© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Keine Gnade den schmachvollen Gefangenen
Die bewegende Geschichte eines US-Amerikaners, der das Martyrium der japanischen Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg überlebte
Wolfgang Kaufmann

Laut einer abschließenden Statistik des Veterans Administration Central Office gerieten im Zweiten Weltkrieg 34.648 Angehörige der Streitkräfte der USA in japanische Kriegsgefangenschaft. Davon starben genau 12.935 – das sind immerhin mehr als 37 Prozent! Dahingegen überlebten 99 von 100 US-Soldaten, welche sich der deutschen Wehrmacht bzw. den Truppen Mussolinis ergeben hatten. Verantwortlich für die hohe Mortalitätsrate unter den Gefangenen des fernöstlichen Kaiserreiches war die völlige Mißachtung der Genfer Konvention. Wer „Glück“ hatte, wurde „nur“ systematisch gedemütigt und sadistisch gefoltert oder zu härtester Sklavenarbeit gezwungen, die anderen endeten durch Krankheiten, Hunger, Schwerthiebe, Bajonettstiche und zahllose weitere Formen bestialischer Gewalt.

Dieser beispiellose Umgang mit den Militärangehörigen des Gegners resultierte aus dem rassischen Überlegenheitswahn der Japaner, der seit Mitte der dreißiger Jahre immer groteskere Formen anzunehmen begann: So galt seitdem die offizielle Doktrin, daß die Angehörigen der „Yamato-Rasse“ göttlicher Abkunft und somit allen anderen haushoch überlegen seien. Ebenso spielte die traditionelle Verachtung für Kämpfer eine Rolle, die die „schmachvolle“ Gefangennahme dem „ehrenvollen“ Tod auf dem Schlachtfeld vorziehen. Im Pazifikkrieg kam deshalb auf 120 gefallene Soldaten des Tenno gerade einmal einer, der lebend in die Hand des Feindes gelangte. Und im übrigen war die kaiserliche Armee weitgehend brutalisiert, was sich beispielsweise daran zeigte, daß die niederen Dienstgrade routinemäßig von ihren Vorgesetzten mißhandelt wurden.

Als die Niederlage Japans näherrückte, erging der explizite Befehl an die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager, „unter verschärfter Bewachung die Vorbereitungen für eine Endlösung“ zu treffen: „Entledigen Sie sich der Gefangenen im Rahmen dessen, was die Situation erlaubt: einzeln oder in Gruppen, durch Bombardierung, Gasvergiftung, Verabreichung von Gift, Ertränken, Enthauptung oder was auch immer. Das Ziel besteht jedenfalls darin, dafür zu sorgen, daß kein einziger Mann entkommt, daß alle ausgeschaltet werden, und daß keine Spuren hinterlassen werden“ (Eintrag im Protokollbuch des Lagers Taihoku auf Taiwan; offizielles Beweisstück vor dem Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten).

In Umsetzung dieses Befehls kam es tatsächlich zu verschiedenen Massakern an amerikanischen und anderen Kriegsgefangenen wie auf Palawan, Tinian und in Batu Lintang auf Borneo. Die für Ende August/Anfang September 1945 geplante Liquidierung sämtlicher Insassen in den Lagern auf den japanischen Hauptinseln unterblieb dann allerdings wegen der Atombombenabwürfe und der hierdurch bewirkten schnellen Kapitulation des Tenno-Reiches.

Die Überlebenden der japanischen Kriegsgefangenschaft erlitten fast ausnahmslos schwere körperliche und psychische Schäden; ein Drittel der Freigekommenen blieb lebenslang zu 50 bis 100 Prozent behindert. Einer, dem es trotz besonders extremer Haftbedingungen gelang, wieder im normalen Leben Fuß zu fassen, war Louis Silvie Zamperini, dessen bewegende Geschichte von Laura Hillenbrand aufgeschrieben wurde. Der Sohn italienischer Einwanderer, welcher als das neue Laufwunder der USA galt und 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teilgenommen hatte, überstand 1943 den Absturz seines „Liberator“-Bombers und durchlitt anschließend ein 47tägiges Martyrium im offenen Schlauchboot, das mit der Gefangennahme durch die japanische Marine endete. Aufgrund seines desolaten Zustandes unterfiel Zamperini der Einstufung als „unbewaffneter Kämpfer“ und wurde deshalb durch spezielle Geheimlager und Verhörzentren wie Ofuna geschleift, in denen die Drangsalierung der Gefangenen das schlimmstmögliche Ausmaß erreichte. Als eifrigster Folterknecht tat sich dabei der Aufseher Mutsuhiro Watanabe hervor, der später gemeinsam mit Premierminister Tojo auf der Liste der vierzig meistgesuchten Kriegsverbrecher Japans landete, aber niemals gefaßt und zur Verantwortung gezogen wurde.

Und das wiederum ist symptomatisch für eine Tatsache, auf die man gar nicht oft genug verweisen kann: Eine Vergangenheitsbewältigung der japanischen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg fand in Nippon anders als in Deutschland niemals statt.

Laura Hillenbrand: Unbeugsam. Eine wahre Geschichte von Widerstandskraft und Überlebenskampf. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2011, gebunden, 519 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro

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