© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Die Welt von Yoknapatawpha County
Regional geprägte Literatur von Weltrang: Eine Erinnerung an den Schriftsteller William Faulkner
Silke Lührmann

Seinen Traumjob fand der Literatur-nobelpreisträger William Faulkner fernab jener Tempel der Hochkultur, die ihn heute, fünfzig Jahre nach seinem Tod, längst zu den Unsterblichen rechnen. Die beste Stelle, die man ihm je angeboten habe, bekannte Faulkner 1956 in einem Interview mit der renommierten Paris Review, „bietet perfekte Arbeitsbedingungen für einen Schriftsteller. Als Bordellwirt ist er finanziell vollkommen unabhängig; er leidet weder Angst noch Hunger; er hat ein Dach überm Kopf und rein gar nichts zu tun, sondern muß nur ein paar simple Buchhaltungsgeschichten erledigen und einmal im Monat zur Polizei gehen und die notwendigen Bestechungsgelder zahlen.

Weiter schwärmte Faulkner: „Das Haus ist in den Vormittagsstunden ruhig, und das ist die beste Zeit zum Schreiben. Abends ist genügend los, so daß ihm nicht langweilig wird, wenn ihm der Sinn nach Gesellschaft steht; es verleiht ihm ein gewisses Ansehen in seinem sozialen Umfeld; er hat nichts zu tun, weil die Puffmutter die Bücher führt; in dem Haus wohnen nur Frauen, die ihm Respekt entgegenbringen und ihn mit ‘Sir’ anreden würden. Alle Schwarzbrenner der Umgebung würden ihn mit ‘Sir’ anreden. Und er könnte die Polizisten mit Vornamen anreden.“

Faulkners Anstellung in der Poststelle der University of Mississippi in Oxford ließ sich wohl weniger gut mit den Anforderungen des Schriftstellerdaseins vereinbaren – dem Vernehmen nach verlor er sie, weil er beim Lesen während der Dienstzeit ertappt wurde. Von einem Leben in Uniform konnte Faulkner, dessen überlebensgroßer Urgroßvater väterlicherseits als Oberst im Heer der Südstaaten diente, ebenfalls nur träumen. Die US-Streitkräfte musterten ihn in beiden Weltkriegen aus; die britische Royal Air Force ließ ihn 1918 zur Ausbildung in Kanada zu – zu spät für einen Kriegseinsatz. Seine langjährige Karriere als Drehbuchautor für MGM hingegen war nicht nur für manche amüsante Anekdote über die ausschweifenden Trinkgelage gut, die den Alltag in Hollywood ausmachten, sondern er wirkte unter anderem an den Verfilmungen von Ernest Hemingways „Haben und Nichthaben“ (1944) und Raymond Chandlers „Tote schlafen fest“ (1946) unter Regie von Howard Hawks mit.

Bei allem Interesse am Privatleben des Autors, dessen Haus in Oxford/Mississippi heute als Museum Pilgerreisende aus der ganzen Welt anlockt, war es keineswegs eitle Koketterie, wenn Faulk-ner selber stets auf dem unbedingten Vorrang des Werks bestand. Dagegen sei die Person, geschweige denn die Persönlichkeit, des Autors absolut unbedeutend – im heutigen Promikult um Erfolgsautoren mit Lesereisen und Autogrammstunden eine äußerst unzeitgemäße Position, die aber damals genau im Trend lag und Faulkner zu einem Liebling der spätmodernen Literaturkritik machte.

In der Tat spricht sein künstlerisches Schaffen – insbesondere die dreizehn Romane und zahlreichen Kurzgeschichten, die er in den zwanziger und dreißiger Jahren verfaßte – für sich selbst. Stilistisch verwurzelt in der europäischen Moderne seiner großen Vorbilder James Joyce und Thomas Mann, motivisch der Psychogeographie, Geschichte und Lebensart des US-amerikanischen Südens verhaftet, begründete er eine dezidiert regional geprägte Literatur von Weltrang. Diese lebt seither in den Werken von Eudora Welty, Flannery O‘Connor oder Cormac McCarthy fort und vermochte bislang sämtliche Launen des flatterhaften Zeitgeists zu überdauern.

Die Poesie seiner so urwüchsigen wie hochartifiziellen Prosa mit ihren Schachtelsätzen und Lautmalereien, ihren häufigen Zeitsprüngen und wechselnden Erzählperspektiven nimmt die Sinne und den Intellekt gleichermaßen in Anspruch und macht es den Übersetzern alles andere als einfach, die Faulkners Ruhm weit über den englischsprachigen Raum hinaus zu mehren halfen.

Für den Dichter Gottfried Benn war Faulkner, dessen Werke „Licht im August“, „Wendemarke“ (1936) und „Absalom, Absalom!“ Mitte der dreißiger Jahre in deutscher Fassung erschienen, der „letzte stärkste Eindruck vor dem Krieg“, in der Nachkriegszeit beeinflußte Faulkner sowohl die Existentialisten in Frankreich als auch deutsche Autoren in beiden Landesteilen, allen voran Heinrich Böll, Alfred Andersch und Uwe Johnson.

Daß er den brachliegenden Süden in eine blühende fiktive Landschaft verwandelte, ohne dabei die verheerenden Spuren zu verdecken, die das Trauma des verlorenen Bürgerkriegs und die Versklavung der Schwarzen hinterlassen hatten, ist nicht das geringste von Faulkners Verdiensten. Yoknapatawpha County, wo viele seiner Erzählungen spielen, ist eine so kunstvoll verdichtete und so wirklichkeitsnahe Welt, daß ihre skurrilen, teils grotesken Gestalten nur der Vorstellungskraft eines Meisters entsprungen sein können.

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