© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Gefangen im Schuldenkarussell
Im Juli 1932 endete die Lausanner Konferenz, auf der deutsche Reparationen und die alliierte Verschuldung geregelt werden sollten
Stefan Scheil

Das Jahr 1932 war ein internationales Krisenjahr. Überall stiegen die Arbeitslosigkeit und die Staatsschulden in bisher nicht gesehene Höhen. Banken brachen zusammen, Regierungen wurden gestürzt und es machte sich der Eindruck breit, daß es so nicht weitergehen könne. Gleichzeitig wurde gewählt. In Deutschland kandidierten Paul von Hindenburg und ein gewisser Hitler um das Präsidentenamt. In den Vereinigten Staaten tobte der Präsidentschaftswahlkampf zwischen Amtsinhaber Herbert Hoover und seinem demokratischen Konkurrenten Franklin Delano Roosevelt, der für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich gegen den Kapitalismus polemisierte. Das kam politisch gut an. Obwohl die USA die Staatenwelt seit dem Ersten Weltkrieg wirtschaftlich und finanziell dominierten, hatte sich dort der Eindruck breitgemacht, alles zu bezahlen und nichts zurückzubekommen.

Verantwortlich waren dafür auf beiden Seiten des Atlantiks die Nachkriegsregelungen im Finanzbereich. Die USA hatten den Westmächten für ihren Krieg gegen Kaiser Wilhelm II. unbegrenzten Kredit eingeräumt und waren deshalb schließlich 1917 selbst zur Kriegspartei geworden. Andernfalls hätte ein deutscher Sieg gedroht und damit ein umfassender Zahlungsausfall. Diesen Zusammenhang stellte ein Sonderausschuß des Senats schließlich 1935 auch amtlich fest. So hatte man die Deutschen eben besiegt und in Versailles einen Blankoscheck mit der Verpflichtung unterschreiben lassen, für den Gesamtschaden aufzukommen.

Damit war natürlich nichts gelöst. Warnende Stimmen hatten sofort darauf hingewiesen, daß es wirtschaftlich schlicht unmöglich sei, solche Summen aus Deutschland zu transferieren. Im Gegenteil würde so die Weltwirtschaft insgesamt aus dem Gleichgewicht kommen, zum Schaden für alle. Gefruchtet hatten solche Warnungen nicht. Ganz im Gegenteil hatten die USA das Schuldenkarussell aus deutschen Reparationszahlungen, Kredittilgung der westeuropäischen Mächte und eigenem Kapitalexport in Gang gesetzt, das die Weltwirtschaft der zwanziger Jahre bestimmen sollte. Billiger Kredit aus Washington blähte die Wirtschaft auf und ermöglichte eine blühende Weltkonjunktur, innerhalb der scheinbar auch die Schulden bedient wurden, die der ganze Westen in den USA hatte. So konnte es aussehen, als seien die zwanziger Jahre „golden“, obwohl sie tatsächlich nur aus Papier und Luftbuchungen bestanden. Die seit 1929 herrschende Wirtschaftskrise deckte dies gnadenlos auf.

US-Präsident Hoover hatte deshalb akzeptiert, das Zahlungskarussell anzuhalten, bis die Krise vorbei sein würde. In Europa hatte man gern angenommen. Zumal aus deutscher Sicht beendete das sogenannte „Moratorium“, das 1931 startete und 1932 auf der Konferenz von Lausanne verlängert wurde, den Alptraum generationenlanger Reparationszahlungen. Eigentlich sollten die Ratenzahlungen, die hier ausgesetzt wurden, bis 1988 laufen. Dieser Erfolg steht regelmäßig im Zentrum der bundesdeutschen Geschichtsinterpretation, verbunden mit dem Bedauern, dies habe die Weimarer Republik nicht retten können. Aber auch in anderen Ländern wie Großbritannien atmete man auf. Die astronomischen britischen Kreditaufnahmen in den USA wurden niemals zurückgezahlt. Einzig Finnland bediente schließlich seine Schulden in Washington vollständig, was dem Land eine Woge amerikanischer „Sympathie“ einbrachte, als es 1939 von der Sowjet-union angegriffen wurde, aber sonst nichts. Man konnte es so sehen, als seien die USA in Lausanne endgültig auf ihren Forderungen sitzengeblieben. Das politische Risiko für die Konferenz trug deshalb letztlich der amerikanische Präsident Hoover, Repräsentant des einzig wirklichen Gläubigers auf der internationalen Bühne.

Konkurrent Roosevelt, der später als Staatschef die Umsetzung amerikanischer Interessenpolitik betreiben sollte, ließ sich die 1932 entstandene Gelegenheit nicht entgehen. Er trug die Beschlüsse von Lausanne in den Wahlkampf. Bis er sich 1937 auf die Schurkenstaaten der Welt als Ursache aller Probleme einschoß, die er unter Quarantäne stellen wollte, wurde kaum eine Rede Roosevelts so gern zitiert wie die zum Thema Moratorium. Der damalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten machte den regierenden republikanischen Konkurrenten darin mit Hilfe einiger Zitate zur Spottfigur „Humpty Dumpty“ aus Lewis Carrols Märchen über „Alice hinter den Spiegeln“:

„Je mehr wir produzieren, desto mehr können wir kaufen“, rief Humpty Dumpty.

„Aber wenn wir einen Überschuß produzieren?“ fragte Alice.

„Dann werden wir ihn ins Ausland verkaufen“, sagte Humpty Dumpty.

„Wie sollen die anderen das bezahlen?“

„Na, wir werden ihnen das Geld leihen“, meinte Humpty Dumpty.

„Ich verstehe“, sagte die kleine Alice, „sie werden unseren Überschuß mit unserem Geld bezahlen. Natürlich werden sie uns im Gegenzug ihre Waren verkaufen?“

„Oh, auf keinen Fall!“, rief Humpty Dumpty. „Wir werden hohe Zollmauern errichten!“

„Wie sollen die Fremden dann schließlich das Geld zurückzahlen?“

„Das ist einfach“, meinte Humpty Dumpty. „Hast du je von einem Moratorium gehört?“

Roosevelt setzte sich durch, wurde Präsident und brachte Hoover eine nie verwundene Niederlage bei. Eine wirkliche Lösung für die Wirtschafts- und Finanzprobleme hatte er aber auch nicht. Es sollten noch weitere Krisenjahre folgen.

Foto: Teilnehmer der Konferenz in Lausanne, Reichskanzler v. Papen (Mitte mit schwarzem Hut): Luftbuchungen mit deutschen Reparationen, Kredittilgung der westeuropäischen Mächte und US-Kapitalexport

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