© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

CD: Titel
Heißer Kaffee
Sebastian Hennig

Die Römer haben die Gottheiten aller Völker ihrer Provinzen in ihrem Kult belassen und ihnen gar eigene, neue Tempel errichtet. In dieser Hinsicht hat der neuzeitliche Gaumen die Anverwandlungen fortgesetzt. Aus Indien haben wir die Gewürze und den Tee, aus der neuen Welt gelangte die Schokolade zu uns, und seit Soliman Aga, der Gesandte von Sultan Mehmet IV., den Kaffee 1669 nach Paris brachte, huldigt der Europäer auch diesem Trunk fast ohne Maß. Tempel, die dem Elixier gewidmet waren, hießen Kaffeehäuser, und ihnen wird eine eigene Kultur zugeschrieben. Ihre große Zeit mag zwar vorbei sein. Die allgemeine Imprägnierung mit dem Türkentrunk ist aber nicht zurückgegangen.

Gemeinsam mit dem rumänischen Countertenor Valer Barna-Sabadus und dem Ud-Spieler Mehmet Yeşilçay hat das Pera-Ensemble erst im letzten November die CD „Baroque Oriental“ veröffentlicht. Auf der kürzlich erschienenen zweiten Platte nun, „Café – Orient meets Occident“, ist das Bukett der kurzen Musikstücke im Geiste des Koffeins noch um einiges reizvoller und sinnlicher gebunden. Byzanz als das alte Europa strahlt mit zwei Zentren weit in den Osten und Westen: der von Türken eroberten Metropole Konstantins und dem früh emanzipierten Venedig.

Bestürzend innig und süß „Che si può fare“ der Barbara Strozzi. Der Falsettsänger tönt schöner als jede Frau. Die Strozzi soll vor ihrer Musikantenlaufbahn eine Kurtisane gewesen sein. Vor dem inneren Auge des Zuhörers steigt bei dieser musikalischen Eröffnung von Intimität das herrliche Porträt von der Hand des Bernardo Strozzi in der Dresdner Galerie auf, worauf die üppige Dame mit der Viola ihre Blöße eher nachlässig bedeckt. Nach diesem zarten „Was soll ich tun?“ wird in die folgende Sarabande des Jean-Baptiste Lully ein anonymes Semai eingeflochten. Sehr geziert und puppenhaft wird hier mit den verlockenden Schönen beim rosaroten Wein ein Lippenbündnis geschlossen. Mehr Metaphern-Verschleierung als Liebesenthüllung.

Derwischartig ausgelassen und konzentriert die „Follia“ von Corelli und Vivaldi. Dieser völlig zügellose Tanz soll seinerzeit indiziert gewesen sein. August der Starke erhob seine Fatima, eine „Beutetürkin“ aus dem Wiener Heerlager, zur Gräfin Maria Anna von Spiegel. Er nannte sie seine „Göttin der Morgenröte“, vielleicht um der schönen Aurora von Königsmarck einen Tort anzutun. Die orientalisierte Händel-Arie aus „Agrippina“ dient der klanglichen Ausmalung dieser Attitüde.

Als Geisel der Türkenkriege wurde der moldauische Adlige Dmitri Cantemir in die andere Richtung gedrängt. 22 Jahre lebte er in Istanbul, wo er an der griechischen Akademie des orthodoxen Patriarchen studieren konnte und ein maßgebliches Werk über Praxis und Theorie der osmanischen Musik schrieb. Darin notierte er jene seinerzeit aktuelle Musik, deren Kunde ohne ihn wohl verlorengegangen wäre. Ein Beispielstück aus dem 1698 veröffentlichten Werk erklingt ebenfalls.

Auch ein Sultan gehört unter die Tonsetzer dieser Platte. Sultan Murad IV., der eine Kaffee-Prohibition aussprach und Zuwiderhandlung mit dem Tode bestrafte, komponierte „Uzzal Pesrev“, ein strophisches Preludium.

Pera Ensemble, Café – Orient meets Occident Berlin Classics (Edel), 2012 www.edelclassics.de

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