© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/12 06. Juli 2012

Der Flaneur
Meißen am Mittelmeer
Heino Bosselmann

Meißen an der Sächsischen Weinstraße. Statt „Flair“ und „Flavour“ echt sächsischer Flor. Das Bistum mit seinem Dom hoch über der Elbe gab es seit 968, und bis 1423 saßen in der Albrechtsburg die Wettiner Markgrafen. Sie beerbten die ausgestorbenen Askanier und folgten ihnen in der Kurwürde des alten Reiches nach. Ihre Residenz aber errichten sie stromabwärts im Elbkessel Dresdens.

Seitdem träumt Meißen. In der berühmten Manufaktur unterm Zeichen der gekreuzten blauen Schwerter bossieren und bemalen herzige sächsische Frauen das blendend weiße Porzellan aus dem Kaolin der „Seilitzer Erde“. Seit der Alchemist Johann Friedrich Böttger für August den Starken das „weiße Gold“ erfand, ist Meißen die Hauptstadt des europäischen Porzellans. Die Manufaktur, einst fürstlich, befindet sich wieder im Besitz des Freistaates, der sich im Wissen um seine Wurzeln 1990 in der Albrechtsburg neu gründete.

Mit Blick auf Burg und Dom testen wir die Weine der so kleinen wie feinen Lagen durch, den Radebeuler Goldenen Wagen, den Pillnitzer Königlichen Weinberg und den Proschwitzer Katzensprung. Eines der kleinsten und nordöstlichsten Weinbaugebiete Deutschlands, nur 435 Hektar Ertragsfläche. Um so dichter die Aromen, die auf Granitverwitterung und Löß entstehen, so als steigere die geringe Produktion den Extrakt der Tropfen. Raritäten, Geheimtips, dennoch erschwinglich.

Touristen aus Deutschlands Westen neben uns raunen schon wieder von „mediterranem Flair“, weil sie Sandstein, Sonne, Blütenduft und Wein immer reflexartig ihren alten Mittelmeerimpressionen zuordnen. Dabei ist das hier eine urige Ecke Deutschlands, wenngleich lieblicher als das platte Land des anschließenden Nordens.

In den Restaurants und Bäckereien meint man die Nähe zum k.u.k. Böhmischen und Österreichischen spüren zu können. Es schmeckt alles, und es ist überall so beinahe, ja, süddeutsch gemütlich.

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