© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Ladehemmung und ein Zeuge
Mordfälle: Noch immer sind die Ermittlungsergebnisse voller Ungereimtheiten
Felix Krautkrämer

Seit fast einem dreiviertel Jahr ermittelt die Bundesanwaltschaft im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Parallel dazu beschäftigen sich auf Landes- und Bundesebene derzeit vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit den Fahndungsmaßnahmen nach den mutmaßlichen Mördern aus der rechtsextremen Szene. Dennoch sind auch weiterhin viele Fragen offen und Details ungeklärt. Zwei Beispiele:

Offiziell sind die letzten Stunden und Minuten im Leben der beiden mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt weitgehend lückenlos rekonstruiert. Mundlos soll Böhnhardt mit einer Pumpgun in die linke Schläfe geschossen haben. Danach legte er Feuer im Wohnmobil, setzte sich im hinteren Teil auf den Fußboden und schoß sich mit der gleichen Waffe in den Mund. So zumindest legt es das Ergebnis der Autopsie nahe. In Böhnhardts Lunge fanden sich keine Rauchpartikel. Er muß also beim Ausbruch des Feuers schon tot gewesen sein. Dennoch stellt sich immer wieder die Frage, warum die beiden nicht auf die Polizei schossen, als diese sich ihrem Wohnmobil näherte – Waffen hatten sie schließlich genug.

Als sich die zwei Streifenpolizisten am 4. November um kurz nach zwölf im Eisenacher Stadtteil Stregda dem Wohnmobil mit dem Kennzeichen aus dem sächsischen Vogtland nähern, hören sie zwei Knallgeräusche, so geben es die Beamten über Funk durch, und so steht es auch in den ersten Meldungen, als noch nicht klar war, um wen es sich bei den beiden mutmaßlichen Bankräubern handelt. Kurz darauf steht das Wohnmobil in Flammen. Im Inneren des Wagens finden sich neben den beiden Leichen von Mundlos und Böhnhardt sieben Waffen (drei Pistolen, zwei Revolver, zwei Pumpguns und eine Maschinenpistole) sowie eine größere Summe Bargeld.

Wenige Stunden vor ihrem Tod sollen Mundlos und Böhnhardt eine Sparkasse in Eisenach überfallen haben. Danach parken sie ihr Wohnmobil im Neubaugebiet Wartburgblick und warten. Dabei hören sie auch den Polizeifunk ab. Sie waren also über die Fahndungsmaßnahmen informiert. Dennoch entschieden sie sich, in Stregda zu bleiben, anstatt über die nahe gelegene Autobahn die sichere Flucht zu ergreifen. Entgegen der ursprünglichen Schilderung des Tatablaufs heißt es seitens der Bundesanwaltschaft, es habe insgesamt drei Schüsse gegeben, darunter einen aus dem Wohnmobil heraus. Auch habe die im Fahrzeug gefundene Maschinenpistole eine Ladehemmung aufgewiesen. Daß sich in dem Wohnmobil eine dritte Person befand, die – wie es ein Anwohner laut Bild-Zeitung vom 7. November gesehen haben will – aus dem Führerhaus kletterte und flüchtete, schließen die Ermittler aus.

Die Polizei in Eisenach und Gotha, deren Beamte als erste am Tatort waren, wollen das weder bestätigen noch dementieren. Gleiches gilt für die Frage, ob nun doch auf sie geschossen wurde. Auskunftsberechtigt sei allein die Bundesanwaltschaft. Ihre Meldung vom 4. November hat die Thüringer Polizei mittlerweile aus dem Internet gelöscht.

Daß es sich bei den zwei Toten im Wohnmobil um die 1998 untergetauchten Rechtsextremisten aus Jena handelt, soll den Ermittlern aufgrund von daktyloskopischen Untersuchungen (Fingerabdruck) bereits noch am selben Tag bekannt gewesen sein. Die Öffentlichkeit erfährt hiervon zuerst nichts. Erst vier Tage später, am 8. November, enthüllt die Thüringer Linksfraktion in einer Pressemitteilung den politischen Hintergrund der beiden toten Bankräuber.

Er sei einfach nur „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen, beteuert der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas T. Doch es sind viele offene Fragen, die es schwer machen, an einen bloßen Zufall zu glauben.

Es ist der 6. April 2006. Andreas T. sitzt in einem Internetcafé in Kassel. Beim Verfassungsschutz arbeitet er als V-Mann-Führer im Bereich Islamismus/Rechtsextremismus. Er hat an diesem Tag bereits mehrfach mit einer Quelle in der rechtsextremen Szene telefoniert. Um 17.02 Uhr verläßt T. das Internetcafé. In diesen Minuten wird dessen türkischstämmiger Besitzer Halit Yozgat mit einer Ceska in den Kopf geschossen. Er ist das letzte Opfer der Mordserie. Es ist möglich, daß Yozgat bereits erschossen wurde, als T. noch im Internetcafé war.

In seiner späteren Vernehmung sagt der Verfassungsschützer aus, er habe nichts mitbekommen und das Geld für das Internet auf die Theke gelegt. Den Ladenbesitzer habe er nicht gesehen. Doch T. hatte sich auch Tage nach dem Mord nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet. Die Ermittler waren auf ihn durch seine Einlogdaten im Internet aufmerksam geworden. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung finden die Beamten neben mehreren Waffen und Munition, die T. als Sportschütze legal erworben hatte, auch ein Polizeifachbuch über Serienmörder, eine abgetippte Version von Hitlers „Mein Kampf“ und Rauschgift (JF 47/11). Zwar verstrickt sich T. laut Polizei bei seiner Befragung in Ungereimtheiten, wirklich ermitteln können die Beamten aber nicht gegen ihn, da sein Arbeitgeber, der Verfassungsschutz, nicht kooperiert. Im Januar 2007 stellt die Staatsanwaltschaft Kiel das Verfahren wegen Mordverdachts gegen T. ein.

Nachdem die Bundesanwaltschaft im November 2011 die Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle übernommen hatte, prüfte sie auch den Fall von Andreas T. erneut. Die Behörde erhielt nicht nur Einsicht in die Akten des Verfassungsschutzes, sondern konnte auch den V-Mann aus der rechtsextremen Szene, mit dem T. kurz vor der Tat telefonierte, befragen. Die Ermittlungen hätten jedoch keine Anhaltspunkte erbracht, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den früheren Verfassungsschützer rechtfertigen könnten, erklärt der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Marcus Köhler, auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Sowohl T. als auch der V-Mann würden lediglich als Zeugen geführt.

Fraglich bleibt, warum die Mordserie nach der Tat von Kassel plötzlich endete. Der Chef der Mordkommission des Polizeipräsidiums Nordhausen, Gerald Hoffmann, der die Ermittlungen nach dem Mord in Kassel leitete, sagte unlängst, er wisse bis heute nicht, welche Rolle Andreas T. wirklich gespielt habe. Viele seiner Aussagen halte er nicht für glaubwürdig. Die Zeit präsentierte in der vergangenen Woche weitere Details in dem Fall, die sonderbar anmuten. So soll T. für den achten Mord der Serie am 4. April 2006 in Dortmund ein Alibi angegeben haben, das die Kripobeamten so nicht bestätigen konnten. Zudem soll er 2001 mit einem Mann aus Göttingen an einem Schießtraining in Tschechien teilgenommen haben. Dieser gab gegenüber der Polizei an, früher für die tschechische Waffenfabrik „Česká zbrojovka“ gearbeitet zu haben. Von dort stammt auch die Tatwaffe der Mordserie, eine Ceska 83, Kaliber 7,65 mm.

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