Vergeltung für einen Bombenanschlag auf einen bei US-Soldaten beliebten Nachtclub in Berlin Luftangriffe auf Libyen an. Reagan mußte dafür büßen, als Muammar al-Gaddafis Handlanger wenige Wochen vor Ende seiner Präsidentschaft eine Maschine der Fluggesellschaft Pan Am über dem schottischen Lockerbie in die Luft jagten. Unter den Passagieren waren viele US-amerikanische Schulkinder, die zu Weihnachten nach Hause fliegen wollten.

George H. W. Bush leitete die Operation „Desert Storm“ in die Wege, um Kuwait von Saddam Hussein zurückzuerobern und den dortigen Scheich wieder einzusetzen. Nach fünfwöchigem Luftkrieg und 100 Stunden Bodenkrieg hatte Bush gesiegt. Er verfügte daraufhin ein Embargo gegen den Irak und verlegte Tausende von US-Soldaten auf saudischen Boden, in das Land der heiligen Städte Mekka und Medina. Osama bin Laden nannte den Würgegriff der USA gegenüber dem Irak sowie die Entweihung heiliger Erde durch die US-Soldaten als zwei Gründe für die Terrorangriffe am 11. September.

George W. Bush reagierte auf ebendiese Anschläge mit dem Einmarsch in Afghanistan, der Vertreibung der Taliban und al-Qaida und dem anschließenden Versuch, einen laizistischen, demokratischen und pluralistischen Staat aufzubauen. Es folgte die Invasion im Irak und der Sturz Saddams, um das Land in eine Modelldemokratie und ein strategisches Basislager der USA im Mittleren Osten zu verwandeln.

Wie verhalten sich die Verluste dieser Kriege zu den erzielten Erfolgen? Um die 6.500 Tote und 40.000 Verwundete auf US-Seite, Kosten in Höhe von ein bis zwei Billionen Dollar. Zehntausende Afghanen und 100.000 Iraker tot bei über 500.000 Witwen und Waisen. Die Hälfte der Christen im Irak ist aus dem Land geflohen, in dem ihre Vorfahren seit biblischen Zeiten lebten.

Weder Afghanistan noch der Irak können als treue Verbündete oder Verteidiger der US-Interessen bezeichnet werden. Aus Pakistan, einem Land mit einer 170-Millionen-Bevölkerung, das im Besitz von Atomwaffen ist und während des Kalten Kriegs vierzig Jahre lang ein enger Verbündeter der USA war, ist mittlerweile ein verbitterter, sogar feindseliger Staat geworden.

Die US/Nato-Intervention in Libyen führte zum Sturz und Tod Gaddafis sowie zur Vertreibung der Tuareg, die ihm als Söldner dienten. Diese haben sich nun in Mali den Rebellen angeschlossen, die die Sezession eines Landesteils von der Größe Frankreichs betreiben, wo sich mittlerweile ein Zufluchtsort für Al-Qaida-Mitglieder gebildet hat.

Was haben uns also die Investitionen im Mittleren Osten – die Toten und Verwundeten unserer Kriege, die Billionen Dollar, die in Kriege und Entwicklungshilfe gesteckt wurden, die Zeit und Aufmerksamkeit unserer Politiker, Journalisten – letztlich gebracht?

Vom Maghreb bis zum Mittleren Osten und Afghanistan sind die Christen so isoliert und so gefährdet wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Die Israelis haben nun die Hisbollah im Norden, zwei Millionen verbitterte Palästinenser im Osten, die Hamas im Süden und 80 Millionen Ägypter, die gerade die Muslimbruderschaft zu ihren neuen Machthabern gewählt haben, im Westen.

Und Baschar Assad wollen nicht nur die Amerikaner, Türken, Saudis und Qatarer an den Kragen, sondern auch al-Qaida als Hauptverdächtiger in den Terroranschlägen von Aleppo und Damaskus, und die Muslimbruderschaft, die der Assad-Familie einen Blutzoll schuldet. Für den Fall, daß Assad gestürzt wird und die Sunniten an die Macht gelangen und ihren Slogan „Christen nach Beirut und Alawiten ins Grab“ wahrmachen, sei hier eine Prophezeiung gewagt: Die Rückeroberung der Golan-Höhen, die 1967 im Sechstagekrieg von Israel eingenommen wurden, wird ganz oben auf der Tagesordnung der neuen Regierung in Damaskus stehen.

Zu allem Überfluß fordert nun John McCain Luftangriffe auf Damaskus, während Benjamin Netanjahu und seine Neocon-Freunde Teheran im Visier haben. Was haben uns unsere Interventionen im Mittleren Osten gebracht – und was hat China verloren, indem es sich dort herausgehalten hat?

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

Foto: Haß auf die USA: Ob in Islamabad, Bagdad, Kabul – der Dank für das US-Engagement hält sich in Grenzen

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