© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Merkels entwürdigende Zugeständnisse heizen die Kurse an
Politik macht keine Börse
Markus Brandstetter

Der EU-Gipfel hat den Börsen Rückenwind gegeben. Der Dax stieg um mehr als fünf Prozent. Manche sehen den deutschen Leitindex am Jahresende bei 8.000 Punkten und mehr. Anlageberater empfehlen auch Kleinanlegern, jetzt wieder einzusteigen. Viele Aktien seien zuvor billig geworden, die Erfahrung zeige, es gäbe langfristig immer nur einen Weg – nämlich nach oben. Und wer diese Botschaften nicht glaubt, dem wird erzählt, daß eine milde Inflation drohe, die den Durchschnittsbürger schleichend um Haus, Hof und Depot brächte, wovor ihn nur ein herzhafter Griff in die Aktienkiste schützen würde.

Wissen die Aktienmärkte also irgendwas, was wir nicht wissen? Weiß die in den Börsen versammele Schwarmintelligenz, daß die Euro-Krise ausgestanden, die Wachstumsschwäche der EU-Südstaaten überwunden und die überfälligen Strukturreformen um die Ecke sind? Weiß die Börse, daß die 25 Prozent der Spanier, die keinen Job haben, bald einen bekommen werden? Mit einem Wort: Können sich die Börsen von der wahren Malaise in der EU-Zone abkoppeln? Können Aktien da Werte schaffen, wo andere sie vernichten?

Die Antwort kann nur lauten: Natürlich nicht. Alle großen Aktienmärkte der Welt sind an die Leistungen und die Ertragskraft der an ihnen notierten Unternehmen gebunden. Die Börse kann – und das manchmal monatelang – Firmen, die das nicht verdienen, hochjubeln und großartige Substanzwerte vernachlässigen, aber den wahren Zustand der Wirtschaft auf Dauer ignorieren kann sie nicht. Aktienmärkte sind weder ein Spielcasino noch ein Black-Jack-Tisch. Die während des EU-Gipfels de facto beschlossene Schuldenunion und die uferlose Rekapitalisierung angeschlagener Banken hat den Börsen einige Tage Auftrieb verliehen – aber um welchen Preis. Wie schlecht muß die Stimmung an den Märkten eigentlich sein, wenn die Tatsache, daß miese Banken sich nun günstig und ohne Sicherheiten refinanzieren können, für ein Kursfeuerwerk sorgt?

Eine vernünftige Antwort auf alle Fragen kann nur sein: Die Börsen wissen noch nicht, was ihnen im Herbst blüht. Wenn die Dax-Unternehmen Ende Juli ihre Zahlen für das zweite Quartal bekanntgeben, dann wird klar sein, daß es von nun an abwärts geht. Infineon hat bereits eine Gewinnwarnung ausgesprochen, Siemens hat angedeutet, daß die Prognose aus dem April nicht zu halten sein wird. Nichts ist bislang in die Börsenkurse eingepreist: weder die steigenden Arbeitslosenzahlen in Frankreich noch das geringe Wachstum der chinesischen Wirtschaft, noch der fallende Ölpreis, der alleine schon ein Indikator für einen weltweiten Abschwung wäre. Der Kleinanleger wird also weiter gut damit beraten sein, den Herbst abzuwarten und erst dann wieder einzusteigen, wenn die Kurse sich auf dem Niveau eingependelt haben, das dem jetzigen Zustand der Wirtschaft entspricht.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen